Freitag, Dezember 18, 2009

Islamophobie: Demokratie und Liberalität in Gefahr

Raphael Gross skizziert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Situation nach dem Minarettverbot:

Das Schüren von Ressentiments hat in der Schweiz eine Situation geschaffen, die für Demokratien problematisch ist: Plötzlich gibt es eine deutliche Mehrheit von Bürgern, die bereit ist, mit demokratischen Mitteln undemokratische Projekte zu verfolgen. Der Abstimmungserfolg zum Verbot neuer Minarette könnte ein Anfang sein. Vorschläge werden bereits diskutiert. Der Präsident der Christlichen Volkspartei der Schweiz scheute noch nicht einmal vor muslimischen und jüdischen Gräbern zurück. Gleichzeitig erhöht sich der Druck gegen liberale Kräfte, etwa auf den prominenten Schweizer Historiker Georg Kreis, den langjährigen Präsidenten der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. In einer Talkshow verwies Kreis auf ein zentrales Problem der Diskussion: Wie wären Demokraten in den dreißiger Jahren mit Abstimmungsresultaten umgegangen, welche die „Verjudung der Schweiz“ zum Inhalt gehabt hätten? Das war eine Frage zu viel – es hagelte Rücktrittsforderungen, auch aus der eigenen Freisinnigen Partei.


Mit anderen Worten: Es gibt plötzlich neue Sprechverbote. Nur tritt hier auffälligerweise niemand der Pseudoliberalen aus der rechten Ecke für eine "tabulose Redefreiheit" ein – die wird immer nur gefordert, solange man damit die eigenen radikalen Positionen als Gewinn für die Meinungsfreiheit zu verkaufen sucht. Tatsächlich geht es hier um nichts anderen als Populismus: Mit einer Rhetorik, die von Freiheit und Demokratie spricht, wird in Wahrheit Liberalität, in diesem Fall die Religionsfreiheit von Minderheiten, abgebaut. Auch dass man als Rechter in den Medien keine Stimme habe und ständig gegen den Strom schwimme, erweist sich als unwahr. Die Wirklichkeit sieht so aus:

Die antiliberalen Kräfte feiern einen großen politischen Sieg. Mit Häme treiben sie ihre Gegner vor sich her. Die ihnen verhasste „Classe Politique“ halten sie nun in Schach, indem sie von morgens bis abends in sämtlichen schweizerischen Medien ihren Gegnern Arroganz und Demokratiefeindlichkeit unterstellen. Sie zelebrieren ein Zerrbild direkter Demokratie, welche im Kern auf eine Verabsolutierung des „Volkswillens“ hinausläuft. Die „Classe Politique“ und das Ausland leugneten – so der Kern des Ganzen – den absoluten Wahrheitsanspruch des Schweizer Volkes als Souverän. Ihr zur Inkarnation der Demokratie erhobener Volkswille ist absolut und schrankenlos. Sämtliche demokratischen Grundrechte scheinen vor dem Diktat der absoluten Wahrheit des Volkes nur noch laues Geschwätz einer verlogenen Klasse.


Diese Situation kommt einem mit Blick auf die deutsche Geschichte erschreckend bekannt vor.