3. Februar 2005
Angenommen, Sie würden nachts auf dem Gehweg ein Geldtäschchen mit 20 Euro finden: Würden Sie es auf dem Fundbüro abgeben oder das Geld dankbar behalten?
Für manche Leute mag das eine völlig klare Sache sein – entweder in die eine Richtung oder in die andere. Um denjenigen, denen es nicht so geht, zu helfen (oder die Entscheidung noch schwerer zu machen): Laut BGB ist man verpflichtet, sämtliche Fundsachen abzugeben, deren Wert über 10 Euro hinausgeht.
Nichtsdestoweniger war sowohl meine spontane Reaktion als auch die meiner Begleiterin an diesem Abend, die Kohle einfach einzustecken. In dem Täschchen fand sich nichts, was auf einen Besitzer schließen ließ: nur ein handschriftlicher Zettel mit Buchtiteln und ein paar Brocken einer unidentifizierbaren bräunlichen Substanz. Da ich finanziell immer extrem klamm bin, wären 20 Euro, für die man nichts weiter zu tun braucht, als das Geld einfach zu behalten, schon eine Hilfe. Andererseits war der Betrag nicht derart riesig, dass dessen Verlust seinen Besitzer in die Verzweiflugn treiben dürfte.
Auf der anderen Seite der Waagschale: Eine Gemeinschaft kann nur funktionieren, wenn sich jeder an die Gesetze hält (so er sie nicht aus gutem Grund für unethisch betrachtet), auch wenn er dabei kein Risiko eingeht, „erwischt“ zu werden. Außerdem ist es ohne großen Aufwand möglich, 20 Euro zu verdienen oder auszugeben, aber meine Integrität ist nicht käuflich, schon gar nicht für diesen Betrag. Wenn man als Autor für die einen eine gewisse Vorbildfunktion innehat und von den anderen ständig mit Dreck beworfen wird, ist es in Konflikten, bei Entscheidungen etc. oft wichtig, dass man sich selbst über seine eigene Integrität im Klaren ist. Und schließlich dachte ich mir: Wenn jemand bedürftig genug ist, dass er das Geld vermisst, wird er sich beim Fundbüro melden. Wenn das nicht der Fall ist oder der Betreffende von sich selbst auf andere schließt und annimmt, dass sowieso niemand die Kohle abgeben würde, würde er es lassen, und der Fund würde nach einer gewissen Frist wieder an mich zurückfallen.
Nun liegt das Wiesbadener Fundbüro extrem abgelegen, also was tue ich Trottel? Ich kreuze am nächsten Abend mit meiner Fundsache auf dem Wiesbadener Polizeirevier auf. Die junge Beamtin ist freundlich, wenn auch eher gelangweilt, was sich allerdings legt, als sie die „paar Brocken einer unidentifizierbaren bräunlichen Substanz“ in dem Täschchen als Haschisch erkennt. Was bedeutet, dass nicht nur das Dope, sondern auch die Kohle vom hessischen Staat einkassiert werden. Meine Argumentation, dass das eigentlich nicht der Sinn der Aktion war und dass ich den Zaster etwas nötiger hätte als Roland Koch, überzeugt die Beamtin nicht wirklich.
„Ich hoffe, dass Sie das nächste Mal trotzdem wieder so ehrlich sind“ sagt das Mädel abschließend zu mir. Bevor ich etwas erwidere, überlege ich mir gerade noch, dass man mir die geplante Antwort böswillig als Beamtenbeleidigung und nicht als freundschaftliches Angebot zum Oralverkehr auslegen könnte, was mich bei dieser Transaktion zum Schluss sogar finanziell in die Miesen bringen könnte. Immerhin tröstet mich die Beamtin damit, dass das Geld vermutlich einem wohltätigen Zweck zufallen würde. Und nicht zuletzt sind mir Polizisten mehr als einmal kostenlos in einer brenzligen Situation zur Hilfe gekommen. Beide Gedanken versöhnen mich dann wieder mit der Welt.
Und nachdem Sie gelesen haben, wie bereitwillig ich mich von Geld trenne, wissen Sie auch, warum ich finanziell immer so klamm bin. ;-)
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