Traumatisierungen, die Frank Plasberg einen Scheißdreck interessieren
Eigentlich wollte ich die sexistische Propagandaveranstaltung, unter der "Hart aber fair" diese Woche gelaufen ist, gar nicht mit einem eigenen Blogbeitrag würdigen. An den Zuschriften, die ich danach erhalten habe, kann ich aber ablesen, wie immens der Ärger vieler ARD-Zuschauer ist. Ein Leser schreibt mir:
Da du wahrscheinlich auch schon von der gestrigen Plasberg-Runde gehört haben wirst, welche sich ausschließlich mit Männergewalt beschäftigt hat (der Film davor war im Vergleich zu der Runde noch richtig reflektiert, der Mann wurde gar nicht als eindimensionales Monster dargestellt) -- als man sich mit Zuschauerreaktionen beschäftigt hat, wurde das Thema Gewalt gegen Männer auch noch ganz kurz angeschnitten, aber für nicht wichtig erklärt und der Lächerlichkeit preisgegeben (ab 49:30 in der Mediathek; O-Ton des Pfarrers Martin Dubberke: "Ja, das [Gewalt gegen Männer] kommt vor, das gibt es. Es gibt auch eine Untersuchung in Großbritannien, die aber recht zweifelhaft ist, weil die geht davon aus, dass es ein Verhältnis von 49 zu 51 % gibt. Das ist eine Studie, die Herr Block [gemeint ist offenbar der Mainzer Professor für Kriminologie Michael Bock] immer ganz gerne zitiert." - Plasberg: "Ja, gut. Aber das ist so ein Fachzeug ... Auf der Insel fahren sie ja auch links."[Gelächter im Publikum] - Pfarrer: "Diese Studie ist deshalb nicht so spannend, weil" - Plasberg: "Ja, dann lassen Sie sie doch!" - Pfarrer: "Ich sag's trotzdem weiter, weil jetzt kommt ja das Spannende an der Geschichte. Weil die Studie nicht sagt, warum die Hälfte gewalttätig ist. D.h. wir wissen ganz genau, dass es in Beziehungen von beiden Seiten auch Gewalt geben kann, die Frage ist immer nur, von welcher Seite geht die Gewalt zuerst aus. Das ist die spannende Frage." Danach darf noch die Familienrichterin Isabell Götz sagen, dass es so etwas so gut wie nicht gibt.
Nun scheiterte das Erinnerungsvermögen (oder Wissen) Martin Dubberkes nicht nur an dem Namen Professor Bocks. Auch sein unterschwelliges Suggerieren, häusliche Gewalt gehe wesentlich häufiger von Männern aus und alles andere sei fragwürdig, entspricht längst nicht mehr dem tatsächlichen Stand der Forschung. Und der spiegelt sich nicht in "einer englischen Studie" wider (es ist unfassbar, mit welchem Halb- und Viertelwissen sich manche Leute trauen, dozierend im Fernsehen aufzutreten), sondern in hunderten internationaler Untersuchungen. Um das herauszufinden, müsste man allerdings erst einmal beginnen, zu diesem Thema zu recherchieren – was wohl zuviel verlangt ist, bevor man sich in einer vielgesehenen Talkshow dazu äußert. Das konnte man offenbar weder von Plasbergs Redaktionsteam noch von Martin Dubberke, Isabell Götz & Co. erwarten.
Pia Mester fällt in einem Beitrag für Der Westen immerhin auf, was für eine überholte und einseitige Sicht auf häusliche Gewalt Frank Plasberg seinen Zuschauern bietet:
Aber warum ging es eigentlich nur um gewalttätige Männer? Was ist mit den Frauen, die ihren Partner quälen? Das fragten sich die Zuschauer und protestierten per Mail und Fax. Moderator Plasberg wagte einen Erklärungsversuch: Statistisch, und da pflichteten ihm alle Talkgäste bei, seien es eben viel mehr Männer als Frauen, die ein Aggressivitätsproblem hätten. Eine Aussage, die wohl keinem Kind viel hilft, wenn es von Mama mal wieder eine Backpfeife kassiert.
