Montag, April 24, 2006

noch 24. April

Es wird immer irrer: Jetzt hat die neokonservative Bloggerszene nach Herbert Grönemeyer auch Helmut Schmidt als verkappten Rechtsausleger ausgegraben, der, so suggeriert es der Artikel, Deutschlands Niederlage im Zweiten Weltkrieg nicht verwinden kann und deswegen noch heute gegen die Amis wettert. Da wird die beliebte rhetorische Allzweck-Figur „Die Amis haben die Juden vor den Nazis befreit, also müssen die Deutschen dankbarerweise heute den USA und Israel bei jedem Massaker behilflich sein“ mal wieder so sehr übergeigt, dass sie sich selbst zerlegt. Und hier scheint jegliche aufklärerische Mühe umsonst: Offenbar ist die Erkenntnis, dass nicht eine historische Situation A auf jede andere historische Situation B, C, D und so weiter als identisches Muster anwendbar ist, schon derart anspruchsvoll, dass sie manche geistigen Kapazitäten schlicht übersteigt.
Man muss sich diesen Gedankengang wohl so vorstellen: „Aaaalso. Die Amerikaner haben damals die Juden befreit. Also sind die Amerikaner die Guten, die Deutschen böse und die Juden Opfer. Das ist nicht ganz leicht, aber ich versuch mir das mal zu merken, damit _ich_ wenigstens meine Lehre aus der Geschichte ziehe: Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Amis gut, Deutsche böse, Juden Opfer. Ja, das war nicht ganz einfach, aber ich glaube, jetzt hab ich´s drauf. Huch, was ist denn mittlerweile los? Die Amis fallen in ein Land nach dem anderen ein, Helmut Schmidt unterstützt das nicht vorbehaltslos, und die Israelis gehen mit den Palästinensern auch nicht gerade zimperlich um. Hui, wie soll ich das denn einordnen? Hmmm. Also erst mal ist Schmidt Deutscher und deshalb böse. Dann _überfallen_ die Amerikaner die anderen Länder natürlich nicht, sie _befreien_ sie nur. Hat man 1945 ja deutlich genug gesehen und muss nicht für jeden Einzelfall neu untersucht werden. Und die Israelis sind natürlich Opfer der Palästinenser, die ihnen frecherweise ihr ganzes Land weggenommen und dort die wenigen restlichen Juden zu Ghettos zusammengepfercht haben - oder so ähnlich. Ja, juchhu, so macht das alles wieder Sinn! Warum sind die anderen nur so dooooof, so supersuperdoof, dass sie DAS nicht mal kapieren und nicht so toll schlau wie der Henryk, der Mischa, der Hannes und ich?“
Ja, so ungefähr muss man sich diese Gedankengänge wohl vorstellen. Und in der Tat erinnert diese Groteske inzwischen stark an den Witz von dem Mann, der auf der Autobahn eine Geisterfahrerwarnung im Radio hört und stöhnt: „EIN Geisterfahrer? Tausende!“ Wobei niemand so grenzenlos von sich überzeugt sämtliche Andersdenkenden für geistig unterbelichtet und politisch mindestens dem Faschismus nahestehend zeichnet wie unsere neokonservativen Freunde. Muss man eigentlich damit rechnen, dass sich dieses Grüppchen Erleuchteter demnächst vor lauter Abscheu über den sie allüberall umgebenden Antisemitismus und Antiamerikanismus in ein südamerikanisches Dschungelcamp a la Jonestown zurückzieht? Ihre Glaubensbrüder im Weißen Haus scheinen nach immer neuen Enthüllungen und Rücktrittsforderungen ja mehr und mehr auf dem absteigenden Ast zu sein ...