Bahnfahrt mit Leserbriefen
Gestern musste ich für Aufnahmen mit dem ARD-Magazin „Polylux“ eine kleine Bahnreise unternehmen, wofür ich mich am Kiosk des Wiesbadener Hauptbahnhofes mit der nötigen Literatur eingedeckt habe. Ich entschied mich für die Berliner „taz“, die „Junge Freiheit“, das Lesben-Magazin „L.Mag“ und die „Newsweek“.
Am interessantesten in der „taz“ fand ich ein ausführliches Interview mit dem Unternehmer Götz Werner, der das Bürgergeld fordert. (Passenderweise hatte meine Verlegerin Bettina Tegtmeier vorige Woche dieselbe Forderung im Szenemagazin SCHLAGZEILEN erhoben.) In allen drei anderen Periodika fanden sich die aus meiner Sicht bemerkenswertesten Beiträge auf den Leserbriefseiten.
So schrieb der „Jungen Freiheit“ (die diesmal übrigens den Schauspieler Heiner Lauterbach für ihren Fragebogen gewinnen konnte) ein Prof. Dr. Alfred De Zayas, Präsident des Pen-Zentrums Suisse Romande und ehemaliger Sekretär des UNO-Menschenrechtsausschusses, im Zusammenhang mit dem mehr als umstrittenen Historiker David Irving: „Es geht nicht darum, ob wir mit einem bestimmten Schriftsteller einverstanden sind oder nicht, sondern lediglich darum, ob er ein Recht auf Meinungsfreiheit hat. Das einschlägige österreichische Strafgesetz (wie übrigens das deutsche auch) ist menschenrechtsfeindlich und inkompatibel mit Artikel 19 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Aber nicht einmal der UN-Menschenrechtsausschuss wagt es, diese Feststellung zu treffen. Auch der MRA muss seine oft feige, politisch korrekte Haltung überdenken.“ Starke Worte von hoher Stelle.
Eher kurios dagegen die Leserbriefe im L.mag: In dessen vorhergehender Ausgabe war offenbar ein „lesbischer Mann“ porträtiert worden, was einige irritierte Reaktionen hervorrief. („Mich erinnert Uwe eher an einen Typus aus dem Cosmopolitan-Artikel `Nett – nichts fürs Bett´ – betreffend das Dilemma von Männern, die durch ihre `softe´ Art weder bei Frauen noch bei Männern Verständnis finden“ kommentierte der Leser „Gerd“.) Hm ... ein „lesbischer Mann“ ist eines der Themen, die auch ich noch nicht in meinen Büchern behandelt habe.
Die „Newsweek“ hingegen hatte zuvor den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad interviewt. Das führte zu einigen sehr bemerkenswerten Leserbriefen:
In the interview with Iran´s President Ahmadinedschad, Lally Weymouth defined “terrorists” as people who kill civilians. Does that extend to Americans who have killed civilians in Iraq, Afghanistan, Vietnam, Hiroshima, etc.?
Kenn Johnson, Mt. Sterling, Kentucky
Even though I don´t agree with most of Iranian President Mahmoud Ahmadinejad´s rhetoric, during his interview with Lally Weymouth he did make some interesting points. In fact, I find nothing unreasonable in (in fact, I wholeheartedly agree with) his hope that President Bush will change his behavior as well as his attitude. For starters, I find Bush´s “do as I say, not as I do” arrogant attitude truly appalling. We continue to demolish Iraq and Afghanistan with bombs and kill innocent citizens whle demanding that other nations give up any intention of producing nuclear weapons.
Joann Lee Frank, Clearwater, Florida
Lally Weymouth´s interview of Iran´s President Ahmadinejad is both blatantly one-sided and inexcusably naïve. This sort of us-against-them mentality is at the root of most of the problems we are currently facing in the Middle East. Perhaps Weymouth would do well to remember all the civilians killed by the Israeli Army during decades of military campaigns and occupation in the region. Does she consider Israel a terrorist state? What about the 50,000 or so Iraqis who have died as a direct result of the American invasion of their country? It is ridiculous to think that none of these innocent people were killed by U.S. troops. Should we be imprisoning our own US. soldiers at Guantanamo? Why is it, exactly, that anyone who takes issue with the Bush administratrions´s aims is automatically labeld a terrorist or terrorist sympathizer? I think Ahmadinejad is well within his rights, coming here and telling Bush how to behave. After all, that is exactly what our president is doing all over the world.
Geoffrey Holt, Bainbridge Island, Washington
In the interview with Mahmoud Ahmadinejad, Lally Weymouth says that people are terrorists “if they started killing civilians”. Hamas certainly fits this description, but so does Israel, which has killed many more civilians than all Palestinian groups combined, while the United States is responsible for many times their combined bloody total in Iraq alone. Ahmadinejad may well be a loose cannon, but in terms of death and destruction he´s in the minor leagues compared with Bush.
Steve Juniper, Berkeley, California
Was bitte geht hier eigentlich schon wieder ab? Erhält in den USA Ahmadinedschad inzwischen schon mehr Zustimmung als George Bush? Wenn Deutsche solche Leserbriefe schrieben, würden sie von den üblichen Verdächtigen sofort als antisemitisch und antiamerikanisch abqualifiziert. Man hat den Eindruck, hier ist wirklich einiges im Wandel.
Ach ja, der Dreh mit dem „Polylux“-Team verlief durchaus vielversprechend – wenn man mal von meiner Unfähigkeit absieht, im Interview in kurzen und prägnanten Soundbites zu sprechen, statt in meine Sätze ständig Modifikationen und andere Einschübe einfließen zu lassen. Begleitend wurde ich in einigen stimmungsvollen Aufnahmen inszeniert, die in der fertigen Fassung hoffentlich angemessen melancholisch wirken. Der Beitrag soll an einem der nächsten Donnerstage ausgestrahlt werden.
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