7. Dezember 2005
Inzwischen frage ich mich, ob wir es bei der gegenwärtigen Debatte nicht mit demselben Phänomen zu tun haben, wie man es in manch einer Hauptschulklasse vorfinden würde. Da gibt es Schüler, die über die Bänke toben und brüllen: „Scheiß Kanaken!“, „Arschloch!“ und „In die Fresse, du Homo!“ Das ist ein unmögliches Verhalten, aber die unbewusste Strategie dieser Schüler mag oft aufgehen: Sie erhalten die gewünschte Aufmerksamkeit, und stillere, aber fleißige und kluge Schüler werden in dem ganzen Trubel übersehen und kommen zu kurz.
Genauso gibt es im Internet Menschen, die auf ähnliche, nur ein wenig politisierte Weise herumpöbeln: „Scheiß Muslime!“, „Antisemit!“ und „In die Fresse, du Transe!“ heißt es von dieser Seite. Durchgehendes Grundprinzip: Warum zur Sache, wenn es auch persönlich geht? Diese Nummer sorgt für Zündstoff und Konflikte, sie lockt Leser an und erhöht den Traffic der Websites – ein ähnliches Prinzip wie bei manchen Radau-Shows im Nachmittags-TV. Klügere und analytischere Internet-Publizisten, die sich auf dieses Spiel nicht einlassen, werden in dem ganzen Trubel oft übersehen und kommen zu kurz.
Während man jeder Form von Mobbing und Rufmord natürlich entgegentreten sollte, halte ich es für den falschen Weg, sich nur noch mit den Krawallbrüdern und Kriegstreibern zu beschäftigen. Sie haben schon genug Aufmerksamkeit erhalten. Viele Leser dieses Blogs werden aus ganz anderen politischen Zusammenhängen kommen, haben jetzt vielleicht Interesse am Thema gewonnen und würden gerne mehr dazu lesen, wissen aber noch gar nicht so genau, welche vernünftigen Websites es denn zum Thema Nahostkonflikt und Minderheitenpolitik gibt. Deshalb möchte ich hier einige davon empfehlen.
Ich habe sie schon mehrfach verlinkt, aber auch hier seien sie der Vollständigkeit halber noch einmal aufgeführt: Erhard Arendts Palästina-Portal und Steinbergs Recherche.
Eine wundervoll analytische Website gibt es von dem Internet-Journalisten Anis Hamadeh. Dort findet sich zum Beispiel der Essay „Was ist Antisemitismus?” des kanadischen Philosophen Michael Neumann sowie Hamadehs eigene fulminante Analyse „Der Antisemitismus-Vorwurf in kritischer Betrachtung”. Lesenswert!
Ein jüdischer Buchverlag, der gegen den Meinungsstrom schwimmt, ist der Melzer Verlag.
Informative Neuigkeiten und Kommentare zum Nahost-Konflikt bieten die „Freunde Palästinas“.
Brisante, aber immer klug argumentierende englischsprachige Polit-Magazine sind Counterpunch und ZNet. Letzeres hat auch einen deutschsprachigen Ableger.
Und schließlich noch ein paar Buchtipps zum Thema:
Cockburn, Alexander: The Politics of Antisemitism. AK Press 2003
Findley, Paul: They Dare to Speak Out. People and Institutions Confront Israel´s Lobby. Lawrence Hill Books 2003
Finkelstein, Norman: Beyond Chutzpah. On the Misuse of Antisemitism and the Abuse of History. University of California Press 2005
Kimmerling, Baruch: Politizid. Ariel Sharons Krieg gegen das palästinensische Volk. Diederichs 2003
Langer, Felicia: Brandherd Nahost oder: Die geduldete Heuchelei . Lamuv 2004
Neudeck, Rupert: Ich will nicht mehr schweigen. Recht und Gerechtigkeit in Palästina. Melzer 2005
Novick, Peter: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord. Dva 2001
Pott, Marcel: Der Nahost-Konflikt. Kiepenheuer und Witsch 2004
Rabinovici, Doron u.a. (Hg.): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte. Suhrkamp 2004
Man sollte es nie vergessen: Politischer Sachverstand und Aufklärung entstehen nicht durch Sprechverbote, sondern durch eine möglichst umfassende Information.
Unterdessen sickert das Gewährenlassen von Folter und der Abgesang auf den Rechtsstaat von den USA und Israel immer mehr auch in Deutschland ein. „Ein Abgrund“ befindet Heribert Prantl dazu in der „Süddeutschen Zeitung“. Ich befürchte, das wird nicht der letzte Abgrund sein, in den wir bei der „Verteidigung der Werte des Westens“ blicken werden – und ich kann jetzt schon sehen, wer dann jeweils an der Seite stehen wird und klatscht.
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