Donnerstag, Juli 30, 2009

Anti-Langer-Kampagne: Wie das Spektakel zum Debakel wurde

Das Nahost-Blog kommentiert:

Eigentlich lohnt es sich nicht, die Debatte um das Bundesverdienstkreuz für Felicia Langer hier aufzuwärmen — allzu tumb sind die Argumente derer, die einen Skandal darin sehen, daß eine langjährige Kämpferin für die Rechte der Menschen in den besetzten Gebieten mit dieser Ehrung ausgezeichnet wird. Und letztlich scheint es ihnen selbst im tiefsten Sommerloch nicht gelingen, ihr Anliegen wirklich auf die Agenda zu bringen.


In der Tat: Nicht mal im tiefsten Sommerloch hat diese Medienkampagne gezündet! Auch ich wüsste nicht, wie man sie noch retten könnte. Soll Benjamin Weinthal den siebten Propaganda-Artikel in die Welt jagen, nachdem schon die bisherigen Beiträge außer in der ohnehin schon überzeugten eigenen Bloggergemeinde auf irgendeine nennenswerte Resonanz stießen? Soll nach Broders Anwalt jetzt auch seine Putzfrau einen Artikel darüber verfassen, wie entsetzlich Felicia Langer doch sei? Soll Broder mit weiteren Beschimpfungen gegen Boris Palmer nachkarten oder noch stärker versuchen, dessen Vater durch den Schmutz zu ziehen? Die "Welt" und der "Tagesspiegel" stehen ja offenkundig für jeden Unfug bereit, aber deren Leser dürften der Sache allmählich sehr überdrüssig sein.

Ich habe bekantlich in mehreren Büchern und Artikeln die Mechanismen und Straegien der erfolgreichen Skandalisierung analysiert. Nach meinem Eindruck hat sich das Spektakel um Felicia Langer aus folgenden Gründen zum Debakel entwickelt:

- Vor zehn Jahren hätten Broders und Giordanos Stimme noch Gewicht gehabt, weil sie damals doch irgendwie als moralische Instanzen galten. Nach deren Umschwung in Sachen Fremdenfeindlichkeit hin zur Position der radikalen Rechten ist dieses moralische Gewicht bei etlichen Lesern gleich null. Wer Felicia Langer als "schrillste Fanfare" gegen Israel herabsetzen will, sollte besser nicht selbst die "schrillste Fanfare" gegen den Islam und Muslime darstellen.

- Das ist jetzt nicht das dritte oder vierte, sondern grob geschätzt das siebzigste Mal, innerhalb weniger Jahre, dass eine Person, die Israels Handeln kritisiert, als "antisemitisch" angegriffen wird. Zugegeben: Dieses Ritual ist für das neokonservativ-antideutsche Lager inzwischen nicht nur Argumentersatz, es stellt auch ein Glaubensbekenntnis dar, das eine Gruppenbindung verstärkt. Die meisten Deutschen sind aber weit liberaler als dieser Klüngel und reagieren auf solche Pawlowschen Reflexe inzwischen nur noch mit Augenverdrehen. Auch dass Dieter Graumann alle paar Wochen vor Empörung über Kritik an Israel an die Decke geht, nimmt kaum noch jemand ernst. Selbst im Sommerloch erzeugt dieses Theater nur noch Gähnen.

- Broder ist mittlerweile offenbar dermaßen ergriffen von seiner eigenen Brillanz, dass er sich wirklich dumme Fehler leistet. Der wohl fatalste war die Bloßlegung seiner journalistisch äußerst fragwürdigen Methoden, als er seinen Mailwechsel mit Boris Palmer veröffentlichte. Diese Nummer erinnerte schon sehr an Christoph Daums Vorlegen einer Haarprobe, um sie auf Kokain untersuchen zu lassen, begleitet von Daums grotesker öffentlichen Fehleinschätzung: "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe". Prompt blieben auch auf Broders Schnitzer hämische Kommentare nicht aus – so etwa die "Freitag"-Schlagzeile "Ist Broder doof? Oder nur doof?" (Anscheinend eine Anspielung auf die damalige "Bild"-Schlagzeile "Ist Eva Herman braun oder nur doof?") Die einzige erklärung, die ich für diesen Schachzug habe, ist, dass Broder damit Palmers eigener Offenlegung des Mailwechsels zuvorkommen wollte. Schon kurz zuvor hatte schließlich das "Schwäbische Tagblatt" auszugsweise über diese Mails berichtet.

