26. Juli 2006
Mittlerweile haben sich schon einige Leser danach erkundigt, warum ich zum momentanen Höhepunkt der Nahost-Krise so verhalten blogge, während ich in friedlicheren Zeiten vor einigen Monaten teils fünf Einträge pro Tag verfasst habe. Dafür gibt es zwei Gründe.
Der eine liegt darin, dass ich mehrere Tage lang sehr zweigespalten war (und teils heute noch bin), was meine Einschätzung dieser Situation angeht. Einseitig Israel die Schuld zuzuweisen, wenn sich in Wahrheit mehrere Konflikte gegenseitig hochgesteigert haben, ist nicht besonders fair, und wenn die Angreifer sich in zivilen Siedlungen verschanzen, kann man das auch ihnen zum Vorwurf machen und nicht nur denjenigen, die sich beim Bomben nicht daran stören. Das Argument der Gewaltspirale, die aufgebrochen werden müsse („Israel schafft so doch nur neue Selbstmordattentäter!“) überzeugt mich auch nur zum Teil; genausogut ließe sich argumentieren, dass Israel zu neuen Anschlägen ermuntere, wenn es die alten widerstandslos hinnimmt. Insofern war ich mit der Berichterstattung vieler Medien, die beide Seiten dieser Tragödie beleuchteten, durchaus einverstanden, auch wenn ich mit Daniel Bax einräumen muss, dass diese bemühte Ausgewogenheit in den letzten Tagen ein wenig ins Bizarre abrutscht.
In den letzten Tagen, ich kann es nicht ändern, geht auch meine Zwiegespaltenheit immer weiter zu Lasten Israels zurück, und zwar um so mehr, je maßloser das israelische Bombardement des Libanons gerät, je grauenvoller die Berichte über die Opfer und je mehr sich die Flüchtlingszahlen einer Million annähern. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist eine beliebte Redwendung, wenn es um den Nahostkonflikt geht, auch wenn ihr vorgeworfen wird, auch schon wieder antisemitisch zu sein, weil sie den Juden/Israelis eine Vergeltungsmentalität unterstelle. Nun war „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ursprünglich offenbar als eine Maßname gedacht, bei der Bestrafung maßzuhalten, dem Übeltäter also nichts Schlimmeres anzutun, als dieser selbst schon anrichtete. Es gilt also „Auge um Auge“ statt zum Beispiel „Auge um Leben“, und wenn ich einen Mörder zur Rechenschaft ziehen will, dann lösche ich nicht gleich seine ganze Familie oder sein ganzes Dorf aus. Vor diesem Hintergrund ist das Abscheuliche des gegenwärtigen Konflikts eher, dass sich Israel an diese Maxime _nicht_ hält.
Mittlerweile hagelt es im Libanon sogar Streubomben. Dazu hat Bettina Gaus in der taz von heute das Wichtigste geschrieben: „Streubomben sind, wie schon der Name sagt, keine Präzisionswaffen. Kurz vor dem Aufschlag setzen sie viele kleine Sprengkörper frei, die sich auf einer großen Fläche verteilen. Sie bedrohen Zivilisten und Kombattanten gleichermaßen, sind hingegen für die Zerstörung militärischer Ziele ziemlich ungeeignet. Hinzu kommt: Etwa fünf Prozent der Munition explodiert nicht sofort. Die Wirkung dieser Blindgänger lässt sich mit der von Landminen vergleichen. Sie können ihre Opfer noch Jahre später treffen. Wahllos und zufällig. Fürchterlich ist die Nachricht auch für alle, die Israel eine sichere und friedliche Existenz wünschen. Die Behauptung, mit den Angriffen auf den Libanon solle nur die Hisbollah geschwächt werden, lässt sich kaum besser widerlegen als durch den Einsatz von Streubomben. Der erlaubt nicht einmal den guten Glauben an Irrtümer und Versehen. Wer diese Waffen einsetzt, weiß, dass Zivilisten darunter leiden werden. Wenn das Ziel der Angriffe nicht die Demoralisierung der libanesischen Bevölkerung ist - und das kann und darf es gerade der israelischen Logik zufolge nicht sein -, dann ist der Einsatz von Streubomben nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch ganz einfach dumm. Wer aus Solidarität mit Israel sogar bereit war, diesen Krieg gutzuheißen, hat es nun noch schwerer als vorher.“
