Rezension zu Sabine Schiffers „Die Darstellung des Islams in der Presse“ (Ergon 2005)
„Wie ist es möglich“ fragt sich die Erlanger Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Sabine Schiffer (Leiterin des Instituts für Medienverantwortung) in der Einleitung ihres Buches, „dass 1,2 Milliarden Menschen, die in verschiedenen Erdteilen und Ländern dieser Welt mit unterschiedlichsten politischen Systemen leben, die mal regierungspolitisch beteiligt sind, mal einer Minderheit angehören, deren soziokulturelle Umfelder heterogen sind, die auf dem Land leben oder in der Stadt, die reich oder arm sind, die modern ausgerichtet sind oder eher konservativen Werten anhängen, die ihre Religion – den Islam – im Alltag praktizieren oder nicht, deren Bildungsgrad sehr unterschiedlich ist usw., zunehmend als homogene Masse – als aggressiv, frauenfeindlich, rückschrittlich und bedrohlich – wahrgenommen werden?“ Das ist die zentrale Frage, die Schiffer sich anschickt, mit ihrer medienkritischen Analyse zu beantworten. Dabei zieht sie von der Diskursanalyse über die klassische Sprachwissenschaft bis zur Orientalistik und Politologie die unterschiedlichsten Disziplinen als Instrumente hinzu.
Recht schnell kristallisiert sich bereits im (immerhin 55 Seiten umfassenden) Einleitungsteil heraus, dass die von Schiffer eingangs erwähnte Mehrzahl der Muslime beim Bild des Islam, das deutsche Medien präsentieren, keine Rolle spielen. Stattdessen stehen fast ausschließlich außenpolitische Negativereignisse im Fokus der Berichterstattung. Dementsprechend sind in Sendungen über Muslime Schlusssätze nicht ungewöhnlich wie „Die große Mehrheit ist ruhig und fällt nicht auf und kam deshalb in dieser Sendung nicht vor.“ Ein solches Herangehen ist nicht einzigartig für die Berichterstattung über den Islam, wie Schiffer richtig ausführt: Medienrealitäten fokussieren grundsätzlich Normverletzungen und blenden den unspektakulären Alltag aus. Wenn jedoch, so Schiffer, „gegenteilige Informationen über muslimisches Leben ausgeblendet bleiben, ebenso wie Gewalt, Terror und andere Negativa in anderen Teilen der Welt, entsteht bereits der Eindruck eines kausalen Zusammenhangs zwischen den geschilderten Erscheinungen und dem Islam“. Wir hören und lesen also nur über jenen im Promillebereich liegenden Anteil an Fanatikern unter den Muslimen und halten diese daraufhin für typisch und stellvertretend für den Islam insgesamt.
Der Prozess des selektiven Zeigens und Ausblendens führt, wie Schiffer erklärt, zu einer hochgradig verzerrten Wahrnehmung beim Rezipienten. Dies lasse sich bei den unterschiedlichsten Feldern feststellen. Etwa beim Thema Innenpolitik und Kriminalität: Von spektakulären Razzien in Moscheen werde gerne auf den Titelseiten der Zeitungen berichtet, dass diese Razzien in den allermeisten Fällen ergebnislos bleiben, landet entweder nur im Innenteil oder bleibt gänzlich unerwähnt. Oder beim Thema Frauenrechte: In Saudi-Arabien etwa sei es Frauen tatsächlich untersagt, Auto zu fahren. In Kuwait hingegen können sie als Geschäftsführerinnen tätig sein (und Anfang 2006 wurde ein kuwaitischer Abgeordneter wegen einer „Hetzrede“ gegen Frauen in der Politik zu einer Geldstrafe von umgerechnet 14.000 Euro verurteilt, wie man hinzufügen könnte), im Iran gibt es Parlamentarierinnen, in Pakistan und Bangladesh hatten Frauen gar die Regentschaft inne. In Ägypten liegt der Anteil weiblicher Universitätsprofessoren bei 30% (in Deutschland hingegen 1998 bei 9,5%). Dennoch reiche es heutzutage aus, eine verschleierte Muslima zu zeigen, um arbeitsökonomisch hocheffizient beim Betrachter das gewohnte Klischee „Frauenunterdrückung im Islam“ abzurufen. Und schließlich zeuge auch eine Verweigerungshaltung gegen Moscheen in Deutschland, begründet mit dem Argument, dass man in islamischen Ländern angeblich auch keine Kirchen bauen dürfe, vor allem von Unkenntnis: „Dies trifft wiederum auf Saudi-Arabien zu, wirkt aber im Nahen Osten geradezu lächerlich, wo in Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten und den Maghrebstaaten Kirchen ebenso zu Hause sind wie Moscheen.“ Immer wieder werden von Schiffer so populäre Irrtümer und Vorurteile über den Islam praktisch en passant widerlegt.
