Warum es eine starke Frauen- und eine schwache Männerbewegung gibt
Derzeit scheint es pro Jahr mindestens ein Buch zu geben, das die männerpolitische Debatte entscheidend voranbringt. War es 2008 Professor Walter Hollsteins "Was vom Manne übrig blieb" und 2009 die von Paul-Hermann Gruner und Eckhard Kuhla herausgegebene Anthologie "Befreiungsbewegung für Männer", überzeugt in diesem Jahr Dr. Matthias Stiehler mit "Der Männerversteher". Sein Buch liefert den Schlüssel dafür zu begreifen, warum die Geschlechterdebatte so geführt wird, wie es gegenwärtig der Fall ist. Als Mitbegründer des bundesweiten Netzwerks Männergesundheit sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit ist Stiehler ein ausgewiesener Experte und weiß, wovon er spricht. Viele seiner Erkenntnisse entspringen zahlreichen Gesprächen mit Männern in Beratungen, Gruppengesprächen und Workshops – ein solides Fundament, wenn es um den Einblick in Männerseelen geht.
In der Danksagung zu seinem Buch würdigt Stiehler vor allem den bekannten Psychologen Hans-Joachim Maaz, den er als "Freund und Lehrer" bezeichnet. Tatsächlich ist der Aufbau von Stiehlers Buch Maazens Werken durchaus ähnlich und Maaz hat es auch mit einem Vorwort gewürdigt, in dem er seinen Inhalt vorausnimmt. Maaz zufolge stellt Stiehlers Buch "das Bemühen von Männern, sich endlich selbst gut zu verstehen, in den Mittelpunkt. (...) Bieten sich Männer hingegen als 'Frauenversteher' an, handelt es sich meistens um 'Mutterbediener', die immer noch um die nie erhaltene Zuwendung betteln." Damit ist bereits eine der Kernthesen dieses Buches deutlich geworden.
Eine weitere Kernthese lautet, dass es eine "patriarchale Dividende", die Männerforscher wie Robert Connell zu sehen glaubten, in Wahrheit ebensowenig gibt wie eine vom Feminismus behauptete Unterdrückung der Frauen durch die Männer: "Die Männer sind in diesem Spiel ebenso Verlierer. Den Vorteilen, die sie haben und die von feministischer Seite immer wieder hervorgehoben werden, stehen ebensolche Nachteile entgegen." Mit dieser Erkenntnis schließt Stiehler an die politische Männerrechtsbewegung an, die sich in den letzten Jahren auch in Deutschland mit Gruppen wie MANNdat und AGENS gebildet hat und die diese Nachteile beseitigen möchte.
Als gravierendsten dieser Nachteile sieht Stiehler die mehrere Jahre kürzere Lebenserwartung von Männern: "Dabei ist einer der Grundsätze der Medizinsoziologie, dass sich die gesellschaftliche Stellung einer Gruppe in ihrer Lebenserwartung zeigt: je kürzer diese ist, desto schlechter ist auch die gesellschaftliche Situation. Dieser Grundsatz ist wissenschaftlich unumstritten und wird für viele Bereiche der Gesellschaft angewandt – nicht jedoch in der Geschlechterforschung. Denn dies würde ja folgerichtig zu der Frage führen, in welcher gesellschaftlichen Situation Männer leben, wenn sie im Durchschnitt mehrere Jahre weniger leben als Frauen. Doch diese Frage und erst recht die Suche nach Antworten wird seit Jahren gemieden. Die Gesundheitssoziologin Ute Gerhard wies bereits vor mehr als zwanzig Jahren auf diesen Widerspruch hin. Aber es scheint so, als interessiere sich dafür höchstens eine kleine Gruppe von Männeraktivisten. Unvorstellbar hingegen, dass es ebenso ruhig bliebe, wenn eine Statistik herausfände, dass die Lebenserwartung von Frauen geringer als die der Männer wäre." Wäre letzeres der Fall, würde man "diese Tatsache als Skandal betrachten und immer wieder den Finger in die Wunde legen. Undenkbar, dass eine solche Statistik nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Zustände angesehen würde."
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