Montag, Mai 04, 2009

Kriegshetze: Wie man eine "iranische Bedrohung" konstruiert

Schritt 1: Als erstes findet man zufällig das Video zu einem Interview, das in einer libanesischen Fernsehsendung lief. Darin erklärt ein iranischer General, falls Israel den Iran militärisch angreifen werde, werde dieser vermutlich keine elf Tage benötigen, um Israel auszulöschen. Dieses Video gibt es hier zur Ansicht.

Schritt 2: Ulrich Sahm, der sich vermutlich selbst als "Journalist" bezeichnet, liefert auf dem Sender n-tv eine seine Glanzleistungen, für die er so bekannt geworden ist. In diesem Fall strickt er das erwähnte Interview zu der Meldung "Zerstörung in elf Tagen" – Iran bedroht Israel. In Sahms Beitrag heißt es allen Ernstes:

Der Iran hat erstmals mit einer konkreten Zielnennung die Zerstörung Israels angekündigt. Das israelische Fernsehen zeigte ein Interview mit dem iranischen Generalstabschef Attalah Salihi. Er kündigte eine "Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen" an. Der Arabienexperte Oded Granot erklärte dazu: "Noch nie haben wir eine so klare und offene Ankündigung des Iran gehört." Zwar habe Präsiden Mahmoud Ahmadinedschad die Vernichtung Israels immer wieder "in großen Zügen und als politisches Ziel" angekündigt, doch noch nie so konkret und mit Zeitangabe, wie es Salihi getan habe. Granot habe nicht herausfinden können, wieso die Zerstörung Israels in elf Tagen passieren sollte.


(Sucht man über Google-News, findet man natürlich keine andere "Nachricht", in der von einer solchen iranischen Bedrohung gegen Israel die Rede wäre.)

Schritt 3: Das Husarenstück Ulrich Sahms übernehmen vor allem jene Leute, die es vor erwartungsvoller Ungeduld eines Angriffs auf den Iran anscheinend kaum noch auf den Stühlen hält. An erster Stelle stehen natürlich das rechtsextreme Blog "Politically Incorrect" und sein Schwesterblog "Die Achse des Guten".

Politically Incorrect veröffentlicht den Quatsch unter der Überschrift "Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen".

Auf der "Achse des Guten" schreibt zunächst Henryk Broder ironisch "Iran weiter auf Schmusekurs", wobei er den wohl hundertsten Seitenhieb gegen Katajun Amirpur auszuteilen versucht: Broder kann es ihr offenbar einfach nicht verzeihen, dass sie schon bei einem früheren Versuch, dem Iran eine geplante Vernichtung Israels zu unterstellen, aufdeckte, dass es sich dabei nur um eine fehlerhafte Übersetzung handelte. (Siehe auch hier.) Tatsächlich hat sich Broder vor Wut inzwischen schon so in seinen Teppich verbissen, dass er völlig naiv einen Link zu dem Interview des iranischen Generals in seinen Beitrag stellt, der belegt, dass Ulrich Sahm schlicht irreführend und manipulativ berichtet hatte. (Alternative Erklärung: Broder ist gar nicht blind vor Rage, sondern reibt sich kichernd die Hände, weil er sich denkt: "Hihi, meine verblödeten Leser können sowieso kein Englisch, die schlucken das ohne Probleme.")

Einer, der das in der Tat ohne Probleme schluckt, ist Broders Zöglings David Harnasch (der allerdings auch schon mal zugibt, sich so lästige Dinge wie Recherche lieber zu ersparen, bevor er einen Beitrag raushaut). Vom heimischen Sandkasten aus malt sich Harnasch aus, wie denn so ein pfundiges Bombardement des Iran aussehen könnte … (Motto: "Völkerrecht? Scheiß doch auf das Völkerrecht! Im Zweifel immer plattbomben. Es geht hier um ISRAEL! Antisemit!!")

Natürlich ist die so zusammengestrickte Kriegspropaganda inzwischen auch in diverse andere Blogs und Politikforen gewandert. So wird über das Internet immer mehr Aggression geschürt. Ab hier braucht man eigentlich nur noch abzuwarten, welcher "Qualitätsjournalist" oder Politiker als erstes diesen Unfug aufgreift und von einer "neuen Bedrohung Israels" schwadroniert, die man – am besten durch einen militärischen Angriff – schnellstens unterbinden müsse. Und dann kann die Party beginnen.

Nachtrag, zwei Tage später: Eine ganze Reihe von Blogs hat diesen Beitrag inzwischen aufgegriffen, darunter das vielgelesene Bildblog. Das Bildblog berichtet auch, dass n-tv den Artikel inzwischen klammheimlich geändert hat. Damit dürfte zumindest dieser Versuch, die Öffentlichkeit zu einem Angriff auf den Iran aufzuwiegeln, gescheitert sein. Bloggen lohnt sich eben doch.

Nachtrag, einen weiteren Tag später: Auch die Gegenseite möge gehört werden: Hier findet man die Gegenrede zu meinem Beitrag von Henryk Broder. Wenig überraschend, wenn man Broder kennt, sind die beiden Hauptargumente seiner Argumentation: dass ich nämlich erstens mitten im Wald wohne und zweitens mal den Ratgeber "Onanieren für Profis" geschrieben habe. Über die Existenz dieses Buches bin ich allerdings sehr froh, denn sobald in einer Diskussion über ein völlig anderes Thema, der hilflose Ausbruch kommt "Aber Sie haben mal ein Buch über Selbstbefriedigung geschrieben!", kann man sich zufrieden zurücklehnen, weil man weiß, dass man die Diskussion gewonnen hat.

Dritter Nachtrag: Wie ich erst jetzt entdecke, ist als erstes der traditionellen Medien, ebenfalls wenig überraschend, Springers "Welt" auf die Kriegspropaganda des Netzwerks eingestiegen. Dort schreibt Benjamin Weinthal: "Tatsächlich werden die iranischen Drohungen gegen Israel seit einigen Wochen konkreter. Vor wenigen Tagen erklärte Generalstabschef Attalah Salihi, das iranische Regime könne 'die Zerstörung Israels innerhalb von elf Tagen' leisten." Selbstverständlich enthält Weinthal den Kontext dieser Äußerung – falls der Iran sich verteidigen muss – seinen Lesern vor. (Und die Presseverantwortlichen wundern sich, dass es eine Zeitungskrise gibt, während immer mehr Journalisten durch Propagandisten ersetzt werden.) Um mehr über Weinthals Verortung zu erfahren, genügt es, bei Google "Weinthal Broder" als Suchbegriffe einzugeben.