6. Oktober 2006
Wenn man als Autor zu den unterschiedlichsten Themen veröffentlicht, erhält man auch von den unterschiedlichsten Menschen Mails oder Anrufe. Polit-Aktivisten, Studenten, Journalisten, Interviewpartner – und manchmal Opfer. Mädchen, die (angeblich) sexuell missbraucht worden sind, oder Männer, die (angeblich) mit häuslicher Gewalt zu kämpfen haben. Gestern zum Beispiel klingelt bei mir ein mir unbekannter Mann an, der aufgebracht und ein wenig verzweifelt wirkt. Seiner Darstellung nach hatte er eine Auseinandersetzung mit seiner Partnerin, die sich nach jenem Schema wechselseitiger Gewalt anhört, das im häuslichen Bereich der Forschungslage nach am häufigsten ist. Wie er die Sache schildert, lag das Schwergewicht der Aggression allerdings auf seiner Partnerin: Von ihr war die Gewalt ursprünglich ausgegangen; sie hatte ein Messer, er war unbewaffnet. Trotzdem habe der Konflikt damit geendet, dass sie um Hilfe gerufen habe und eine Beamtin, die sich um „das Opfer“ (also natürlich: die Frau) gekümmert habe, ihm als erstes entgegengetreten sei mit „Tja, Sie sind ja nun der Aggressor ...“ Nachdem mein Anrufer sich von der ersten Konfusion erholt hatte, hat er offenbar ein wenig im Internet recherchiert und war unter anderem auf meine Artikel gestoßen.
Er war nicht allzu erbaut darüber, als ich ihm mitteilen musste, dass ich ihm nur bedingt helfen konnte. Wenn man mal von dem Trauma absieht, mit einem Messer bedroht worden zu sein, was ihn offenbar am meisten mitgenommen hatte, schien mein Gesprächspartner vor allem von der Angst bedrückt zu sein, dass jetzt eine gigantische staatliche Lawine auf ihn zukomme, gegen die er als „Sie sind ja sowieso der Täter“ keine Chance sieht.
Was kann man da als Hilfe anbieten? Es gibt in Deutschland Unterstützergruppen für „entsorgte“ Väter und Opfer falscher Verdächtigungen sexuellen Missbrauchs, aber keine, die sich speziell männlichen Opfern häuslicher Gewalt plus fehlgeleiteter Anschuldigungen widmen. (Zugegeben, es gibt zwei kleine unabhängige „Männerhäuser“ in Berlin und in Oldenburg, aber die waren vom Wohnort des Hilfesuchenden viel zu weit weg.) Es existiert kein „Erste-Hilfe-Set“ mit Verhaltensratschlägen für Betroffene. (Auf einer amerikanischen Website habe ich mal sowas gelesen, aber die USA sind ein anderes System.) Es herrscht generell große Ödnis, was Hilfsangebote für männliche Opfer angeht. Kein Wunder, dass sie auf die Idee kommen, dann eben einen Journalisten anzurufen, der hin und wieder zu diesem Thema veröffentlicht, aber von konkreter Opferarbeit und juristischem Handwerkszeug wenig Ahnung hat.
Ich habe dann das gemacht, was ich immer in solchen Fällen tue, und meinen Anrufer an eine Stelle verwiesen, die ich für kompetent halte, in diesem Fall Helmut Wildes Männerbüro Trier. Trotzdem macht mich diese desolate Situation alles andere als glücklich. Letzte Woche erst fand sich von einem renommierten Journalisten in der „Zeit“ wieder mal die Behauptung, dass Opfer häuslicher Gewalt „fast ausnahmslos Frauen waren und sind.“ Als ob man es den Lesern durch gebetsmühlenartiges Wiederholen in die Köpfe hämmern wollte, damit sich nur ja nichts zu ändern braucht. Wenn Leute, die keine Ahnung von einem Thema haben, wenigstens mal die Klappe halten würden!
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