5. August 2006
„Israel schneidet Libanon von der Welt ab“ berichtet heute das „Hamburger Abendblatt“. Hilfslieferungen sind keine mehr möglich, die Fluchtwege sind versperrt, die Menschen sterben dutzendweise, es droht Seuchengefahr. Die Lage der Zivilbevölkerung ist verzweifelt, Hilfswerke sprechen von einer “humanitären Katastrophe“. Auch Christen-Gebiete stehen mittlerweile im Bombenhagel Israels.
Hierzulande gilt einigen derweil sogar der STERN wegen einer kritischen Berichterstattung über Israels Kriege als “antisemitisch“.
Ich muss sagen, dass für jemanden wie mich, der Sprach- und Medienwissenschaften studiert hat, die Propaganda, die das Abschlachten im Moment begleitet, nicht ohne eine gewisse Faszination ist. Nennt mich naiv, aber ich bin durchaus der Meinung, dass das Umbringen anderer Leute der menschlichen Natur eigentlich zuwider ist. Zu beobachten, wie dieses Morden rechtfertigt wird, wie jegliche Kritik daran als obszön zurückgewiesen wird und sich Täter als Opfer stilisieren, das alles nicht nur anhand Jahrzehnte alter Quellen studieren zu können, sondern anhand gegenwärtig geschriebener Texte, das ist eine zwar grässliche, aber durchaus erkenntnisfördernde Erfahrung. „Niemand soll glauben, es ginge um die leidenden Palästinenser oder die geschundenen Libanesen, die zwischen die Fronten geraten sind.“ schreibt aktuell mal wieder Henryk Broder. Nein, weil es ihm nicht darum geht, soll es auch sonst niemandem darum gehen. Wer vor sechzig Jahren Massenmorde anprangerte, war ein Vaterlandsverräter, wer ähnliches heute tut, ist eben ein Antisemit. Hauptsache, man macht den Leuten klar, dass sie das Maul zu halten und sich nicht einzumischen haben, sobald das Blut zu spritzen beginnt.
In Wahrheit sind die meisten Deutschen natürlich keine Gegner Israels, sondern angesichts dieses Konfliktes innerlich so zerrissen, wie es Fridrich Brandi-Hinnrichs hier eindrucksvoll schildert. Oder man lese diesen Artikel der „Deutschen Welle“: „In der deutschen Öffentlichkeit herrscht weitestgehender Konsens, dass die Raketenangriffe auf Israel inakzeptabel sind. Finstere Hisbollahkämpfer und ihre iranischen Hintermänner, die Israel von der Landkarte tilgen wollen, wirken auf Deutsche nur abstoßend. Der gelegentlich zu hörende Vorwurf, die Deutschen sähen nur das Leid der libanesischen Zivilbevölkerung, nicht aber das der israelischen, geht völlig ins Leere. Seit Jahren findet jedes einzelne Terroropfer in Israel breiten Raum in den deutschen Medien - einen breiteren oft als tausende Opfer afrikanischer Kriege. Auch jetzt zeigen die Nachrichten das Elend auf beiden Seiten. Aber die Deutschen legen an den Staat Israel höhere moralische Maßstäbe an als an eine Terrororganisation. Das ist nicht ungerecht, es ist vielmehr Zeichen der Wertschätzung. Als Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 um sein Überleben kämpfte, wurde es in Deutschland von einer Welle der Sympathie getragen. Wenn es aber auf Terroranschläge gegen Zivilisten mit Gegenschlägen antwortet, die ein Zehnfaches an Opfern fordern, fehlt dafür das Verständnis.“
Was einem den Magen umdreht, ist die aufhetzende Einseitigkeit und die Erbarmungslosigkeit selbst mit komplett Unschuldigen, die bei einigen vermeintlichen „Freunde Israels“ so offensichtlich ist. Ja, nicht wenige von ihnen mögen durch den Holocaust unzweifelhaft traumatisiert sein. Aber das Schaffen von neuen Leichenbergen ist wohl kaum ein probates Mittel, um dieses Trauma zu bewältigen.
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