20. September 2004
Heute abend war ich auf der Veranstaltung "Recht und Wohl des Kindes nach Trennung und Scheidung" in der Stadthalle von Bad Schwalbach. Veranstalter war das Büro für Gleichstellungsfragen Rheingau-Taunus-Kreis, unterstützt wurde die Veranstaltung von der Frauenbeauftragten Bad Schwalbachs, dem Kinderschutzbund Rheingau, dem Kinderschutzbund Untertaunus und dem Väteraufbruch für Kinder. Im wesentlichen handelte es sich um eine Podiumsdiskussion mit Gelegenheit für zahlreiche Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum. Am Podium befanden sich als Fachleute der Familienrichter Klaus Döbbert, die Autorin Dr. Karin Jäckel, die Psychologin und Mediatorin Ursula Kodjoe, der Leiter des Jugendamtes in Cochem-Zell Manfred Lengowski sowie der Rechtsanwalt Knud Petzel. Als Moderator war der als väterfreundlich geltende FAZ-Redakteur Bernd Fritz tätig. Alles in allem eine recht eindrucksvolle Zusammensetzung. Die Stadthalle war auch sehr gut besucht. Auch ein Bundestagsabgeordneter befand sich unter den Gästen.
Nach ein paar einleitenden Worten der Gleichstellungsbeauftragten durfte jeder am Podium einige für ihn zentrale Thesen aus seiner eigenen Perspektive äußern. Das erste leise Gemurre ging los, als Frau Jäckel verkündete, nach Jahrzehnten der Frauenbewegung sei allmählich die Zeit gekommen, sich auch um die Männer zu kümmern. ("Um was sollen wir uns denn noch alles kümmern?" grummelte zum Beispiel eine Dame schräg hinter mir, die mit ihren Begleiterinnen die Veranstaltung auch recht schnell wieder verließ.) Der Jurist Petzel beklagte derweil ein richterliches Versagen in ganz Deutschland und machte darauf aufmerksam, dass unser Land immer wieder vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Sorge- und Umgangsrecht verurteilt worden sei. Auch die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 würde hierzulande beharrlich ignoriert.
Moderator Fritz zog eine Ausgabe der "Bild"-Zeitung hervor und verwies auf einen Artikel, in dem es um eine Mutter ging, die das Sorgerecht für ihre Kinder zugunsten des Vaters verloren hatte. Der Artikel trug die riesige Schlagzeile "DER GERICHTSVOLLZIEHER WILL MEINE KINDER HABEN". Fritz stellte die Frage, warum solch ein Fall als Skandal behandelt würde, während man die abertausend umgekehrten Fälle, wo Väter die Leidtragenden waren, mit keinem Dreizeiler würdigte. Daraufhin erwiderte die Mediatorin Kodjoe, es gebe in unserer Gesellschaft nun mal ein grassierendes Vorurteil von verantwortungslosen, abtauchenden Vätern, die sich nicht um ihre Kinder kümmerten, während deren Anteil in Wahrheit verschwindend gering sei und es sich fast ausnahmslos um Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen handele. Gleichzeitig bestehe noch immer ein Muttermythos, der Müttern quasi automatisch Güte, Wärme und Zuverlässigkeit zuspreche – ein Mythos übrigens, auf den auch viele Väter hereinfielen. Kodjoe machte indes auch darauf aufmerksam, dass wenn eine Mutter den Vater vom Kontakt mit dem Kind ausgrenze, das keineswegs eine geschlechtsspezifische Reaktion darstelle, sondern seine Ursachen oft in Konstellationen der Ursprungsfamilie der Mutter und deren psychologischem Erbe habe.
Aus dem Saalpublikum heraus brachte jemand ein, dass ja auch Frauengewalt, Missbrauch durch Mütter und verwandte Themen in der Öffentlichkeit noch immer nicht gesehen würden. Frau Jäckel widersprach dem zum Teil: Ja, es gebe selbst in Regierungskreisen noch immer gern geglaubten Unsinn wie "Gewalt ist männlich", aber die Gleichverteilung häuslicher Gewalt, Missbrauchstäterinnen etc. seien doch schon vielfach Teil der Debatte geworden. Im Saal zeigte sich auch keinerlei Unmut über das Ansprechen dieser Tabubereiche. Erfreulicherweise hatte der Väteraufbruch im Vorraum zu der Veranstaltung auch zahlreiche Flyer und Broschüren ausgelegt, in denen die Kernthemen der Männerbewegung anrissartig dargestellt wurden, darunter auch die Häusliche-Gewalt-Debatte.