Die Kunst selektiven und denunzierenden Herausgreifens illustriert Schiffer auch am Beispiel des Korans. Zitiere man aus dieser Schrift Passagen, die den Krieg und die Unterwerfung von Nichtmuslimen als legitimes Mittel darstellen, „isoliert von ihrem Kontext und ihrer Gewichtung in der islamischen Lehre, so entsteht leicht der Eindruck einer aggressiven, expansiven Ideologie“. Dasselbe Vorgehen lasse sich allerdings auch bei den beiden anderen großen Buchreligionen Juden- und Christentum anwenden, wie der Orientalist Navid Kermani in einem von Schiffer zitierten Artikel für die „Frankfurter Rundschau“ erklärte: „Wie billig ein solches Muster ist, wird daran deutlich, wie leicht es sich ins Gegenteil verkehren lässt: Kolonialismus, Kreuzzüge, der Völkermord an den Indianern, Inquisition und Jesu Missionsbefehl, Tschetschenien, Irak, Sabra und Schatila, Palästina, Srebnenica und die christliche Propaganda der Serben, die dezidiert biblische Legitimation der Apartheid, Holocaust, zwei Weltkriege, zur Variation jetzt gern auch die Elfenbeinküste, all das versehen mit ein paar Heiligenzitaten aus Bibel, Bush und Berlusconi und von führenden Amerikahassern interpretiert, schon hat man genügend Belege gesammelt, um die Einfältigen von der angeborenen Aggressivität des Christentums zu überzeugen.“ Tatsächlich, erklärt Schiffer, werde im moderneren Islam Krieg allein „zu Verteidigungszwecken akzeptiert und die legitimen Gründe sind in der islamischen Gesetzgebung genau ausformuliert: Dies sind die Verteidigung von Leben, Familie, Eigentum und Religion, Beistand angegriffener Muslime zur Wahrung der Religionsfreiheit sowie der Kampf gegen Friedensvertragsbrüchige. In allen anderen Fällen herrscht explizites Kriegsverbot. Außerdem gibt es strenge Verhaltensregeln im Kriegsfall; so müssen Frauen, Kinder und alte Männer verschont werden, Gefangene und Leichen dürfen nicht misshandelt werden. Waffenstillstandsangebote müssen angenommen werden, auch wenn man den Verdacht hat, getäuscht zu werden.“ Selbstverständlich gebe es auch in der islamischen Welt Menschen, die solche Regeln missachten, das unterscheide sie aber nicht von jeder anderen Gesellschaft.
Der Hauptteil von Schiffers Arbeit widmet sich Bild- und Textanalysen von Beiträgen insbesondere auflagenstarker Zeitungen und Magazine wie „Spiegel“, „Zeit“ und „Focus“. (Die Originalartikel sind in einem umfangreichen Anhang vollständig dokumentiert.) Dabei orientiert sie sich stark an den bereits bekannten Methoden der Diskursanalyse, wie sie vor allem vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung angelegt werden, bezieht sich aber auch auf Medienanalytiker wie Kepplinger sowie klassische Autoritäten der Linguistik wie Grice, Girnth und Bellmann. Ihre Ergebnisse lassen sich in einer Rezension kaum vollständig und angemessen wiedergeben, aber eine häufig wiederkehrende Erkenntnis ist, dass dem Islam ein Komplex negativ konnotierter semantischer Merkmale (wie „weltumspannender Terror“, „Frauenunterdrückung“, „Krankheit“, „erdrückende Masse“, „Gewalt“ usw.) zugeordnet wird. Das Bild des aggressiven, feindseligen, rückständigen und expansiven Islam werde fast schon als Binsenweisheit vermittelt, auf die dann mit weiteren Veröffentlichungen (etwa: „Wie können wir uns gegen diese Religion wehren?“) leicht aufgebaut werden kann. Schiffer: „Inzwischen ist das Misstrauen gegenüber Muslimen schon so stark etabliert, dass der Versuch, sich konstruktiv mit den Facetten des Islams auseinanderzusetzen, bereits als Verharmlosung desselben abgetan wird. Das dualistische Denken manifestiert sich hier. Differenziertheit in einen konfrontativen Diskurs einzubringen wird darum schnell als Verrat empfunden.“ Versuche von Muslimen, dieser Konfrontation zu entgehen (etwa durch nachdrückliches Bekennen zu Grundgesetz und Menschenrechten oder das Anstreben eines christlich-islamischen Dialogs), werde schnell als „unglaubwürdig“ und „Unterwanderungsversuch“ interpretiert.
