Sonntag, April 10, 2011

Kristina Schröder: "Alice, der Kampf geht weiter!"

Die Titelgeschichte in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wurde von der Redaktion launig mit "Alice, der Kampf geht weiter" beschlagzeilt. Darin heißt es über die deutsche Bundesfamilienministerin Kristina Schröder:

Frau Schröder forderte einen Abschied vom Feminismus des zwanzigsten Jahrhunderts hin zu einer Geschlechterpolitik, die Männer und Frauen nicht als Gegner begreift und die Förderung von Jungen nicht mit der Benachteiligung von Mädchen gleichsetzt: Abschied vom Geschlechterkampf. Jetzt legt Frau Schröder nach.


Und zwar mit dem Gastbeitrag Abschied vom Kampf der Geschlechter, der in derselben Zeitung enthalten ist. In dessen Einstiegspassage heißt es treffend:

Wer heute etwas über Frauenpolitik lesen will, findet eine breite Auswahl an Artikeln, Reportagen, Interviews und Kommentaren in Tages- und Wochenzeitungen, Wirtschafts- und Frauenmagazinen. Gut so! Wer sich für die männliche Seite im Wandel des Geschlechterverhältnisses interessiert, kann lange vergeblich blättern und landet im Moment mit großer Wahrscheinlichkeit als Erstes bei einer Anzeige für Männerkosmetik.


Da Schröder genau weiß, dass es in unserer Gesellschaft keine Socke interessiert, wenn Männeranliegen in Politik und Medien zu kurz kommen, versucht sie mit dem aktuellen Totschlagargument Nummer Eins zu kontern: "Das ist bitter - und zwar nicht in erster Linie für die Männer, sondern für die Frauen." In der Sache aber liegt sie richtig, wenn sie weiter ausführt:

Beispiele für die Verengung der gleichstellungspolitischen Argumentation auf die frauenpolitische Perspektive gibt es (...) mehr als genug. Wir haben uns so sehr an den Monopolanspruch der Frauenpolitik auf alle Belange der Gleichberechtigung gewöhnt, dass der Gedanke, Jungen und Männer stärker in die Gleichstellungspolitik einzubeziehen, im besten Fall ignoriert und im schlechtesten Fall als Verrat an den Zielen der Frauenbewegung gebrandmarkt wird. Dieses Denken ist geprägt vom Feminismus des vorigen Jahrhunderts, der zum Geschlechterkampf blies und Frauen- und Männerpolitik nicht selten gegeneinander ausspielte.

„Wenn wir wollen, dass es unsere Töchter einmal leichter haben, müssen wir es unseren Söhnen schwermachen“, hieß es 1986 in der Zeitschrift „Emma“. Auch heute noch nährt die reflexhafte Abwehrhaltung gegenüber einer speziell auf die Bedürfnisse männlicher Kinder und Jugendlicher zugeschnittenen Jungenpolitik den Verdacht, dass manche Altfeministinnen vor allem den Benachteiligtenstatus der Frau verteidigen wollen - zum Beispiel gegen die heute erwiesenermaßen überwiegend männlichen Bildungsverlierer.


Bis hierhin kann man wirklich nur applaudieren. Kristina Schröders Diagnose ist absolut richtig. Bei manchem ihrer Therapievorschläge kann ich jedoch jetzt schon leichten Unmut in der Männerrechtsbewegung vorhersagen:

Fördern sollten wir faire berufliche Chancen von Frauen und Männern, die sich Zeit für Verantwortung nehmen. Frauen und Männer, die Zeit für Familie und faire Chancen auf Karriere haben wollen, brauchen vor allem verlässliche Partner. Gemeint sind Lebenspartner, die bereit sind, gemeinsam Fürsorgeaufgaben in der Familie zu übernehmen. (...) Zu einer zeitgemäßen Gleichstellungspolitik, die Frauen Freiheit bei der Gestaltung ihres individuellen Lebensentwurfs und faire Chance im Beruf ermöglichen will, gehört deshalb heute neben der Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen auch eine Männerpolitik, die es Männern ermöglicht, ihre Rolle abseits von Rollenklischees selbst neu zu definieren.

(...) Jungen- und Männerpolitik fördert die Gestaltungsfreiheit von Männern, die die Gewichtung von Beruf, Familie, Freizeit und Engagement in ihrem Leben gemeinsam mit ihrer Partnerin nach eigenen Vorstellungen austarieren möchten. Wenn am kommenden Donnerstag auf meine Initiative hin erstmals bundesweit der Jungen-Zukunftstag „Boys' Day“ stattfindet, geht es deshalb nicht nur darum, Jungen berufliche Zukunftsperspektiven jenseits sogenannter „typischer Männerberufe“ zu eröffnen. Es geht auch darum, den Blick auf die Bedeutung der Jungen- und Männerpolitik für faire Chancen in unserer Gesellschaft zu lenken und eine zeitgemäße Gleichstellungspolitik zu etablieren, in der sich Frauen- und Männerpolitik gegenseitig stützen.