Als nächstes berichtete aus dem Publikum ein Vorstandsmitglied des Väteraufbruchs Frankfurt am Main, dass er, nachdem ein Mitglied der englischen "Fathers for Justice" im Batman-Kostüm in den Buckingham Palace eingedrungen sei, von Medienvertretern zahlreiche Anrufe mit der Frage erhalten habe, ob deutsche Väterrechtler nicht vielleicht ähnlich spektakuläre Aktionen planten, über die man dann berichten könne. Zum Thema häusliche Gewalt trug er nach, dass sich der Väteraufbruch in Gießen regelrecht in einen runden Tisch über häusliche Gewalt habe einklagen müssen – und obwohl der Richter entsprechend verfügt habe, weigere sich der zuständige Landrat noch immer.
Die Sprecherin einer Großelterninitiative, von Beruf Ärztin, machte darauf aufmerksam, dass den vorliegenden Kenntnissen zufolge ein Kind so viel Umgang mit beiden Eltern wie möglich brauche (im Idealfall täglich). Sie beklagte, dass Beratungsangebote bei Eltern im Scheidungsverfahren zu neunzig Prozent von Müttern abgelehnt würden. Aus ihrem persönlichen Umfeld schilderte sie einen Fall, bei dem einem Vater vier Stunden Kontakt mit seinem Kind pro Monat zugesprochen worden seien. Als er seine strahlende Kleine bei einem Treffen mit einem Kuss auf die Wange begrüßen wollte, sei ein anwesender Mitarbeiter des Jugendamtes eingeschritten und habe dem Vater mitgeteilt, dass er dies nicht tun dürfe. Diese von ihr geschilderten Dinge betrachtete sie als skandalös.
Vom Podium her schlug Knud Petzel vor, Richter sollten gezwungen werden, einen eigenen Termin anzusetzen, zu dem einem betroffenen zehnjährigen Kind von diesem Richter erklärt werden solle, warum ihm der Vater weggenommen werde. Die gängigen Urteilsbegründungen verstehe manchmal selbst ein Erwachsener nur mit Mühe, um wieviel weniger dann ein Kind. Wären Richter in dieser Situation, würden sie viele Urteile anders fällen. Familienrichter Döbbert wies diesen Vorschlag als unsinnig zurück. "Wollen wir als nächstes unsere Urteile so begründen, dass sie auch ein Dreijähriger versteht?" Manche Fälle seien nun mal sehr schwierig gelagert. Wie etwa solle man mit einer Mutter umgehen, die den Umgang des Vaters ständig hintertreibe, der man aber aus praktischen Gründen als einziger das Sorgerecht zusprechen könne?
Mediatorin Kodjoe gab zu bedenken, dass wir mit unserer gängigen Rechtspraxis Kindern sehr schadeten und vielleicht sogar kleine Monster schüfen. Zum einen würde Kindern, die ihren Vater nicht mehr sehen könnten, damit eine komplette Familienhälfte weggenommen, die ja z. B. über die Großeltern auch ein soziales Netz und einen Quell an möglicher Lebenserfahrung biete. Zum anderen habe sie es zum Beispiel erlebt, dass ein Kind über die erkrankte Großmutter väterlicherseits geäußert habe "Soll sie doch verrecken, die alte Oma, das ist mir scheißegal", wobei die daneben stehende Mutter nicht etwa eingegriffen, sondern triumphierend gestrahlt habe.
Ein weiterer Gast aus dem Publikum machte darauf aufmerksam, dass es letzte Woche in Österreich den ersten Väterkongress gegeben habe, nicht zuletzt dank des Einwirkens des österreichischen "Männerministeriums" (eine Abteilung des Ministeriums für Soziales, wenn ich mich nicht irre). In Deutschland sei sowas kaum denkbar, da es im deutschen Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Senioren keinerlei Zuständigkeit speziell für Männer gebe.