Häufig beruhen die Verzerrungen, die Schiffer aufdeckt, allem Anschein nach weniger auf bewusster Agitation als schlicht auf Unkenntnis (so etwa wenn mehrere im Duden enthaltenen Lexeme dieses Feldes aus wissenschaftlicher Sicht falsch und irreführend seien). In anderen Fällen handelt es sich offenbar schlicht um Gedankenlosigkeit. So stellt Schiffer heraus, dass beispielsweise die Bezeichnung „Ajatollah“ (ein Ehrentitel für geistliche Würdenträger im schiitischen Islam) bei Komposita und Nominierungen ausschließlich pejorativ besetzt sei (etwa „Alpen-Ajatollah“ für Edmund Stoiber, „Ajatollah von der Saar“ für Lafontane usw.). Inzwischen finde sich „Ajatollah“ bereits in Herbert Pfeiffers „Großem Schimpfwörterbuch“ und stelle somit zweifellos ein Ethnikon dar. Kaum weniger abwertend werde „Mullah“ (Ehrentitel für einen islamischen Rechtsgelehrten) verwendet, wie sich in einer Kontextanalyse zeigen lässt.
Schiffer gelangt zu dem Fazit, dass sämtliche sechs typische Wahrnehmungsmuster, die nach Anne Katrin Flohr ein Feindbild ausmachen (Worst-Case-Denken, duales Schwarz-Weiß-Denken usw.), bei der Darstellung des Islam in unseren Medien erkennbar werden. Ein strategischer Zweck dieses Feindbilds sei, dass durch das sprachliche Zeigen von Misständen „dort“ von hiesigen Umständen abgelenkt werden könne: „Wegverweisung dient immer der Stabilisierung der eigenen Ordnung“. Auch bewahre „Kontinuität und Sicherheit in der Berichterstattung die Medienrezipienten (...) vor inneren Widersprüchen“. Es handele sich mithin um eine psychische Entlastungsfunktion: Die Erklärung der aktuellen globalen Konflikte durch religiösen Fanatismus mache es möglich, sich eine kritische Selbstreflexion zu erparen.
Besonders bemerkenswert ist in Schiffers Arbeit das Kapitel, das einen Vergleich zwischen der heutigen Islamfeindlichkeit und dem Antisemitismus insbesondere früherer Zeiten zieht. Schiffer: „Alle Arbeiten zum (Antisemitismus) sind geprägt durch die Retrospektive, die die moralische Verurteilung des Geschehenen voraussetzen kann. Die Erkenntnis der Ungeheuerlichkeit dieser systematischen Vernichtung von Menschen verhindert aber nicht automatisch neue Diffamierungen, die Konstruktion von Feindbildern und deren Konsequenzen, die von der Beleidigung des Gegenübers über die Ausgrenzung einer Personengruppe bis hin zu ihrer angestrebten oder tatsächlichen Vernichtung gehen kann. (...) Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung können helfen, auch a priori entmenschlichende Mechanismen zu durchschauen, die immer ein Potenzial zur Aktion beinhalten.“ Ein jahrhundertealter vorbereitender Diskurs habe den Holocaust erst möglich gemacht. Grundsätzlich gebe es für Feindseligkeiten gegenüber anderen Menschen(gruppen) zwei Rechtfertigungsstrategien: Entweder werden diese als minderwertig phantasiert oder aber als bedrohlich, so dass ein „Verteidigungsmythos“ geschaffen werden könne. Schiffer weist darauf hin, dass auch die Antisemiten etwa des Kaiserreiches sich selbst als defensive Bewegung verstanden, und zeigt unter anderem anhand einer Ausgabe der „Gartenlaube“ von 1873 Argumentationsfiguren auf, die einem aus der Islamfeindschaft der Gegenwart bekannt vorkommen: Die Juden, so hieß es, vermehrten sich gefährlich stark, gefährdeten mit ihrem Terrorismus unsere Werteordnung („Hatten nicht mehrheitlich jüdische Attentäter 181 Zar Alexander ermordet? War der Mörder des US-Präsidenten McKinley 1898 nicht ein jüdischer Anarchist?“), auch der Rauschgifthandel war angeblich „in jüdischer Hand“. Schiffer: „Die Juden konnten es den Nichtjuden nicht recht machen. Entweder sie bewahrten ihre Kultur (auch äußerlich), dann wurden sie als integrationsverweigernd und antideutsch eingestuft, oder sie assimilierten sich, dann wurde ihnen Verstellung und Parasitentum unterstellt.“
Besonders eindringlich schildert Schiffer ihr Erlebnis, den Nazi-Propagandilm „Der ewige Jude“ zu sehen, was sie als „einschneidende Zäsur“ ihrer Arbeit betrachtet: „Zum ersten Mal erkannte ich die Parallelen zum heute geführten diskriminatorischen Diskurs über den Islam. (...) Die These von der Unterwanderung durch die Juden wird pseudowissenschaftlich belegt durch Zitate – so zum Beispiel aus dem 5. Buch Mose: `die Fremden magst du überwuchern (...), deinesgleichen nicht´, die durch ihr Herausgerissensein aus dem Zusammenhang einen gänzlich falschen Eindruck erwecken. (...) Mithilfe seltsam anmutender Bilder von betenden Juden wird zudem ihre Zurechnungsfähigkeit angezweifelt. Die Religiösität der out-group wird der Rationalität der in-group gegenübergestellt (...)“ Ähnlich wurde die „Gefahr, die durch die Juden droht, in Kartenschaubildern visualisiert, die sinn-induktiv hintereinander geschnitten sind: eine graphische Darstellung der jüdischen Expansionsgeschichte“ – und insofern erschreckend ähnlich Schaubildern über die Ausbreitung des Islams, wie man sie in Zeitschriftenartikeln unserer Tage findet.
