Haben Wissenschaftler Angst vor Geistern?
Es ist das Wochenende vor Halloween, und in den verschiedensten Medien sind Geister und andere Spukgestalten mal wieder ein großes Thema. Da reiht dieses Blog hier mit einer Buchempfehlung für Freunde anspruchsvollerer Lektüre gerne ein. Wer sich generell dafür interessiert, dem möchte ich Deborah Blums Ghost Hunters ans Herz legen.
Blum ist Professorin für Wissenschaftsjournalismus an der Universität von Wisconsin, verfasste 15 Jahre lang selbst wissenschaftliche Artikel und erhielt 1992 den Pulitzer-Preis. In ihrem Buch berichtet sie über eine Gruppe berühmter Wissenschaftler des ausgehenden 19. Jahrhunderts: William James, Mitbegründer der modernen Psychologie, Alfred Wallace, neben Darwin Mitbegründer der Evolutionslehre, der Medizin-Nobelpreisträger Charles Richet und eine Reihe weiterer Akademiker mit ähnlich glanzvollen Meriten. Dass sie ihre Intelligenz, ihre Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten und ihren gesunden Menschenverstand weit mehr unter Beweis gestellt hatten als die meisten anderer Mitglieder ihrer Zunft nutze ihnen indes überhaupt nichts, als sie sich einem Thema zu widmen begannen, das damals dem Zeitgeist so sehr entgegenlief, dass man von einem starken Tabu sprechen konnte: die Erforschung eines potentiellen Lebens nach dem Tod. Sobald sie sich ernsthaft damit auseinandersetzten, wurden sie von ihren Kollegen heftig angefeindet, in Wissenschaftsmagazinen erschienen anonyme Verleumdungen und Mitglieder des akademischen Establishments weigerten sich standhaft, überhaupt nur einen näheren Blick auf das von William James und seinen Kollegen zusammengetragene Forschungsmaterial zu werfen. Deborah Blum ist angenehm neutral, was die Frage nach der möglichen Existenz eines Jenseits angeht, aber sie ist ganz sicher nicht neutral bei ihrer Kritik, mit welch fragwürdigen Methoden dieser Forschungsbereich aus der anerkannten Wissenschaft ausgegrenzt wurde, als ob es sich um ... nun ja ... Gotteslästerung und Ketzerei handelte.
Hundert Jahre später hat sich die Situation in keiner Weise geändert. Wie ein Artikel aus der britischen ”Times” sehr anschaulich macht, reagiert das wissenschaftliche Establishment auch im Jahr 2006 noch wie vom wilden Affen gebissen, wenn Kollegen Positionen vertreten, die der allgemeinen Glaubenslehre widersprechen. Normalerweise muss man heutzutage schon mindestens den Feminismus oder die Politik Israels kritisieren, um ähnliche Hassausbrüche ernten zu können. ”Are Scientists Afraid of Ghosts?” fragt Deborah Blum sarkastisch nd zugleich sehr ernsthaft in einem ihrer Artikel.
Da ich von akademischem Peer Pressure, um mich brav in Reih und Glied zu halten, in keiner Weise betroffen bin, kann ich dem interessierten Laien bedenkenlos noch einige weitere lesenswerte Titel zur Jenseitsforschung empfehlen, die in den letzten beiden Jahren erschienen sind (und die man zugegebenermaßen aus einer Tonne von sonst eher schrottigen Werken erst einmal ausbuddeln muss):
Dianne Arcangel (ihr richtiger Name), ehemalige Direktorin des Elisabeth-Kübler-Ross-Instituts veröffentlichte mit Afterlife Encounters die Ereignisse einer internationalen Fünf-Jahres-Studie über Kontakte mit Verstorbenen.
Der Traumatherapeut Allan Botkin entwickelte eine Methode, um solche Kontakte herbeizuführen und berichtet darüber in seinem Buch Induced After-Death Communication. Das Bemerkenswerteste daran ist vielleicht, dass sie unabhängig vom jeweiligen Glauben und Weltbild des Betroffenen, schlicht funktioniert.
Von dem Psychiater Jim B. Tucker stammt mit Life Before Life ein seriöses Buch zum aktuellen Stand der Reinkarnationsforschung. Eine ausführliche Rezension gibt es hier.
David Fontana, Professor für transpersonale Psychologie in Liverpool und Parapsychologe mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung, stellt in Is There an Afterlife? die vorliegenden Erkenntnisse übersichtlich zusammen. Dazu gibt es hier eine kundige Besprechung.
Zukunftsweisend ist die Aufsatzsammlung The Survival of Human Consciousness, in der wissenschaftliche Artikel über die jüngsten Forschungsansätze zusammengestellt sind.
In dem 832 Seiten dicken Büchlein Irreducible Mind: Towards A Psychology for the 21st Century erklären renommierte Forscher, warum das materialistisch-reduktionistische Bild des menschlichen Bewusstseins vor dem Hintergrund der aktuellen Faktenlage wenig Sinn ergibt. Da es noch nicht erschienen ist, kann ich es nicht empfehlen, aber die Ankündigung liest sich doch recht spannend. Kurz andiskutiert wird der Inhalt hier und hier.
Ich bin regelmäßig hin- und hergerissen, was mich mehr fasziniert: das Thema an sich oder das Meta-Thema, wie massiv sowohl die entsprechenden Studien als auch die von ernsthaften Wissenschaftlern vertretenen Meinungen aus der Mainstream-Wissenschaftsliteratur zu Gehirn und Geist draußen gehalten werden. Es ist ja noch nicht mal so, dass die Herausgeber entsprechender Zeitschriften argumentieren würden: Das sind Minderheitsmeinungen, und wir haben folgende gewichtigen Gegenargumente oder glauben die folgenden Fehler in den Untersuchungen nachweisen zu können; stattdessen findet eine solche Diskussion ja nicht einmal statt. (Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit CSICOP und den ”Skeptikern” als Gegenbeleg.) Selbst wenn man gerne an einem mechanistischen Weltbild festhalten möchte, tut man sich durch das beharrliche Ausgliedern immer neuer Belege für Anomalien, die dort nicht hineinpassen, als Wissenschaftler keinen Gefallen.
Falls Sie sich nicht gleich ein neues Bücherregal anschaffen möchten, finden Sie unter ”Science is a method, not a position” übrigens auch ein nettes Blog zu diesem Thema.
Happy Halloween!