Medienanwalt Kompa: "Wikipedia bekommt neue Regeln"
Wenn ich meine Erfahrungen mit und Eindrücke von meiner versuchten Mitarbeit an der Wikipedia zusammenfassen sollte, könnte ich zum Beispiel sagen, dass man als Fachmann zu bestimmten Themen oft keine Chance hat, weil man immer wieder auf einen inzestuösen Klüngel extrem ideologisierter Leute stößt, die jeden Neuen mit einer abweichenden Meinung erst einmal massiv angiften, Verbesserungen und Ergänzungen von Beiträgen mit endlosen Edit-Wars und Löschanträgen unmöglich machen (das alles kontinuierlich begleitet von einem ätzenden Diskussionsstil), wobei sich die alten Hasen gegenseitig die Bälle zuschieben. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, sieht sich schnell einer Gesprächsatmosphäre ausgesetzt, die an den ganz besonderen Charme von Antifa-Gruppen und sozialistischen Tribunalen erinnert, wobei Abweichlern immer wieder beigebracht wird, dass ihre Ausprägung von "falschem Bewusstsein" fast schon kriminell sei. Der Drang, auch gegenüber Fachleuten unbedingt Recht behalten zu wollen, löscht in der Online-Enzykloädie oft jegliche Spur von auch nur halbwegs akzeptablem Sozialverhalten. Nicks wie "winterreise", "barb" und "schwarze feder" werden hier bei so manchem Insider gruslige Erinnerungen wecken.
Allerdings wurde dieses giftige Gesprächsklima auch für die deutsche Wikipedia selbst immer mehr zu einem immensen Problem. Neue Autoren wurden dadurch massiv abgeschreckt und in Blogs wie diesem berichteten die Menschen stattdessen von ihren katastrophalen Erfahrungen. Oder, wie es der Medienanwalt Markus Kompa wesentlich diplomatischer als ich formuliert:
Viele Neu-Autoren verlassen das Projekt nach kurzem Gastspiel, weil sie von dem nicht durchgehend akademischen Gesprächsklima sowie der als oft als willkürlich handelnd empfundenen Administration abgeschreckt würden. Ihr Leid klagen die verprellten Autoren unter anderem in Meinungsforen, etwa dem Heise-Forum, wo nahezu jeder Beitrag über die Wikipedia zu entsprechender Kundgabe stimuliert.
Das ist nicht allein die persönliche Sichtweise Markus Kampas. Auch der Wiki Watch-Blog etwa berichtet:
Besonders bemerkenswertes Ergebnis der Studie für die deutschsprachige Wikipedia ist: Keine Wikipedia-Community altert schneller. (...) Ein Grund dafür der raue, ja oft bösartige Ton, der in den Diskussionen herrscht, die innerhalb von Wikipedia bei Meinungsverschiedenheiten geführt werden müssen. Selbst ein großer Teil der Administratoren hat, wie die Wiki-Watch-Umfrage vom Herbst 2010 zeigte, keinen Spaß mehr an der Editoren-Tätigkeit. Notwendig wäre ein konsequentes Durchgreifen gegen eine kleine Gruppe aggressiver “poisonous people”.
Der "Mangel insbesondere an Fachautoren" stelle mittlerweile ein internationales Problem dar, erklärt Kampa weiter. Das will ich gerne glauben: Darauf dass ich zum Beispiel in einem derartigen Umfeld noch einmal an Beiträgen über meine Fachgebiete mitwirke, kann man lange warten (und ich gehe fest davon aus, dass dies von den Wikipedia-Ideologen auch so gewollt ist). Wie Kampa aber auch berichtet, habe die Hauptversammlung der Admins der deutschsprachigen Wikipedia aufgrund dieser unhaltbaren Situation nun eine eigentlich längst überfällige Reform der Wikipedia-Regeln beschlossen.
Einige Auszüge aus Kampas Darstellung dieser neuen Regeln:
Die bislang nach häufig nach Gutsherrenart durchgeführten Administrationsentscheidungen, die nicht selten durch Konspiration im Chat oder sonstiger Weise beeinflusst wurden, soll nun durch ein geordnetes Verfahren ersetzt und damit erstmals verrechtlicht werden. So soll etwa künftig die Zuständigkeit vom Admins im Vorhinein geregelt sein, während sich bislang persönlich bekannte Admins willkürlich für zuständig erklären konnten. Die essentiellste Forderung, nämlich ein Verbot von Administration bei Befangenheit (z.B. Freundschaft mit einer der Parteien), soll für den jeweiligen Admin sogar mit sofortigem Verlust des Amtes sanktioniert werden.
(...) Unsachliche Faktoren wie langjährige Projektzugehörigkeit und sonstiger „Stallgeruch“ sollen in Sachentscheidungen möglichst keine Rolle mehr spielen. Admin-Abuse wie unsachlichem Verhalten und unsäglicher Kommunikation soll durch eine Beschwerdestelle effizient entgegengewirkt werden.
(...) Diese neuen Admins, für welche die Community bislang noch keine Bezeichnung gefunden hat, sollen neuen Benutzern, die im Streit auf erfahrene Gegner stoßen, einen gleichfalls erfahrenen Mentor zur Seite stellen, der quasi anwaltliche Tätigkeit ausübt und zur Versachlichung meist persönlich aufgeladener Kontroversen beiträgt.
Markus Kampa stellte seinen Artikel gestern online; allerdings hatte ich darauf verzichtet, ihn sofort zu verlinken. Ich hatte da nämlich einen kleinen Verdacht, der sich heute durch folgende Ergänzung des Artikels bestätigt:
UPDATE: War ein Aprilscherz …
(Übrigens auch etwas was von Fachleuten erwartet wird: nicht immer alles, was man irgendwo liest und als Quelle verlinken kann, sofort für bare Münze nehmen ...)
Wir werden also weiterhin mit einer Wikipedia leben müssen, in der statt Experten Ideologen das Wort führen, die aufgrund mangelnder sozialer Kontakte oder einer festen Beschäftigung ausreichend Zeit haben, um sich ins Kadersystem der Wikipedia einzugraben. Und eine oft massiv ideologisierte Sicht der Dinge wird zahllosen gutgläubigen Lesern weiterhin als lexikalische Wahrheit verkauft. Das einzige was man derzeit dagegen tun kann, ist über solche Zustände aufzuklären und so immer weniger Leute dem Wikipedia-Klüngel der "poisonous people" ahnungslos ins Messer laufen zu lassen.
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