Mittwoch, April 04, 2007

Rassisten mit Narrenkappe

In Europa grassiert die Angstlust vor der "Islamisierung". Das führt zu schrillen Allianzen zwischen alten Ausländerfeinden, christlichen Fundamentalisten und rechten Juden


Wieder einmal ist es die Berliner taz, die Tacheles spricht über das, was in Deutschland gerade geschieht. Robert Misik führt aus:

Die Titelstrecke des Spiegel, ein einziger Panikanfall ("Haben wir schon die Scharia hier?"), ist ohnehin nur das Symptom für eine Tendenz im Geistesleben: Die Angstlust vor dem gefährlichen Moslem grassiert. (...) Auch mancher einstige Linksliberale klingt da gelegentlich, als wäre er heute in der NPD. Längst gibt es im Internet eine eingeschworene Gemeinschaft der Kämpfer gegen die "Islamisierung". Da wird vor "Eurabia" gewarnt, markig nach dem starken Staat gerufen ("der Islam gehört verboten"), werden "Risiken und Nebenwirkungen des Mohammedanertums" debattiert, ist von "Hinterhofbetern" und "Migrationsmüll" die Rede. All das stammt nicht aus obskuren Internetforen betrunkener Skinheads aus der Provinz, sondern aus Kommentaren im populären Weblog "Politically Incorrect", das an Spitzentagen 25.000 Besucher verzeichnet. Dass es sich bei den PI-Machern nicht um Dumpfnazis aus der Eckkneipe handelt, sieht man nur an der programmatischen Kopfzeile: "Pro-amerikanisch - Pro-israelisch - Gegen die Islamisierung Europas".


Wie Misik darstellt, haben Leute, die man ansonsten mit Neonazis leicht verwechseln könnte, „die Ausländer“ lediglich durch „den Islam“ ersetzt.

Das öffnet Spielraum für die schrillsten Allianzen. Rassistische Ausländerfeinde, christliche Fundamentalisten und meschuggene rechte Juden finden sich plötzlich in einem natürlich-unnatürlichen Bündnis wieder. Der Radaupolemiker Henryk M. Broder (...) traf sich bei seiner jüngsten Wien-Tour mit dem Christenajatollah Andreas Laun. Der fordert, "christliche Einwanderer ins Land zu holen", weil sonst "die Moslems aus Europa ein durch und durch islamisches Land machen". Heinz-Christian Strache, als Führer der rechtspopulistischen FPÖ der radikale Erbe von Jörg Haider, bediente sich bei der Präsentation seines Antiislam-Vereins "SOS Abendland" wiederum bei Broders Publizistiknetzwerk "Achse des Guten".


So wächst zusammen, was zusammengehört.

"In Großbritannien werden die Sparschweine aus den Banken geräumt, weil sie die religiösen Gefühle der Muslime verletzen könnten, die im Schwein ein unreines Tier sehen", zitierte Strache aus einer der "Achse"-Enthüllungen und hob an: "Was ist eigentlich los in Europa, im freien Westen?" Blöd nur, dass die Sache frei erfunden war. Die britische Halifax-Bank, um die es ging, stellte dazu fest, "dass wir keine Sparschweine aus unseren Filialen verbannt haben - wir haben sie schon seit Jahren nicht verwendet".


Die groteske Lüge mit den von „Dhimmis“ aus Banken verbannten Sparschweinen legte Henryk Broder vor wenigen Stunden erst in SWR-„Quergefragt“ wieder vor. Er weiß vermutlich längst, was für einen Blödsinn er da erzählt - aber die meisten Zuschauer, auf die Broders Hetze abzielt, wissen es nicht. Und auch die Journalisten, die Broder immer wieder blauäugig einladen, sparen sich offenbar nur allzu gern die Mühe, seine krausen Angstphantasien auch nur minimal gegenzurecherchieren.

Selbst in George Bushs Amerika, will man, wie ich auch schon in diesem Blog berichtete, „von solchen zwielichtigen Freunden nichts wissen“ erklärt Misik und spekuliert, diese Information dürfte für den „politischen Narrensaum“ einem Schock gleichkommen. Ich glaube, dass dies vielen aus dieser Narrenschar komplett egal ist. Vielmehr bin ich überzeugt davon, dass sie sich aus exakt denselben Gründen Israel und die USA als Schutzpatrone suchen, aus denen sie auch nicht in braunen Uniformen „SIEG HEIL!“ brüllend durch die Straßen stampfen: damit ihnen zumindest nicht jeder im ersten Augenblick ansieht, um welch Geistes Kinder es sich bei ihnen handelt.

Aber auch das trifft offensichtlich nicht auf jeden zu: Bei “Politically Incorrect“ nämlich freut man sich schon wie Bolle darüber, auch nur in der taz erwähnt worden zu sein. Motto: „Scheißegal, wenn alle erkennen, wie wir drauf sind! Hauptsache, uns nimmt überhaupt mal jemand wahr.“ Auch mit dieser verzweifelten Sehnsucht unterscheiden sich PI-Kommentatoren von Skinheads, die ihre Mollies in Ausländerwohnungen schleudern, nicht. „Hauptsache, ich bin ganz groß im Fernsehen! Soll ich noch mal werfen, RTL?“