Und nebenbei bemerkt, besteht das erste und offensichtlichste Zeichen dafür, dass einen eine Talkshow manipulieren will, darin, dass alle Gäste so ausgewählt wurden, dass sie einer von der Redaktion bzw. dem Moderator vorgelegten These einhellig beipflichten. Von männlichen Opfern häuslicher Gewalt über die Betreiber eines "Männerhauses" und ähnlicher Hilfsdienste bis zu anerkannten Soziologen wie Professor Amendt hätte man die unterschiedlichsten Vertreter erhellender Gegenpositionen einladen können. Frank Plasberg allerdings war an einer offenen Debatte mit unterschiedlichen Meinungen genausowenig interessiert wie am aktuellen Stand der Forschung (oder in Plasbergs Worten "so einem Fachzeug"). Er scheint die Zuschauer seiner Sendung für so unterbelichtet zu handeln, dass sie von einem Hauch von Wissenschaft genauso überfordert wären wie von einer echten Kontroverse. Bei einem so wichtigen und schwierigen Thema wie häuslicher Gewalt ist diese Haltung, erst recht im Zusammenhang mit der von Plasberg geheuchelten Betroffenheit, einfach nur schäbig.
Aber so läuft das wohl hierzulande: Kaum liegt eine neue umfassende Untersuchung vor, die einmal mehr bestätigt, dass in Deutschland so wie in zig anderen Ländern der Welt Männer ähnlich häufig von häuslicher Gewalt betroffen sind wie Frauen, müssen unsere Medien mit aler Macht gegensteuern und die Bevölkerung darauf eichen, dass "häusliche Gewalt" immer noch gleichbedeutend mit "Gewalt gegen Frauen" ist. Dass ausgerechnet Frank Plasberg bei dieser Nummer den Karl-Eduard von Schnitzler geben würde, hat mich dann aber doch überrascht. Auch bei zukünftigen Themen, die "Hart aber fair" aufgreift, muss man jetzt also davon ausgehen, dass die Sendung ideologisch verzerrt und manipuliert, dass sich die Balken biegen. Mit der Ausnahme Johannes B. Kerners ist wohl noch nie zuvor ein TV-Moderator im Respekt etlicher Zuschauer so rasant ins Bodenlose abgestürzt wie Plasberg.
Während für ihn häusliche Gewalt also nur von Bedeutung ist, wenn die Opfer dem richtigen Geschlecht angehören, ist man in der Fachwelt seit Jahrzehnten wesentlich weiter. Und gerade dieser Tage berichtete eine Meldung des amerikanischen Gesundheitsdienstes "Medline" von den traumatisierenden Folgen, die häusliche Gewalt für viele Männer hat:
Men who are victims of domestic abuse by their female partners can develop psychological trauma, such as post-traumatic stress disorder (PTSD), depression and suicidal thoughts, new research finds.
Researchers looked at a group of 302 men who sought professional help after experiencing what the researchers called "intimate terrorism," which refers to high levels of violence and controlling behavior by female partners.
Hier geht es weiter.
Frank Plasberg mögen solche Traumatisierungen, solange er selbst nicht betroffen ist, am Allerwertesten vorbeigehen. Und dass man hierzulande in anderen Talkshows für ein Massenpublikum darüber informiert wird, steht auch nicht zu erwarten. Sobald es um das Geschlechterthema geht entfernen sich die deutschen Medien und die Erkenntnisse der Wissenschaft in einem Tempo voneinander, das atemberaubend ist. Nur gibt es mittlerweile das Internet, das über dieses Missverhältnis aufklärt. Wen wundert es da noch, dass der Ruf, den deutsche Journalisten in der Bevölkerung genißen, mit jedem Jahr schlechter wird?
Nun ist aber gottseidank nicht jeder Journalist ein Frank Plasberg. Aktuell überholt sogar das Privatfernsehen die öffentlich-rechtlichen Sender an Mut, Aufrichtigkeit und Seriosität, was dieses Thema angeht. Nach dem Vorbild eines Experiments des amerikanischen Senders ABC hat jetzt nämlich das Pro7-Magazin "Taff" mit versteckter Kamera ermittelt, wie sich das Plasberg-Syndrom – die komplett unterschiedliche Beurteilung von Gewalt, je nachdem ob sie von Männern ausgeht oder von Frauen – sonst noch zeigt. Wie reagieren Passanten, wenn eine Frau in Rage zum Beispiel auf einen am Boden liegenden Mann eintritt? Hier kann man sich das ebenso gelungene wie aufrüttelnde Video dazu anschauen.
Vielleicht sollten wir der Redaktion dieser Sendung dafür herzlich danken. Meine Mail an "Taff" ist jedenfalls schon unterwegs.
<< Home