Donnerstag, Mai 05, 2011

US-Chefchirurg begrüßt antidepressive Wirkung von Sperma: Rücktritt

Zunächst: Ich weiß nicht, ob jedem Leser dieses Blogs bekannt ist, dass Sperma auf Frauen eine antidepressive Wirkung auszuüben scheint. Ich zitiere dazu mal eben mein eigenes Buch Eine Frage der Größe:

(...) Auf diese verblüffende Erkentnis stieß Gordon Gallup, Biopsychologe an der Universität des US-Bundesstaates New York, als er gemeinsam mit seinen Kollegen Rebbeca Burch und Steven Platek 293 sexuell aktive Studentinnen untersuchte. Dabei stellte sich heraus: Je häufiger die Partner dieser Frauen beim Sex Kondome benutzten, desto häufiger litten die Studentinnen unter depressiven Stimmungen. Sie quälten sich auch eher mit Selbstmordgedanken. Je weniger Präservative im Einsatz waren, desto mehr gingen solche Stimmungstrübungen hingegen zurück. Auch seltener Geschlechtsverkehr steigerte die Zahl der Depressionen, was sich bei längerer Enthaltsamkeit immer stärker bemerkbar machte. Häufigere Injektionen durch die Partner dieser Frauen führten zu größerem Glücksgefühl.

Nun könnte man einwenden, dass seltener Sex eben generell schlechtere Laune bereitet und umgekehrt: Je schlechter die Laune, desto weniger Lust auf Sex. Aber ein solcher Zusammenhang lässt sich wohl kaum von der Häufigkeit der Kondombenutzung ableiten. Deshalb gehen die Sexualforscher inzwischen stark davon aus, dass die männliche Samenflüssigkeit Hormone oder andere Botenstoffe enthält, die über die Vagina der Frau aufgenommen werden, in ihren Blutkreislauf gelangen und bei ihr zu anhaltend angenehmen Gefühlen und insgesamt einer seelischen Aufheiterung führt. Im Gespräch ist hier vor allem das Hormon Prostaglandin, das vom weiblichen Genitaltrakt aufgesogen werden und seinerseits die Hormone der Frau beeinflussen könnte. Denn auf Prostaglandin trifft nachweislich beides zu: Es ist Bestandteil des Spermas und es dämpft Depressionen.

Gallup geht sogar so weit zu sagen, dass Sperma in gewisser Weise abhängig macht. Möglicherweise, so Gallup, könne das auch die im allgemeinen schlechtere seelische Verfassung von Frauen während ihrer Periode, nach der Geburt oder in den Wechseljahren erklären. Ausbleibendes Sperma führt möglicherweise zu Entzugserscheinungen. Womit sich eines der fürchterlichsten Porno-Klischees ("Geiles Mäuschen giert nach deinem Saft!") bewahrheiten würde …

Sicherheitshalber warf die Forschergruppe um Gallup auch einen Blick auf andere denkbare Zusammenhänge: Könnte es nicht einfach sein, fragten sie sich beispielsweise, dass häufiger Sex ohne Kondome eher in intimeren und gewachseneren Beziehungen vorkommt und dass bei diesen Partnern auch seltener Depressionen auftreten? Sind Leute, die das Benutzen von Kondomen verschlampen, generell etwas dümmer und unbekümmerter – dümmere Menschen sind immer besser drauf als die intelligenten? Oder brachte einen das nervige Gefummel nach dem Kondom ganz von der Rolle? All diese Dinge wurden den Wissenschaftlern in Erwägung gezogen, hatten aber nicht denselben Einfluss wie das Eindringen von Sperma.

Dennoch gibt die Forschergruppe um Gallup gerne zu, dass ihre Untersuchungen mehr Fragen offen lässt, als sie beantwortet. Beispielsweise weiß man noch fast überhaupt nichts über die Wirkung von Sperma, das nicht durch die Vagina, sondern über den Mund aufgenommen wird (Tabletten schluckt man schließlich auch) – oder über den Hintern. Daher erklären die Forscher entsprechende weitere Untersuchungen, übrigens auch bei schwulen Paaren, für notwendig. Auf diese Weise möchten sie auch klären, ob die von ihnen beobachteten Stimmungsverbesserungen auch bei Männern auftreten. Für eine zweite Studie dieser Art haben sich inzwischen allerdings erst mal 700 Frauen freiwillig gemeldet.


Auf diese – zugegebenermaßen leicht kuriosen – Forschungsergebnisse bezog sich vor einigen Wochen Professor Lazar Greenfield, der 78jährige Vorsitzende des American College of Surgeons. Greenfield ist der amerikanischen Huffington Post zufolge Autor von über 360 wissenschaftlichen Artikeln in Fachjournalen, 128 Buchkapiteln, zwei Lehrbüchern und war Mitherausgeber von 15 wissenschaftlichen Journalen. In einem davon, den "Surgery News", erwähnte er die oben dargelegten Erkenntnisse und fügte halb scherzend an, jetzt wüssten wir, dass es eine tiefere Verbindung zwischen Männern und Frauen gebe – und für letzere ein besseres Valentins-Geschenk als Schokolade.

