Freitag, Dezember 18, 2009

Warum Aufklärung gegen Islamophobie kaum eine Chance hat

In der "Frankfurter Rundschau" führt Naikan Foroutan zunächst einmal seitenweise aus, wie sehr die tatsächlich verifizierbaren Fakten den Angstphantasien der Islamophoben zuwiderlaufen. Zwei Beispiele aus einer langen Liste:

Wer liest die Antwort der Bundesregierung auf die in den Diskursraum geschleuderte Diffamierung Wolfgang Bosbachs (CDU), der die "Integrationsverweigerer" in Deutschland stärker sanktioniert wissen möchte, und der von der Faktenlage, die ihm seine Regierung daraufhin präsentierte, offensichtlich nichts weiß: 77 Prozent aller zur Teilnahme Verpflichteten nahmen an den Integrationskursen teil; bei der Nichtteilnahme kann nicht von Verweigerung gesprochen werden, vielmehr von diversen Fehl-Gründen wie Fortzug ins Ausland, Schwangerschaft, Eintritt in den Arbeitsmarkt.

Warum geht die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die Sonia Haug vor fünf Monaten für das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" erstellt hat, so sang- und klanglos an die "gefühlte Empirie" der Gesamtgesellschaft verloren? In dieser Studie wird den muslimischen Migranten ein deutlicher Wille zur Integration attestiert, basierend auf dem bisher größten hierzu empirisch erhobenen Datensatz. Die Studie zeigt: Wir haben keine stetig nachwachsenden Kopftuchmädchen in Deutschland: Insgesamt 70 Prozent der Musliminnen in Deutschland tragen kein Kopftuch, und die Zahl nimmt bei der zweiten Generation stetig ab.


Etliche Absätze mit weiteren solchen Erkenntnissen und Belegen später zieht Foroutan ein Fazit:

Während die Realität uns Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund also durchaus bescheinigt, dass wir uns aktiv einfügen wollen, ohne unsere kulturellen Wurzeln zu vergessen, dass uns eine erhöhte Frustrationstoleranz und höhere psychische Robustheit zugeschrieben werden, dass man auf Expertenseite unsere Sprachkompetenz als Bereicherung schätzt und unsere Vermittlerrolle im kulturellen Dialog hervorhebt, unser Empathievermögen und unsere Flexibilität lobt, und während wir langsam beginnen, uns als das neue weltoffene Gesicht Deutschlands zu präsentieren, als multi-ethnische "Neue Deutsche", beobachten wir eine rückständige, realitätsferne, griesgrämige und von Ur-Ängsten dominierte Empirie der öffentlichen Meinung.


Welche Urängste brodeln hier also allen Fakten zum Trotz auf? Auch hierfür liefert Foroutan eine klare Antwort:

Mit steigenden Integrationserfolgen, Bildungsaufstieg und unserer Präsenz im Elitenraum, mit Deutsch als "Muttersprache" und Muslimen als Nachrichtensprecher und Kulturpreis-trägern, beginnt die fiktive Konstante der kollektiven Identitätszuschreibung - "Deutsch-Sein" - als letzte sichere Ressource zu bröckeln. Dies lässt Abwehrmechanismen in der Mehrheitsgesellschaft wuchern, die ihre Identität dadurch zu festigen versucht, dass sie uns als "Andere" markiert.


Wer sich aufmerksam in die Diskurse der Rechten, von Broder bis zur "Jungen Freiheit", eingelesen und vor allem eingefühlt hat, erkennt hier den eigentlichen Grund für die Furcht vor dem Islam. Dass diese nur sehr begrenzt mit dem Islam selbst zu tun hat, wird durch etliche Aspekte klar: etwa dass gleichzeitig mit der Islamophobie auch der Antisemitismus steigt, dass in einschlägigen Blogs, Foren und Zeitschriften genauso gern etwa gegen Homosexuelle Stimmung gemacht wird wie gegen Muslime, dass die politischen Rechtsausleger Europas auch allen anderen Ausländern (in der Schweiz auch den Deutschen) den Kampf ansagen wollen und dass die Islamophobie am stärksten in einem Land wie der Schweiz aufflackert, dessen Selbstsicherheit in den Jahren zuvor aus ganz anderen Gründen arg gelitten hatte. Nein, der Islam erscheint nur als derzeit idealer Blitzableiter. Um die eigentlichen Gründe für die aktuell grassierende Angst zu erkennen, ist psychologisches Grundlagenwissen hilfreich, beispielsweise die Kenntnis von Fritz Riemanns Grundformen der Angst. Riemann unterteilte die Menschen in vier grundsätzliche Ausprägungen ihres Charakters. Für die Islamophoben trifft das zu, was Riemann über den zwanghaften Menschen befindet:

Der zwanghafte Mensch strebt die Dauer an, möchte sich in dieser Welt häuslich niederlassen und die Zukunft planen. Sein Wunsch ist eine feste, verlässliche, Zukunft. So wie die Zentripetalkraft möchte er alles verdichten, auf dass es sich nicht mehr bewegt, damit eine Stabilität gegeben ist. Seine Angst betrifft die Vergänglichkeit, das Irrationale und Unvorhergesehene. Alles Neue ist für ihn ein Wagnis und Planen ins Ungewisse ist ihm ein Greuel. In seinem Erleben ist die Vergänglichkeit gleich einem Tod.


Noch mehr Aufklärung (die eh kaum ein Islamophober zur Kenntnis nimmt) und noch mehr Integration (der Islamophobe wird sich immer auf die Fälle missglückter Integration stürzen) sind also nur eine geringe Hilfe gegen diesen neuen Fremdenhass. Dessen Ursprung sitzt tief in der Seele vergraben und nur dort kann er angegangen werden. Der Begriff "Islamophobie" (Phobie: krankhafte Angst) könnte mithin berechtigter sein, als mancher Kritiker dieses Begriffes glaubt.