Jetzt trat aus dem Publikum eine Anwältin ans Saalmikrofon, die eine gegenteilige Auffassung als die vorherrschende Mehrheitsmeinung vertrat: Nicht die Justiz sei an der Misere schuld, Eltern nutzten die vielfach vorhandenen Mediations- und Beratungsangebote nicht. Die Dame hatte einen sehr schweren Stand und wurde von einzelnen offenbar verbitterten Vätern quasi niedergebrüllt. Glücklicherweise schritt recht schnell Moderator Fritz mit der Bitte ein, man möge doch bitte auch abweichende Ansichten tolerieren, das Ganze solle keine einseitige Propagandaveranstaltung werden. Dadurch ermöglichte er die ruhig und sachlich vorgetragene Replik eines betroffenen Vaters, der viel Energie investiert hatte, um mit seiner Ex-Frau eine gütliche Lösung in Mediationen hinzubekommen, dazu auch bereit gewesen war, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, woraufhin seine Ex die Situation nutzte, um erst die Schlösser auswechseln zu lassen und wenig später in einen anderen Teil des Landes zu ziehen, um diesem Vater so den Kontakt zu seinem Kind sehr zu erschweren.
Inzwischen waren Ärger, Frustration und Verbitterung bei vielen Leuten im Saal stark zu spüren. Da passte es vielleicht ganz gut, dass endlich der Jugendamtsleiter Lengowski aus Cochem gebeten wurde, seine eigenen Erfahrungen mit einem Verfahren vorzustellen, das inzwischen als "Cochemer Modell" bekannt ist und eben das in dieser Veranstaltung kritisierte Scheidungs-Hickhack beenden sollte. Kern dieses Modells ist es, wenn ich Herrn Lengowski richtig verstanden habe, dass nicht ein Richter den Eltern die Entscheidung über ihr Kind sozusagen abnehmen soll, sondern dass beide befähigt und nachdrücklich angehalten werden, miteinander eine gemeinsame Einigung zu erzielen. Durch verschiedene Beratungsangebote usw. würden die Eltern kontinuierlich in der Pflicht gehalten. Auch werde schon innerhalb von 14 Tagen (statt etwa sechs Monaten) ein erster gerichtlicher Anhörungstermin wege elterlicher Sorge angesetzt, um dadurch zu vermeiden, dass Tatsachen geschaffen und beim Kind Schäden entstehen würden, weil die Justiz zu langsam in die Gänge komme. Das Cochemer Modell bedeute anfangs etwas Mehrarbeit für die beteiligten Juristen, rechne sich aber auch für diese auf lange Sicht, weil etliche von unzufriedenen Elternteilen angestrengten Folgeverfahren wegfielen. Der rheinland-pfälzische Justizminister habe dieses Modell in seinem ganzen Bundesland durchsetzen wollen, sei aber zunächst auf heftigsten Widerstand und Blockaden seitens Amtsrichtern und Jugendämtern gestoßen. Lengowski glaubt aber, dass sich diese Situation allmählich bessere.
Schließlich stellte ein weiterer Gast aus dem Publikum das Netzwerk "Betten für Väter" vor.
Zuletzt erklärte die Gleichstellungsbeauftragte in ihrem Schlusswort, dass auch die Frauenbewegung zwei Jahrhunderte gebraucht habe, um ihre Anliegen durchzusetzen. Sie könne die Väter- und Männerbewegung nur ermuntern, weiterhin am Ball zu bleiben.
Ich selbst stellte Frau Jäckel die Frage, ob sie glaube, dass einige Frauen schlicht davon überfordert seien, sich jetzt "auch noch" für die Männer einsetzen zu müssen. Frau Jäckel glaubte das nicht, ihrem Eindruck nach war das Denken der entsprechenden Frauen auf einem Niveau wie "Früher haben wir Frauen gelitten, jetzt sollen die Männer mal leiden" und gehe über diese Primitivität einfach nicht hinaus.
Nach der Veranstaltung konnte ich noch an einem kurzen Plausch mit dem Bundestagsabgeordneten teilnehmen, der sich ebenfalls als betroffener Scheidungsvater outete. Alles in allem ein durchaus aufschlussreicher Abend.
<< Home