28. Juli 2006
Ich habe für dieses Blog die Kommentarfunktion abgeschaltet, seit ich mich hier dezidierter zum Thema Naher Osten, Antisemitismus etc. äußere, weil mir die Zeit fehlt, regelmäßig nachzuschauen, ob mir nicht irgendwelche pubertierenden Provos judenfeindliche Sprüche oder ähnlichen Müll hinterlassen haben. Falls jemand auf meine Kommentare erwidern möchte, funktioniert das am besten per Mail, wobei ich solche Repliken hier hin und wieder ebenfalls veröffentliche, freundliche ebenso wie unfreundliche. Heute morgen erreicht mich ein ungewöhnlich ausführliches Lesermail:
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
ich möchte Ihnen zu ihrem ausgewogenen Beitrag (26 Juli) zum aktuellen Nahostkonflikt gratulieren. Daran können sich die Herren Miersch, Broder und Küntzel mal ein Beispiel nehmen, dass man jederzeit kritisch ein Thema aufs neue bewertet, statt dumpf die vorgefertigte Meinung aus der Schublade zu ziehen.
Auch ich pendle, einerseits, zwischen Verständnis für die Sicht Israels, aufgrund der Tatsache, dass die Hezbollah isralische Städte unter Beschuss nimmt, und der Verurteilung von Israels Reaktion darauf, wegen der angewandten Methoden. Auch habe ich kein Verständnis für den Zynismus der UN, die die Sache ziemlich verpennt haben, nun aber lauthals protestieren, dass man doch die Angelegenheit zunächst einmal diplomatisch regeln müsse.
Anmerken möchte ich folgendes: Sie haben in Ihrem Artikel die beiden Seiten der Medaille angesprochen, welche Auswirkungen die Gegenwehr, oder ausbleibende Gegenwehr, gegen die Aggression der Hezbollah haben kann. Auch diese Frage habe ich mir gestellt. Meine Erkenntnis: Es kann auf diese Frage keine allgemein gültige Antwort geben, wie man sich zu verhalten hat.
Das Vorhaben Israels, die Hezbollah zu zerschlagen, ist an sich gerechtfertigt. Viele der Libanesen wären froh, wenn Israel den militanten Arm der Hezbollah aus ihrem Land vertriebe. Allerdings nicht mit derart hohen Opfern, die in keinem Verhältnis zu dem eigentlichen Auslöser stehen, den Raketenangriffen der Hezbollah. Selbst Israel hat nun mehr Opfer zu beklagen, als in den Monaten vor der Offensive. Und das sollte einen doch mal über die angeführte Selbstverteidigung nachdenken lassen.
Eines finde ich in dem Zusammenhang ebenfalls anmerkenswert. Israel besetzte den Südlibanon ja ursprünglich, um die PLO zu bekämpfen, die damals aus Libanon operierte. Die PLO konnte man von dort vertreiben, aber die Besetzung des Südlibanon war Auslöser für die Gründung der Hezbollah.
Man wird in diesem Konflikt immer in Teufels Küche geraten wenn man sich nur einen Anlass, oder einige wenige Anlässe heraus greift und diese(n) wiederum als Begründung für eine Reaktion heranzieht. Das kann in der Betrachtung des Nahostkonflikts schon lange nicht mehr funktionieren.
Israel muss sich endlich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, um damit auch endlich die wichtigste Resolution zu erfüllen. Das ist auf jeden Fall ein Punkt, der für viele Gegner ein Grund liefert, bzw. immer wieder angeführt wird, um Israel zu bekämpfen. Dass man von den Palästinensern jetzt allzu großen Jubel über den geräumten Gaza-Streifen erwartete, legt nur dar, wie wenig man sich in die Situation der Palästinenser hineinversetzen kann. Ein bisschen kommt es mir so vor als erwarte man von einem gequälten Schüler, dass er hoffnungsvoll seine Peiniger auf dem Schulhof betrachtet, weil die ein paar Quälereien aus dem Repertoire der Schikanen gestrichen haben. Ob der Rückzug aus dem Gaza-Streifen Signal genug an die Palästinenser war, auf weitere Gebietsrückgaben zu hoffen, ist schwer nachzuvollziehen. Aber anscheinend war es das nicht.
Auch ist es natürlich schwierig, eine Bewertung in der Frage vorzunehmen, ob es legitim ist, sich zwischen der Zivilbevölkerung zu verstecken und so diese unnötig zu gefährden? Auch hier kann es keine allgemein gültige Aussage geben. Betrachten wir einmal den palästinensisch-israelischen Konflikt. Die Palästinenser führen einen anerkannten Befreiungskampf. Man kämpft gegen eine hochgerüstete Armee. Natürlich ist man geneigt anzumerken, dass es doch von der Hamas feige ist, sich zwischen Zivilisten zu verstecken und diese zu gefährden. Das Problem innerhalb dieser Betrachtung ist, dass man von der Hamas verlangt, nach den Regeln einer militärisch hoch gerüsteten Armee zu agieren. Würde man sich an gleicher Stelle bereitwillig als Übungsziele für High-Tech Waffensysteme präsentieren? Wohl kaum! Ist es fairer/mutiger wenn israelische Soldaten mittels High-Tech-Waffen gegen den palästinensischen Widerstand vorgehen?
Im Falle der Hezbollah sehe ich diese Taktik mit anderen Augen. Die Hezbollah führt eigentlich keinen Befreiungskampf mehr, gegen Israel. Ob man die Shebaa-Farmen wirklich als Grund akzeptieren mag, Israel anzugreifen und die eigene Bevölkerung zu gefährden, ist mehr als hinterfragenswert. Natürlich ist es daher anders zu bewerten, wenn sich die Hezbollah unter Landsleuten versteckt. Nehmen wir also einmal ruhig an, dass die Hezbollah mutwillig die Bevölkerung gefährdet. Man kann das man das zwar verurteilen, dennoch wird einem dadurch nicht automatisch das Recht zuteil, die Zivilbevölkerung abzustrafen. (Oder hat jemand schon einmal davon gehört, die Polizei sei legitimiert, Bankräuber ohne Rücksicht auf Geiseln zu stellen?) Erst recht nicht, wenn sich die Katjuscha-Stellungen der Hezbollah
gar nicht in Beirut befinden und hauptsächlich massenhaft zivile Einrichtungen zerstört werden, die nichts mit dem Kampf gegen die Hezbollah zu tun haben. Spätestens dann wird es doch reichlich fragwürdig, und schnell drängt sich der Verdacht der Ausrede auf.
Eines hat mich der palästinensisch-isralische Nahostkonflikt gelehrt. Man muss sich von althergebrachtem Verständnis des Krieges verabschieden. Den Krieg als eine Option zu betrachten, der mit einer gewissen zivilisierten Logik - der möglichst humanen Kriegsführung - nach festgelegten Standards geführt werden kann, ist ein Irrglaube. Eine Unterteilung in meine und deine Zivilisten ist von vorneherein Quatsch. In Friedenszeiten würde man sich hüten, Leben gegeneinander abzuwägen.
Fazit: Ich will Israel nicht die Verteidigung der eigenen Bürger absprechen. Israel muss sich aber selbst die Frage stellen, ob es den Belzebub nicht mit dem Teufel austreibt? Rechte haben ist eines. Einen Nutzen davon zu haben etwas ganz anderes.
Mit freundlichem Gruß
Uwe Bieser
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