Das alles ist nun jedoch eher kein Anstoß für eine völlig neuartige Männerpolitik, sondern in weiten Teilen nicht mehr als die Fortsetzung von dem, was schon Schröders Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen forderte ("In Deutschland ist eine Veränderung in der Väter- und Männerrolle ... überfällig"). Darüber hinaus ist hier die Haltung der angeblich so reaktionären Kristina Schröder auch wunderbar mit dem "Männermanifest" der Grünen vereinbar, dem zufolge Männer nicht länger "Machos" sein sollten. Und so manche linke Politkerin hat Schröders Inhalte in der Vergangenheit lediglich mit anderen Worten vermittelt (etwa der Formulierung, dass es an der Zeit, Männer endlich an den Charme des Spülbeckens und des Bügelbretts zu gewöhnen). Wieder einmal haben die verschiedenen Politiker und Parteien keine unterschiedlichen Positionen mehr, sondern alles verläuft zu einer einzigen großen Konsenssoße – auf die immer mehr Bürger nicht den geringsten Appetit verspüren.

Proteste seitens der Männerbewegung gegen Schröders Positionierung dürfte es auf der Grundlage mehrerer Argumente geben, die dort ja auch schon seit Jahren vertreten werden (Schröders "neue" Position ist ja in Wahrheit alter Wein in neuem Marketing). Die einen werden zu bedenken geben, dass Schröder Männer genau in jene beruflichen Bahnen lenkt, zu denen man Frauen seit Jahr und Tag erklärt, dass sie dort unterbezahlt, in ihrer Leistung nicht gewürdigt und in den unterschiedlichsten anderen Dingen benachteiligt würden. Es drängt sich hier schon ein wenig der Eindruck auf, dass Kristina Schröder zufolge sich Geschlechterpolitik tatsächlich nur deshalb jetzt auch um Männer kümmern soll, weil man hofft, dass dies zuletzt wieder den Frauen zugute kommt.

Die anderen dürfte es mit Sicherheit stören, dass die 33jährige Kristina Schröder als eine Art Übermutter der Nation unter dem Schirm von Begriffen wie "Gleichstellung" erwachsene Männer überhaupt staatlich in eine politisch gewollte Richtung dirigieren möchte, was deren Berufs- und Lebensplanung angeht. Und schließlich werden sich einige den Hinweis gestatten, dass es sich schon ein bisschen beißt, wenn von Männern politisch das eine Rollenverhalten erwartet wird, aber im privaten Bereich Frauen noch immer weit überwiegend den "ganzen Kerl" respektive den erfolgreichen Geschäftsmann, Arzt oder Anwalt dem Hausmann oder Teilzeit-Papi vorziehen. Solange Männer in zwei entgegengesetzte Richtungen gezerrt werden, braucht sich keiner zu wundern, wenn sie notgedrungen an derselben Stelle verharren, statt sich in Bewegung zu setzen.

Natürlich spricht Kristina Schröder in ihrem Artikel nicht von "dirigieren", sondern rhetorisch wesentlich geschickter von "Männern ermöglichen", "Perspektiven zu eröffnen" oder "den Blick zu lenken". Es ist eine Rhetorik der Freiheit. Das wäre allerdings das erste Mal, dass ein Staat beim Thema Geschlechterpolitik auch in der konkreten Umsetzung solcher Pläne wirklich auf die freie Entscheidung des Einzelnen setzt.

Was von diesem Artikel bleibt, ist immerhin eine wirklich vernünftige Einleitung. Den Geschlechterkampf zu beenden ist bekanntlich auch eines der obersten Ziele von AGENS (allerdings im Austausch miteinander und nicht indem von oben einfach eine Richtung vorgegeben wird). Und natürlich ist es höchste Zeit, sich geschlechterpolitisch auch den Männern zuzuwenden. Aber das sollte besser nicht geschehen, indem diese Zuwendung innerhalb der herrschenden Frauenpolitik geschieht und nur diejenigen Männer dazu gefragt werden, die von Anfang an ergeben erklärt haben, sich dem Herrschaftsanspruch des Feminismus zu unterwerfen (etwa das berüchtigte "Bundesforum Männer"). Sollte Kristina Schröder sich ehrlich und ernsthaft auch männlichen Anliegen zuwenden wollen, stehen für sie von MANNdat über den Väteraufbruch und die IGAFD bis zu AGENS die unterschiedlichsten Ansprechpartner zur Verfügung, die selbstbewusst Männeranliegen vertreten, statt sich zu überlegen, wie sie als Männer am besten (vermeintliche) Frauenwünsche erfüllen könnten. Wenn Kristina Schröder es ernst meint mit ihren neuen Wegen in der Geschlechterpolitik, sollte sie mit diesen und vergleichbaren Gruppen den Kontakt suchen und eine Diskussion aufnehmen. Das wäre dann wirklich ein Zeichen für Reife, eine liberale Einstellung – und nicht zuletzt Glaubwürdigkeit.