8. Mai 2005
Bekanntlich rezensiere ich ja Neuerscheinungen aus den Bereichen Politik und Gesellschaft für das liberale ef-Magazin. Die Bücher, die mir in den ersten vier Monaten des Jahres 2005 am besten gefallen haben, möchte ich jetzt auch in meinem Blog kurz vorstellen:
Max A. Höfer: Meinungsführer, Denker, Visionäre. Eichborn 2005
Manchmal sind die genialsten Ideen die naheliegendsten: Es gibt viele große Namen, die einem ständig um die Ohren schwirren, und oft kann man außer Bruchstücken (wie meinethalben „Historikerstreit“ zu Ernst Nolte) wenig Zusammenhängendes über diese Persönlichkeiten sagen – und über die wichtigen Debatten, die sie auslösten. Höfer ermittelt auf nachvollziehbare Weise die bedeutendsten dieser Menschen auf den unterschiedlichsten Gebieten und stellt sie in Porträts vor, die ebenso kundig sind wie fair, ohne in seiner Einschätzung dabei auch an Kritik zu sparen. So trifft der Leser auf teils flüchtige, teils gute Bekannte aus den unterschiedlichsten Bereichen: Harald Schmidt und Elfriede Jelinek, Milton Friedman und Peter Sloterdijk, Walser und Wickert, Küng und Stockhausen, Hawking und Gysi. Hier macht das abgegriffenste aller Rezensentenklischees wirklich einmal Sinn: Dieses Buch gehört in jedes Bücherregal.
Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit. Droemer 2005
Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der „Süddeutschen“, wird vielleicht nie wieder so rhetorisch genial sein, wie in seinen Anti-Rassismus-Büchern von Mitte der Neunziger, aber sein aggressiver Stil macht immer noch Laune. Aktuell widmet Prantl sich dem, was er als soziale Ungerechtigkeit empfindet: „dem gescheiterten Wirtschaftsboss eine Abfindung, von deren Zinsen er ein halbes Dutzend Bundeskanzler bezahlen könnte, für den Arbeitslosen Hartz IV.“ Prantl fordert den „starken Staat“, ironisiert einen Neoliberalismus, der glaube, „er könne auch aus einem Gefängnis noch ein Profit-Center machen“, und macht sich zum Anwalt der Menschen, für die die Freiheit leer laufe, „weil ihnen die sozialen Voraussetzungen zur Realisierung ihrer rechtlichen Freiheiten fehlen“.
Florian Coulmas: Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte. Beck 2005
60 Jahre nach Kriegsende bedeuten auch 60 Jahre nach dem atomaren Holocaust von Hiroshima und Nagasaki: eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit, denn ab diesem Zeitpunkt war ihre Selbstauslöschung vorstellbar geworden. Florian Coulmas, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, stellt die Frage, warum über die Hunderttausende wehrlosen Opfer der Atombombe weit weniger gesprochen wird als über den Völkermord an den Juden, und schildert unter anderem, dass die siegreichen amerikanischen Täter nach 1945 über Japan eine Zensur verhängten, unter der nicht einmal der Abwurf der Atombomben selbst erwähnt werden durfte, geschweige denn, was diese angerichtet hatten. Coulmas zeichnet nach, wie diese Geschichtschreibung der Sieger bis heute fortwirkt, so dass das Menschheitsverbrechen weite Teile der amerikanischen Öffentlichkeit heute nicht mit Scham, sondern mit Stolz erfüllt. Die Spur einer Umprogrammierung des kollektiven Gedächtnisses hin zu einer Ideologie des „gerechten Krieges“ verfolgt Coulmas bis zum 11. September und bis zum Angriff auf den Irak.
Michael Crichton: Welt in Angst. Blessing 2005
Was für eine geniale Idee! Statt in einem wissenschaftlichen Sachbuch, das nur wenige lesen würden, die ökologische Panikmache des journalistisch-politischen Komplexes aufzudecken, steckt Crichton seine Erkenntnisse in einen spannenden Thriller, ergänzt um erläuternde Fußnoten und eine umfangreiche kommentierte Literaturliste. Diese Konstruktion hätte auch scheitern können; hier ist sie gelungen: Crichton unterwandert auf diese Weise mit den Mechanismen des freien Marktes (sein Thriler wurde zum Bestseller) eine ins Totalitäre gleitende Gesellschaft, in der Politiker mit Verboten und Verordnungen agieren und die Medien nur einer Seite der Debatte ausführlich Raum für ihre Behauptungen lassen. Dieser Roman ist ein Musterexemplar für Liberale und Libertäre.
Andrea Bischhoff: Lexikon der Erziehungsirrtümer. Eichborn 2005
Muss man Spielzeugwaffen verbieten? Sind Fernsehen und Computerspiele für Kinder schädlich? War die antiautoritäre Erziehung nichts als Quatsch? Muss man „schmutzige Ausdrücke“ unterbinden? Bischhoffs umfassender Ratgeber, der auch für viele kinderlose Singles faszinierend sein dürfte, stellt den neuesten Stand der Pädagogik als eine vor allem liberal geprägte Ausrichtung dar: Statt ständiger Gebote, Verbote und sonstiger starrer Regeln empfiehlt er Eltern, ein eigenes selbstbewusstes Gespür dafür zu entwickeln, was für ihre Kinder gut und richtig ist.
Matthias Geyer u.a.: Operation Rot-Grün. Geschichte eines politischen Abenteuers. Dva 2005
Die bei Dva erscheinenden Titel des SPIEGEL-Buchverlages behandeln in der Regel menschliche und politische Katastrophen: den 11. September, den Irakkrieg, den Tsunami. Jetzt also die rot-grüne Koalition. Ursprünglich lautete der Untertitel offenbar: „Geschichte einer politischen Irrfahrt“, und darum geht es auch: Wie kommt es, fragen sich die Autoren, dass Rot-Grün mit dem Vorhaben angetreten ist, die Republik mit größerer sozialer Sicherheit, mehr bürgerlichen Freiheiten und weniger Militär auszustatten, um stattdessen bei Rekordarbeitslosigkeit, strengen Sicherheitsgesetzen und deutschen Soldaten im Kriegseinsatz zu landen? Die Chronologie des Buches endet im Frühjahr 2005 mit dem Eindruck, dass sich die Regierung Schröder in der öffentlichen Wahrnehmung wieder verbessert habe – was vielleicht ein opportunistischer Grund für den Wechsel des Untertitels gewesen sein mag.
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