Das Märchen vom türkischen Macho
"Die Zeit" untersucht, wie in unseren Medien männerfeindliche Klischees und muslimfeindliche Vorurteile zusammenspielen, um ein komplett schiefes Bild zu ergeben:
Die nicht enden wollende Integrations- und Islamdebatte in Deutschland krankt vor allem an einer Oberflächenverhaftetheit des Blicks. Das Augenscheinliche prägt unsere Wahrnehmung und unsere (Vor-)Urteile über die Verhältnisse. So wird das Bild vom ungebrochenen Patriarchat in türkischen und arabischen Familien von niemandem hinterfragt. (...) In der psychotherapeutischen Arbeit mit türkischstämmigen Patientinnen und Patienten begegnet man einer Wirklichkeit, die die Geschichte von der Dominanz des Mannes als Mythos entlarvt. Die türkische Familie ist alles Mögliche. Sie kann für alle Mitglieder ein Ort von Einheit, Zusammenhalt, Wärme, Herzlichkeit und Liebe sein; aber auch von einzwängendem Liebesdruck, unrealistischen Erwartungen und Vorschriften. Eines ist sie ganz sicher nicht: Sie ist nicht der Ort, an dem die Männer das Sagen haben.
(...) Viele türkische Frauen nutzen das traditionelle Männerbild für ihre Zwecke: Ihr Mann soll ihre Vorstellungen durchsetzen, die Familie versorgen, stark und unantastbar – "männlich" – sein. Gleichzeitig aber wird der Mann in einer Kind-Position gehalten – von der eigenen Mutter und von der Partnerin. Es gibt Männer, die nicht entscheiden dürfen, was sie anziehen. Es gibt Männer, die niemals ihrer Mutter widersprechen würden. Es gibt Männer, die mit ihren Eltern zusammenleben und ihren ganzen Arbeitslohn aushändigen. Es gibt Männer, denen die Ehefrau eine Szene macht, wenn sie sich eigenhändig etwas in der Küche zu essen zubereiten. Und nicht zu vergessen: Zu jeder zwangsverheirateten Frau gehört ein zwangsverheirateter Mann.
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