Regelmäßige Leser meiner Blogs werden sich denken können, wie die Geschichte weiterging: Die Vorstellung, Sex mit Männern könne für Frauen irgendetwas Positives bedeuten, erschien vielen Frauen offenbar dermaßen abscheulich, dass es sofort Rücktrittsforderungen gegen Greenfield hagelte. Und selbstverständlich musste sich der Professor ihnen beugen. Alle Entschuldigungen nutzten ihm genausowenig wie sein Hinweis darauf, wieviele Frauen er während seiner akademischen Laufbahn rekrutiert und gefördert hatte – was viele Frauen gerne bestätigten:

“He has always been above reproach,” said Dr. Mary T. Hawn, an associate professor of surgery at the University of Alabama School of Medicine in Birmingham, who worked as a medical student, surgeon-in-training and faculty member under Dr. Greenfield. “Our understanding was that he went out of his way to recruit women on the trainee and faculty level.”

Dr. Diane M. Simeone, a professor of surgery at the University of Michigan who was a co-author of a recent article on barriers faced by women in academic surgery, agrees. “There still is a lot of gender bias in surgery, and I have seen it myself on multiple fronts,” she said. “That was never evident from Dr. Greenfield. I think it’s important to know that this is one event and to weigh it against a long career where he has always been completely above board and a role model for supporting women in surgery.”


Andere Medizinerinnen berichten dasselbe:

Over the years of Dr. Greenfield’s chairmanship in the Department of Surgery at University of Michigan, we saw the proportion of women residents and staff steadily rising. He had the reputation of running a female friendly program before that was the case in most other departments. He and his wife continued their tradition of hospitality with staff and trainees. He was a stellar leader and perfect gentleman who was ahead of his peers in recognizing the contribution women had to make in the field of medicine and surgery in particular.


Auch Greenfields Lebenswerk – er war unter anderem Erfinder des Greenfield-Filters, der bei bisher hunderttausenden von Patienten verhinderte, dass lebensbedrohliche Blutklumpen in ihre Lunge gerieten – spielte keine Rolle mehr. Tja, Alter, wo ein stalinistischer, zutiefst humorloser Feminismus herrscht, passt du eben besser auf, worüber du deine Witze machst!

Natürlich wurde auch die komplette Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Surgery News, in dem sich das Editorial mit dieser Randbemerkung in Schriftform fand, sofort zurückgezogen, und die verbliebenen Herausgeber geißeln sich jetzt selbst auf ihrer Website.

Das Deutsche Ärzteblatt begrüßt diesen Vorgang in demselben kampffeministischen Tonfall, der inzwischen auch durch Medien geistert, wo man ihn eigentlich weniger erwartet. Schon in der Überschrift sprechen die Autoren von "Sexismus"; im Text verurteilen sie Greenfields "chauvinistische Randbemerkung":

Es ist unklar, welcher Teufel Lazar Greenfield geritten hat, der bis gestern Vorsitzender des American College of Surgeons war. Vielleicht hatte der 78-jähriger Emeritus der University of Michigan School of Medicine Langeweile, vielleicht sehnte er sich zurück an seine Zeit als aktiver Chirurg mit den Männergesprächen im Operationssaal, die in der Erinnerung vielleicht lockerer erscheinen, als sie es in Wirklichkeit waren.


Ja, und vielleicht wollte er auch einfach nur eine launige Bemerkung machen.

In den USA sind die Reaktionen geteilt. In manchen Publikationen freut man sich über Greenfields Rücktritt, in anderen zeigen sich die Autoren weniger begeistert. So zitiert Jennifer Abasi im Blog Popsci Gordon Gallup, den Entdecker der antidepressiven Wirkung von Sperma:

For what it's worth, I asked Gallup what he thought about Semengate. "I think it's a tragic overreaction," he says. "The point at which we begin to let a political agenda dictate what science is all about is the point when science ceases to be a viable enterprise."


Gallup war einer der Co-Autoren von Greenfields umstrittenem Editorial. Das linke amerikanische Blog Huffington Post bat Gallup und zwei weitere Co-Autoren – Steven Platek und Rebecca Burch – um ihre Meinung zu diesem Fall und erhielt folgende Antwort:

Frankly, we think people are over reacting to the comments made by Dr. Lazar Greenfield. There is growing evidence that human semen has the potential to produce profound effects on women. (...) How can someone be asked to resign for citing a peer-reviewed paper? Dr. Greenfield was forced to resign based on politics, not evidence. His resignation is more a reflection of the feminist and anti-scientific attitudes of some self-righteous and indignant members of the American College of Surgeons. Science is based on evidence, not politics. In science knowing is always preferable to not knowing.


Viele Mediziner trauen sich allerdings nicht, Greenfield zu verteidigen oder zu diesem Vorfall überhaupt Stellung zu nehmen:

Many surgeons chose not to comment on the matter, for fear of professional repercussions, but one said, “It’s frankly been heartbreaking for all of us.”


Wo einen eine einzige "falsche" Bemerkung den Job kosten kann, egal wieviele Frauen man zuvor gefördert und wieviele Menschenleben man gerettet hat, ist diese weitverbreitete Angst nur allzu verständlich. Wenn Wissenschaft der politischen Korrektheit geopfert wird, jede unbekümmerte Randbemerkung zum Jobverlust führen kann und deutsche Ärzteblätter sich in selbstgerechtem Tonfall darüber freuen, haben wir ein ernstzunehmendes Problem. Dass dies alles zu einer Zeit geschieht, zu der tatsächliche offene Männerfeindlichkeit zum Standardrepertoire unserer Medien geworden ist, macht diese Entwicklung nur um so bedenklicher.