28. Dezember 2005
Da albere ich an Heiligabend noch unter anderem über die Herren Miersch und Broder herum und erhalte heute schon eine ernste Nachricht, die mich wieder einmal fassungslos macht.
Dazu vielleicht eine kleine persönliche Vorgeschichte: Langjährige Leser meines Blogs wissen ja, dass einer meiner besten Freunde ein Wiesbadener Rechtsanwalt ist. Dem übersandte ich neulich auf privater Ebene einen Zeitungsartkel über die aktuellen Anfeindungen gegen mich, worauf er meinte, Mierschs Unterstellung, ich würde „antisemitischen Schrott“ verbreiten (bezogen auf ein Interview, in dem ich mich klar gegen Antisemitismus ausgesprochen und Strategien dagegen vorgeschlagen hatte, aber auch das entsetzliche Vorgehen der israelischen Regierung klar als solches benannte), diese Behauptung also sei eigentlich eine ideale Grundlage für eine Unterlassungsklage. Mierschs Unterstellungen seien ehrverletzend und juristisch durchaus belangbar. Ich winkte meinem Freund gegenüber ab, weil ich Mierschs Praktiken zwar ebenfalls widerwärtig finde, dem unbenommen aber der Ansicht bin, dass ein politischer Streit nicht dadurch ausgetragen werden sollte, dass einer dem anderen juristisch den Mund verbietet, sondern indem sich die überzeugendere Meinung durchsetzt. (Wenn Miersch dem Muslimmarkt-Betreibern Todesdrohungen unterstellt, selbst nachdem dafür längst ein gegenteiliges BKA-Gutachten vorliegt, mag das zwar ebenfalls üble Nachrede sein, aber juristisch nicht meine Angelegenheit.)
Gegen missliebige Meinungen Rechtsmittel einsetzen zu wollen scheint nun aber ausgerechnet bei jenen in Mode zu kommen, die selbst in ihren Texten am wildesten und maßlosesten zu Werke gehen. So erreicht mich heute folgender Solidaritätsaufruf Erhard Arendts, Betreiber des renommierten Palästina-Portals, das über jene Verbrechen in Israel berichtet, über die viele Medienjournalisten nur allzu gerne hinwegsehen. Diese Enttabuisierung scheint nicht jedem recht zu sein. Herrn Arendt zufolge wird er mit seinem Portal nämlich gerade von einem wahren Sperrfeuer juristischer Attacken unter Beschuss genommen – und zwar von Leuten und Organisationen, die man wohl nicht als jüdische oder israelische Lobby bezeichnen darf, weil das „Ressentiment und Hetze“ wäre, die aber genau diesen lobbyistischen Anschein ganz ausgezeichnet erzeugen. Das für mich Unglaubliche an Arendts Meldung ist, dass zumindest eine treibende Kraft bei diesem Sperrfeuer Mierschs famoser Kompagnon Henryk M. Broder sein soll. Und das macht mich fassungslos. Zugegeben: Erhard Arendt kritisiert auch Broder scharf, sei es, indem er ihn anhand seiner eigenen Zitate bis zur Kenntlichkeit entblößt, sei es durch Links auf Zeitungsartikel wie diesen hier, dem zufolge Broder auch schon mal auf die Juden schimpft, weil diese „zu blöd seien, aus den Arabern gefillten Fisch zu machen“. Klar, dass einen solch unverblümte Kritik wurmt. Nun ist allerdings Broder selbst einer, der wenig Hemmungen zeigt, wenn es um persönliche Beschimpfungen, Beleidigungen und Angriffe unterhalb der Gürtellinie geht. (Beispiele sind en masse auf Broders Website und in seinen Einträgen bei der „Achse des Guten“ nachzulesen). Und ausgerechnet dieser Mann geht gegen Kritik an seinen Äußerungen mit angedrohten Unterlassungsklagen vor? Wie gesagt, fast fällt es mir schwer zu glauben. Andererseits habe ich keinen Grund, an Herrn Arendts Behauptungen zu zweifeln und bin ja auch aus eigener Erfahrung selbst bestens über die wenig feinen Methoden jener „Achsenmitglieder“ informiert, die sich anscheinend selbst als „die Guten“ bezeichnen mussten, weil wohl kaum ein verständiger Leser von sich aus auf diesen Gedanken gekommen wäre. Unterstützt wird Erhard Arendts lesenswerter Solidaritätsaufruf hingegen auch von so integren, respektablen Publizisten wie Felicia Langer und Anis Hamadeh.
