"Land der Fiktionen"
Gerade, weil die Juden die Opferrolle langsam hinter sich lassen, weicht auch jener Zustand der Unberührbarkeit, der weithin insgeheim gegolten hat. Und – es mag unangenehm klingen – die Vorurteile haben neue Ziele gefunden. Kein Wort mehr von »Auschwitzkeule«, kein Wort von »Nun ist Auschwitz wieder möglich geworden«. Literatengeschwätz. Thilo Sarrazin, der Störenfried, hat – jenseits von der Frage nach Recht und Unrecht – klargemacht, was unter der zivilisatorischen Oberfläche brodelt: der Fremdenhass, die Ausländerfeindlichkeit. Zehn Prozent unserer Mitbürger stammen von woanders her oder von anderen ab. Wen interessieren da noch die paar Juden? Die wiedererrichteten Synagogen geben keinen Grund zum Anstoß. Anders als die überall entstandenen oder entstehenden Moscheen, in denen Dinge vorgehen sollen, von denen sich unsere Schulweisheit Schlimmes träumen lässt. Außerdem tragen die wenigsten Juden einen Bart und ihre Frauen weder Kopftuch noch Burka, weswegen sie in der Öffentlichkeit nicht identifizierbar sind. Der Islam, weltweit vorhanden, ist an die Stelle jener Hitlerischen Fiktion vom global agierenden Judentum getreten.
Günter Kunert erörtert in der Jüdischen Allgemeinen, wie sich Deutschland in den zwanzig Jahren seit der Einheit politisch gewandelt hat.
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