Islamophobie: Gegen die Religionsfreiheit - und die Aufklärung
In der "Süddeutschen Zeitung" macht sich Thomas Steinfeld einige Gedanken zum Thema Religionsfreiheit.
Wenn dagegen nun "Islamkritiker" den Aufstand der Mehrheit gegen eine Minderheit organisieren wollen und das Ende der Toleranz für den Islam verlangen - was geschieht dann, ganz praktisch betrachtet? Wie sollte eine solche negative Vergesellschaftung vollzogen werden? Durch Ausweisung aller bekennenden Muslime nach Asien oder Afrika? Durch Einrichtung von Ghettos innerhalb Deutschlands? Durch eine gigantische Umerziehung nach dem Modell der Entnazifizierung, eine Zwangsbekehrung zum Säkularen?
(…) Den Muslimen gegenüber wird ein Verdacht ausgesprochen, der, zumindest in anderen Zusammenhängen, den Rassismus ausmacht: So seien die Muslime eben, beleidigt, rachsüchtig, unfähig zur "Selbstkritik", unwandelbar, unverbesserlich - eben absolut böse. (…) Unter den Islamkritikern (…) scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein, wie viel Leid, wie viel Blut der Religionsfreiheit auf europäischem Boden vorausging. Es wäre vermutlich nie zu einer Aufklärung gekommen, hätte es nicht die europäischen Glaubenskriege und ihre Millionen Toten gegeben, die Hugenottenkriege und den Dreißigjährigen Krieg. Es gibt wenig Grund dafür, Jahrhunderte später neue religiös-politische Spannungen aufzuheizen, und schon gar keinen, die gewöhnlichen Tätigkeiten des Verstandes, also das Unterscheiden und Verstehen, für einen Verrat am kämpferischen Volksgeist zu halten.
(…) Da der Islam - sollte es denn tatsächlich nur den einen geben und keine Notwendigkeit weiterer Unterscheidung - eine Glaubensgemeinschaft sei, die alles abweichende Denken rigoros bekämpfe, müsse er mit den eigenen Mitteln bekämpft werden, sagen seine Kritiker. So halten sich beide Seiten gegenseitig für das absolut Böse. Das absolut Böse aber ist eine bemerkenswert fromme Idee, insbesondere für Leute, die sich selber für überzeugte Säkularisten halten. Andererseits entspricht sie genau dem, was sie wollen - denn schon die Frage nach Gründen gilt ihnen als Zeichen der Schwäche. Wer nach Motiven für den Fanatismus radikaler Muslime fragt, soll schon deren Komplize sein. Wer über die Bedingungen der Möglichkeit politischer Radikalisierung junger muslimischer Männer im frühen 21. Jahrhundert nachdenken will, wird sofort als "Gutmensch" denunziert. Das ist radikal und gehorcht der Logik: Wenn jedes Argument die Entschlossenheit des Westens zersetzt - dann ist in Wahrheit die aufklärerische Vernunft der innere Feind des Westens, so wie der Islam sein äußerer ist.
Es ist bemerkenswert, wie nüchtern und tiefschürfend Steinfelds Artikel geworden ist - vor allem nachdem Henryk Broder letzte Woche im "Tagesspiegel" auf Steinfeld nur mit Pöbeleien und persönlichen Unterstellungen einprügeln konnte. So wird die Kontroverse zwischen den Islamophoben und ihren Kritikern auch immer mehr eine Kontroverse zwischen argumentfreier Polemik und durchdachter, souveräner Sachlichkeit.
Hier findet man den vollständigen Artikel.
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