Was also geht hier vor? Hier sind es Abmahnungen und Kontopfändungen als Weihnachtsgeschenk, dort werden Leute mit Dreck beworfen, indem man sie als „antisemitisch“ verleumdet. Geht es hier wirklich nur um den bekannten Charakterfehler, dass manche Leute bei weitem besser austeilen als einstecken können? Oder liegt hier die Methode nicht eher darin, dass jegliche allzu laute Kritik an den Untaten von Sharon und Konsorten mit allen Mitteln unterbunden werden soll, damit diese Greuel so ungestört wie irgend möglich über die Bühne gehen können? Michael Miersch äußerte in seinem Interview für „eigentümlich frei“ den schönen Satz: „Die Fälle Möllemann und Hohmann, wo es durch den Vorwurf des Antisemitismus zu einem echten Karriereknick kam, sind seltene Ausnahmen.“ Übergehen wir einmal den Zynismus, Möllemanns Tod als „Karriereknick“ zu bezeichnen, übergehen wir ebenso die anderen von Miersch „vergessenen“ Fälle, in denen Menschen durch solche Unterstellungen auch beruflich schwer zu Schaden kamen: Hört man aus Mierschs Worten etwa ein Bedauern heraus, dass der Automatismus „Antisemitismusvorwurf führt zu Karriereknick“ hierzulande noch immer nicht so gut greift, wie es mit etwas mehr gutem Willen doch möglich wäre? Erweist sich Ludwig Watzal momentan als gar zu zäh? Wird noch etwas mehr McCarthy hier von einigen geradezu herbeigesehnt? Dabei muss es nicht erst der „Karriereknick“ sein, der Menschen in Angst versetzt, ihre Meinung zu den Greueln im Nahen Osten offen zu sagen: Die Furcht vor einer monatelangen Hetz- und Verleumdungskampagne wird den meisten durchaus genügen. Eine ganze Bandbreite potenziell existenzbedrohender juristischer Attacken nicht weniger.
Zur Hitlerzeit hat man sich gefragt, warum so viele Menschen auch außerhalb Deutschlands die Klappe gehalten und nicht eingegriffen haben, obwohl ihnen das himmelschreiende Unrecht doch sichtbar sein musste. Vielleicht sollte man sich statt mit der unveränderbaren Vergangenheit wenigstens ein bisschen mehr mit der veränderbaren Gegenwart beschäftigen und schauen, welche Interessensgruppen heute aus welchen Gründen wieder Erfolg haben, wenn über Verbrechen geschwiegen werden soll. Da mögen sich manche zu tapferen Widerständlern gegen „antisemitische Verschwörungen“ phantasieren, als ob wir heute immer noch in den dreißiger und vierziger Jahren lebten, obwohl eben diese Leute heute von einer Talkshow zur anderen irrlichtern, prominent und gutsituiert für die „Welt“ schreiben und für den „Spiegel“ und für Kriege werben, in die andere Menschen ziehen müssen, während die Provokateure selbst geschützt am Schreibtisch sitzen oder in Haifa Wein süffeln und in Berlin Champagner. Man lebt anscheinend ganz gut im Kampf „Gut gegen Böse“, wenn man nur darauf achtet, dass die „Guten“ diejenigen sind, die – ob Bush, Sharon oder die Springerpresse – sich gerade an der Macht befinden. Die weiße Rose war da offenbar einfach zu blöde für. Selten war der nachträgliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus so billig zu haben. Den wahren Widerstand allerdings findet man heute wie damals eher im Verborgenen: auf kleinen, ehrenamtlichen, der ganz breiten Öffentlichkeit kaum bekannten, aber in Sachen Frieden und Menschenrechte um so engagierteren Internetseiten wie denen von Erhard Arendt. Und schon deshalb hat dieser jede Solidarität verdient.
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