Bei ihrem Vergleich gelangt Schiffer zu dem Fazit: „Wesentliche Merkmale des rassistischen Diskurses über die Muslime (...) sind die sprachliche Markierung der Muslime als out-group sowie die Homogensierung dieser Gruppe von außen, das Zuschreiben bestimmter Eigenschaften durch Selektion von Informationen, die Kulpabilisierung der Religion für politische Ereignisse , die Integrationsforderung ebenso wie der Verstellungsvorwurf – Stichwort `Schläfer´ – das Zürückrücken-ins-stereotype-Licht unter anderem durch die Deklaration von Ausnahmen bzw. der Existenz eines `gemäßigten Islams´ – entsprechend dem einstigen `Reformjudentum´ -, sowie das Heraufbeschwören einer Gefahr durch die Mitglieder dieser Gemeinschaft weltweit. Das Schächten wird seit den Hochzeiten des Antisemitismus als Wahrzeichen von Grausamkeit und Unzivilisiertheit instrumentalisiert. Äußere Zeichen von Andersartigkeit sind nun nicht mehr Kaftan, Schläfenlocken und Kippa, sondern Bart und Kopftuch. Inzwischen wurde sogar die Tiermetaphorik des Rattenbilds auf den Islam übertragen.“ Dabei, so Schiffer, sei es nicht entscheidend ob die heutige Diffamierung des Islams vor allem aus „Unkenntnis oder Unbedacht“ statt mit nationalsozialistischen Absichten nachgewiesen werden könne, denn das Ergebnis – „eine diffuse Ablehnungshaltung ohne Sachkenntnis“ – bleibe gleich.
Schiffers ausgesprochen lesenswerte und überfällige Analyse stellt ohne Zweifel ein wegweisendes Grundlagenwerk dar, das insbesondere durch seine kompetente Arbeit mit Handwerkzeugen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen herausragt. Bedauerlicherweise stellt es im Fachgebiet der Text- und Medienanalyse bislang eine Einzelstimme dar, die aber hoffentlich zu weiteren Untersuchungen dieser Art anregt. Gerade das letzte Kapitel des Buches zwingt die Frage auf, warum gerade Autoren, die im Bereich Antisemitismus krauseste Unterstellungen bis hin zum Lächerlichen pflegen, selbst auf Diskurse und rhetorische Strategien zurückgreifen, die in vergangenen Jahrhunderten die Judenvernichtung vorbereiteten und heute gegen den Islam gewendet werden. Eine Analyse von Texten aus der islamfeindlichen Bloggerszene um Henryk Broder und Michael Miersch, Organisationen wie „Honestly Concerned“ usw. wäre hier sicher ein lohnendes Unterfangen. Vor dem Hintergrund der von Schiffer aufgezeigten Parallelen liegt die Spekulation nahe, dass zumindest bei einigen Autoren dieser Szene eine Projektion eigener uneingestandener Rassismen auf vermeintliche „Antisemiten“ stattfindet. Auch wenn die Text- die Psycho-Analyse naturgemäß nicht ersetzen kann, dürften sich hier für eine Debatte fruchtbare Beiträge ergeben. Allerdings sollten diese Extremformen des Antiislamismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Feindseligkeiten und Herabsetzungen in unserer Medienlandschaft insgesamt auf fruchtbaren Boden stoßen. Auch dies hat Sabine Schiffers Analyse in besorgniserregender Weise gezeigt.
Ausgewählte Texte von Sabine Schiffer im Internet:
”Der Islam in unseren Köpfen”
”Sabine Schiffers Room” bei Anis Hamadeh
”Der Indianer als Fanatiker”
<< Home