- Früher hätte man Presseartikel aus Israels unwirscher Reaktion auf das Bundesverdienstkreuz für felicia Langer melken können. Dummerweise ist die jetzige israelische Regierung in Teilen rechtsradikal, das ging hierzulande auch breit durch die Medien, so dass keinen Menschen richtig interessiert, was ein Wasserträger des israelischen Außenministers von sich gibt. Auch die Menschenrechtsverletzungen, unter denen die Palästinenser zu leiden haben, sind wohlbekannt.

- Man könnte eventuell noch für ein Aufflackern des Medieninteresses sorgen, wenn Ralph Giordano tatsächlich noch sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben würde, "um nicht mit Langer in einer Reihe zu stehen". Alle anderen Kreuzträger, die dies angedroht haben, sind zu wenig bekannt, um über die Spalte "Vermischtes" hinauszugelangen. Aber es ist gut möglich, dass selbst eine entsprechende Aktion Giordanos inzwischen keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken würde. Und da, wie schon in einer frühen Phase der Debatte ein Kommentator treffend bemerkte, Giordano viel zu eitel sein dürfte, um sich von so einer Auszeichnung zu trennen, ist damit wohl kaum zu rechnen.

- Erhard Arendts exakte und zeitnahe Nachzeichnung der einzelnen Schritte, mit denen ein Skandal herbeigeführt werden sollte, wurde vermutlich auch von den zuständigen Personen gelesen. Es ist dadurch sehr offensichtlich, dass immer wieder dasselbe Häuflein von vielleicht einem Dutzend Leuten durchsetzen möchte, was in Deutschland erlaubt ist und was gefälligst nicht. (Ironischerweise sind das dieselben Leute, die sich als Kämpfer gegen die politische Korrektheit inszenieren wollen.) Broder braucht mittlerweile nur noch seinen Namen zu sagen, damit Leute wie Boris Palmer wittern, was hier gespielt wird. Kein Zauberer kann sein Publikum mit ständig denselben Tricks verblüffen, kein Komiker es mit ständig denselben Witzen zum Lachen bringen. Dass Neokonservative wie Broder, Joffe & Co. auf eine Kritikerin Israels dreinschlagen ist ungefähr so überraschend wie wenn Alt-Stalinisten in den achtziger Jahren einen Kritiker der Sowjetunion durch den Schmutz gezogen hätten, nachdem diesem ein deutscher Verdienstorden verliehen worden war. Auch die neokonservative Ideologie hat ihre Zukunft bereits hinter sich.

- In der rückhaltlos pro-israelischen Bloggerszene zwischen "Politically Incorrect" und "Spirit of Entebbe" sind Beschimpfungen unter der Gürtellinie so alltäglich geworden, dass die Betreffenden selbst anscheinend gar nicht mehr realisieren, wie sehr sie sich damit selbst outen. In zivilisierter Gesellschaft hingegen braucht man nur Broders Beschimpfungen im Verein mit den Inhalten der anonymen Hassmails vorzulesen, und schon wird klar, dass die Betreffenden alles andere als eine faire, sachliche Auseinandersetzung zu führen versuchen. Wer soll sich vor diesem Hintergrund noch von irgendwelchen Schmähungen und Unterstellungen zu Lasten Felicia Langers überzeugen lassen?

Ich erwarte zwar einiges von Broders Einfallsreichtum - auch in Situationen, wo es zunächst nicht so gut für ihn aussieht. Aber ich wüsste wirklich nicht, wie man dieses Ding noch drehen kann.