noch 9. August
Seit einigen Tagen hab ich mal wieder die „taz“ im Abo. Ihr sonderbares Verhältnis zur Pressefreiheit hat mich zwar zunächst davon abgehalten, aber zum Libanonkrieg finden sich darin wirklich kluge und fundierte Artikel. Zwei Beispiele von heute:
Der Orientalist, Islamwissenschaftler und Hisbollah-Experte Stephan Rosiny verwahrt sich im taz-Interview gegen einseitige Schuldzuweisungen: „Alle Seiten wollen im Grunde ihren Gegner vernichten. Dazu gehört es, ihn zu dämonisieren und zu entmenschlichen. So geschieht das im Hisbollah-TV-Sender al-Manar - aber auch bei israelischen Politikern, die von den Arabern wie von Tieren sprechen. Die Hisbollah betont immer wieder, dass sie die unrechtmäßige Besatzung Palästinas verurteilt. Ein ihr nahe stehender Geistlicher, Muhammed Hussein Fadlallah, hat es einmal so ausgedrückt: Selbst wenn die Israelis Muslime wären, würden wir gegen sie kämpfen: Weil sie den Palästinensern das Land genommen haben - und nicht, weil sie Juden sind.“ Ist das Bombardieren kompletter Wohnviertel wirklich nötig, weil sich die Hisbollah unter Zivilisten verberge? Nein, erklärt Rosiny: „Im libanesischen Bürgerkrieg haben palästinensische Milizionäre tatsächlich den Schutz der Zivilbevölkerung gesucht, und damit Israels Vergeltungsschläge provoziert. Das führte damals zur Entfremdung von den Schiiten. Weil die PLO auf diese Weise ihren Ruf zerstört hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hisbollah heute diese Taktik anwendet. Ihre Kämpfer haben alle selbst ihre Familien im Südlibanon. Es ist wirklich naiv zu glauben, dass sie ihre Raketen in ihren Privathäusern deponieren würden.“
Und der Verleger und Autor Ilija Trojanow hat einiges zu dem Kindergarten-Unfug „Die haben aber angefangen!“ zu sagen, den Israel derzeit wie eine Standarte vor sich herträgt: „Jeder rhetorische Angriff, jede verbale Verteidigung benutzt dieses Prinzip, als sei es eine moralische Wunderwaffe. (...) Die Keule der Selbstgerechtigkeit schlägt nicht nur alle ethischen Einwände kurz und klein, sie zerstört auch unsere Menschlichkeit, weil wir das Unentschuldbare sauberreden. Kinder werden zerfetzt, und wir diskutieren über die Verhältnismäßigkeit der `Reaktion´ Israels. Ein Viertel wird kaputt gebombt, und wir heben einen anklagenden Finger in Richtung Hisbollah. Wenn drei entführte Soldaten mehr wiegen als tausend unschuldig Inhaftierte, hat sich der Verstand verwirrt. Schon 1998 hat Amnesty International in einem Bericht erklärt, dass Israel zugegeben habe, wahllos Libanesen zu entführen als Verhandlungsmasse, um sie gegen eigene Soldaten zu tauschen. Manche von ihnen seien schon seit zehn Jahren an geheimen Orten in Einzelhaft festgehalten. (...) Vor einigen Tagen sagte der israelische Premier Olmert: `Wir werden sie stoppen. Wir werden nicht zögern, die strengsten Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die tausende von Raketen gegen unschuldige Zivilisten richten, mit dem einzigen Ziel, sie zu töten.´ Ich zweifle nicht daran, dass Herr Olmert diese Sätze mit inbrünstiger Überzeugung von sich gegeben hat, aber natürlich entgeht keinem Betrachter die grimmige Ironie, dass Israel genau das tut, was es bei seinem Feind verhindern will. Hunderte von Zivilisten sind getötet, und eine Million Libanesen vertrieben worden, und nur die gebetsmühlenartig wiederholte Anklage `ihr habt angefangen´ steht zwischen dem Staat Israel und der Schuld an einem Angriffskrieg oder an Massenmord.“
Wenn die taz auf diesem Niveau bleibt, bin ich gerne bereit, den einen oder anderen Tjark Kunstreich zwischendurch zu überlesen.
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