Dienstag, September 07, 2010

Das Märchen von der "sechsten Partei" - Wenn ein Meinungsforscher anfängt, Politik zu machen

Die obskure Emnid-Umfrage, nach der 18 Prozent aller Deutschen eine Sarrazin-Partei wählen würden, wurde gestern vom BILDblog zerlegt. Das Blog Beim Wort genommen legt ergänzend dar, wie schwierig es ist, Näheres über diese obskure Emnid-Befragung herauszufinden:

Denn weder auf der Emnid-Seite noch auf Bild.de finde ich detaillierte Angaben zur Ausarbeitung der Studie. Es fehlen sämtliche Hintergrundinformationen, es fehlt alles, das Ergebnisse einer Studie eigentlich überprüfbar macht, das erlaubt, eine Studie einzuschätzen. Ich kann zum Beispiel nicht wissen, ob die Befragung telefonisch durchgeführt wurde oder schriftlich oder vis–à–vis. Das mag noch zu verschmerzen sein, weitaus problematischer ist, dass unklar bleibt, wie viele Personen befragt wurden und wie sie ausgewählt wurden. Wer auch nur ein wenig Ahnung davon hat, wie eine Befragung bewertet werden kann, wird an dieser Stelle schon extrem vorsichtig. Zum Beispiel macht es einen extrem großen Unterschied, ob die Probanden zufällig oder eben nicht zufällig ausgewählt wurden. Auch die Größe der Stichprobe ist relevant – zumindest, wenn es sich um eine Zufallsauswahl handelt. Aber eben: Nichts.


Dem unbenommen bezogen sich auf die Ergebnisse dieser angeblichen Umfrage zahlreiche Medien – so wie sich zuvor schon zahlreiche Medien auf das Geraune des Emnid-Geschäftsführers Klaus-Peter Schöppner bezogen hatten, es bahne sich eine wählerstarke "sechste Partei" rechts von CDU/CSU an. Warum eine solche rechtskonservative Partei in Wahrheit wenig Chancen hat, erklärte letzten Mittwoch überzeugend Arnulf Barin bei "Hart aber fair", auch Michael Spreng erklärt es ausführlich. In der Tat gibt es ja schon mehrere Versuche mit Parteien rechts der Union, etwa die "Republikaner". Sie alle scheiterten kläglich am Wahltag.

Warum also raunen konservative Medien insbesondere, aber nicht nur der Springer-Verlages neuerdings immer wieder von dieser "sechsten Partei"? Hier fällt auf, dass vielen in der Wolle gefärbten Konservativen die Union schon seit einigen Jahren zu weit nach links gerückt ist. Vor der Jahrtausendwende lautete eine gerne benutzte Parole, rechts von der Union dürfe niemals Platz für eine neue politische Kraft sein. Gelegentliche Ausfälle von Unionspolitikern wie etwa Stoibers Warnung vor einer "durchmischten und durchrassten Gesellschaft" sorgten immer wieder dafür, knallrechte Wähler ins Unionslager einzubinden. Solche Ausfälle finden aber seit einiger Zeit nicht mehr statt, weil sie der Union regelmäßig mehr geschadet als genutzt hatten. Auch Roland Koch war ja nach einigen Versuchen, den rechten Rand zu bedienen, vom Wähler zunächst abgestraft worden, bis Ypsilantis "Wortbruch", nicht mit der Linken zusammenzuarbeiten, Neuwahlen nötig machte.

Insofern liegt nahe, dass das beständige Gerede von einer drohenden "sechsten Partei" in Wahrheit dem Ziel dient, die Union wieder weiter nach rechts zu zerren. Stichwortgeber für dieses Gerede war allerdings, wie eingangs erwähnt, der Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner. Aber sollte er als Leiter eines der führenden Meinungsforschungsinstitute nicht politisch absolut neutral und insofern unverdächtig sein, den Anstoß für politische Kampagnen zu liefern?

Zweifel an dieser Neutralität entstehen, wenn man Schöppners aktuellen Beitrag Abkehr vom Diktat der "Gutmenschen" für das "Hamburger Abendblatt" liest, das ebenfalls zum Springer-Verlag gehört. Darin heißt es beispielsweise:

Die entscheidenden Fragen: Nimmt die Union noch ihre Wähler mit? Oder tut sich etwas am rechten Parteiflügel, bildet sich da womöglich eine sechste Partei? Die zweite: Unterwerfen sich die Deutschen weiter dem Diktat des Wünschenswerten - und verlieren sie dabei den Sinn für das Reale immer mehr aus den Augen? Oder trauen sich nun immer mehr, auch dort offene Aussprache zu fordern, wo sie es bislang unter dem Diktat des politischen Mainstreams nicht wagten: nämlich das für viele überbordende Sozial- und Reglementierungsdiktat infrage zu stellen.

Gut möglich, dass das Thema Ausländer nur der aktuelle Vorbote einer neuen Bewegung, der deutschen "Tea-Party", ist. Die eine zu gutmenschliche Politik, bei der sich der Staat in alles einmischt, ablehnt. Eine, die Leistung nicht mehr anerkennt, eine, die zu wenig die "Geber" - und zu viel die "Nehmer" berücksichtigt, eine, die glaubt, man könne immer mehr von den "Rechtschaffenen" erwarten.

(...) So könnte die Ausländerdebatte zum Vorboten eines generellen Bewusstseins- und Artikulationswandels eher konservativer Kreise werden. Eines, der auch die eigenen Interessen wahrgenommen haben will.


Die Frage, wie politisch neutral Emnid-Leiter Klaus-Peter Schöppner noch ist, kann sich nach der Lektüre seines Artikels über "gutmenschliche Politik" und eine "deutsche Tea-Party" jeder selbst beantworten.