Das also schreibt Bettina Gaus in der taz. Und natürlich hat sie Recht. Die Frage ist nur: Ändert das irgendwas? Angenommen, das Thema Streubomben würde in den nächsten Tagen hochkochen – die Debatte würde doch exakt in denselben Fahrwassern weitergehen, in die hinein man sich schon bisher Dutzende von Malen übergeben hat. Alan Dershowitz wird vielleicht ein „Plädoyer für Streubomben“ schreiben. In deutschen Talkshows wird weiter nach Kindergarten-Manier diskutiert werden. („Aber Mami, das ist gemein, die Hisbollah hat angefangen!“) Michel Friedman wird erklären, dass alle, die sich gegen Streubomben aussprechen, naiv oder Heuchler seien. Honestly Concerned wird jede Zeitung, die diese Waffen zum Thema macht, mit dem „Stürmer“ vergleichen. Ralph Giordano wird mit bebender Stimme davon dröhnen, welche ungeheuerliche Anmaßung (wahlweise: anmaßende Ungeheuerlichkeit) es sei, wenn ausgerechnet die Deutschen den Israelis vorschreiben wollten, mit welchen Mitteln sie um ihre Existenz kämpfen dürften und mit welchen nicht!! Der Zentralrat der Juden wird befinden, die Libanesen hätten Streubomben verdient, weil auch sie diesmal eine UNO-Resolution nicht erfüllt hätten, jahaa, nicht immer nur Israel, für das die Nichtbeachtung von UNO-Resolutionen mittlerweile ein Gewohnheitsrecht darstellt. Irgendwelches Nazi-Pack wird verkünden, schon immer gegen Streubomben gewesen zu sein, woraufhin die neokonservative Abteilung Triumphzüge veranstalten wird, weil diese Erklärung angeblich endgültig den Schulterschluss der Friendensbewegten mit den Rechtsextremisten beweise. Henryk Broder wird ein paar geschmacklose Witze über die Verstümmelten machen (“Keine Arme, keine Kekse!“), gleichzeitig phantasieren, dass er ohne den Einsatz von Streubomben im nächten Viehwaggon nach Auschwitz landen würde, und schließlich darauf beharren, gerade Streubomben bewiesen die Richtigkeit seiner Aussage darüber, wie viel mehr Spaß es mache, Opfer als Täter zu sein. Mischa Miersch wird mal wieder einen obskuren Essay verlinken, dem zufolge wir Westler unsere Kriege leider viel zu halbherzig führen. Irgendwelche durchgeknispelten Antisemitismus-Forscher werden auf ihre Fragebögen „Was halten Sie von Streubomben?“ setzen, um von den Antworten auf das Ausmaß an larviertem Judenhass in unserer Bevölkerung zu schließen. Und George Bush wird das Wort „Streubomben“ auf der Liste der Dinge notieren, von denen Israel offenbar am dringendsten Nachschub benötigt. Und mal im Ernst: Selbst wenn Israel über sämtlichen arabischen Staaten Atombomben abwerfen würde, damit das jüdische Volke endlich in Frieden leben kann, wären die Reaktionen hierzulande genauso vorhersagbar. Die Bundesregierung würde, wenn überhaupt, versuchen, eine Formulierung der Kritik zu wählen, die die israelische Regierung nicht wirklich verletzt, und die kriegsgeile Bloggermeute wird traurig seufzen, dass Israel ja sowieso machen könne, was es wolle, und zum Schluss würde es jeder hassen. Also warum nicht gleich so?
Und das ist der zweite Grund, warum ich zu den aktuellen Entwicklungen nur noch zurückhaltend blogge. Es wird nichts ändern. Auch die diskursiven Schützengräben und Frontverläufe sind längst viel zu tief, die Fronten zu starr. Da werden dann die üblichen rhetorischen Floskeln und Beschimpfungen ausgetauscht, und das war es dann wieder.
Etwas weniger schnoddrig und einseitig-polemisch als gerade von mir formuliert findet sich auch hierzu ein Artikel in der heutigen taz. „Und, wo stehen Sie?“ fragt Robert Misik und wendet sich gegen „Friedensfreunde“ auf der einen wie „Haudraufs“ auf der anderen Seite: für sämtliche Fraktionen der Bloggerszene eigentlich Pflichtlektüre.
Interessant fände ich an dieser Stelle neue, kreative Lösungsansätze, ruhig erst mal auf dem Niveau eines Brainstormings. Israel, das ist meine Meinung, verdient aus den verschiedensten Gründen prinzipiell unsere Solidarität, sollte aber gleichzeitig dazu bewegt werden, mit solchem Mumpitz wie jetzt gerade aufzuhören. „Israel in die Nato“ schlagzeilten deshalb vor einigen Tagen der „Rheinische Merkur“ ebenso wie der SPIEGEL. Das wäre zumindest mal ein Gedanke. Leider gibt es davon noch viel zuwenige.
Wie es im Moment ausschaut, wird der Krieg erst mal weitergehen, ob mit oder ohne Streubomben und völlig egal, was in Deutschland dazu geschrieben wird, weil alle, die Einfluss nehmen könnten, nur Positives von diesem Gemetzel erhoffen. Die Israelis möchten so sicher wie möglich gehen, nicht mehr beschossen zu werden, um welchen Preis auch immer. Die Hisbollah möchte der Welt vor Augen führen, wie unmenschlich sich Israel verhalte. Bush und seine neokonservativen Anhänger erhoffen sich einen besseren Punktestand im momentanen Endkampf des Guten (Achse) gegen das Böse (Islam und UNO). Und der Iran und Syrien können gegenüber den Oppositionellen im Lande triumphierend darauf hinweisen, dass die demokratischen Staaten vor allem für Krieg stünden. Die Bevölkerung des Libanon, sicher, sie gehört zu den Opfern. Aber sie hat nichts zu melden.
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