Freitag, Mai 19, 2006

19. Mai 2006

Vor wenigen Wochen habe ich mich in einem Interview mit der „Jungen Freiheit“ über die Vorverurteilung von Politik und Medien im Fall Potsdam ausgesprochen. Die „Junge Freiheit“ gilt wegen solcher Einwände für manche Ideologen noch immer als extrem rechts, wer sich an der Vorverurteilung beteiligt und brav mit dem Strom schwimmt, hingegen als politisch korrekt.

Jetzt macht mich ein Leser dieses Blogs darauf aufmerksam, dass sich ein Fall ähnlich schlampiger Berichterstattung in vielen deutschen Zeitungen gerade wiederholt hatte. (Herzlichen Dank für diesen Hinweis!) „Da schlugen die Glatzen zu – wieder so eine fremdenfeindliche Attacke!“ berichtet die “Bild”-Zeitung über den angeblichen Überfall auf einen Italiener und schildert als Faktum, als wäre sie dabei gewesen: „Da prügelten ihn die Männer mit einem Baseballschläger blutig, zertrümmerten sein Bein, schlugen immer wieder auf seinen Kopf!“ Typisch „Bild“? Von wegen: „Italiener wurde Opfer von Rassisten“ vermeldet der seriöse Berliner “Tagesspiegel“ und führt ebenfalls im Indikativ aus: „Danach schlug einer der Täter mit einem Baseballschläger zu und verletzte den Mann am Kopf sowie am rechten Knie.“ Nicht viel anders sieht es aus beim “Berliner Kurier“ („Kahl geschorene Ausländer-Hasser zertrümmerten Gianni C. (30) das rechte Knie. Weil er Italiener ist.“). Dem “Handelsblatt“ zufolge stürzt der „Angriff, verübt am Sonntag mitten im touristischen Berlin, (...) Deutschland kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in eine neue Debatte über Rassismus und Fremdenhass.“ Die “Welt“ informiert uns: „Nach dem brutalen Überfall auf einen 30jährigen Italiener am frühen Sonntagmorgen in Prenzlauer Berg fahndet die Polizei mit Hochdruck nach den Tätern. Wie berichtet, hatten drei `glatzköpfige´ Männer ihr Opfer gegen 1 Uhr an der Schönhauser Allee zunächst als `Scheißausländer´ beschimpft und ihn anschließend mit einem Baseballschläger niedergeknüppelt.“ Und die “Mittelbayrische“ teilt ihren Lesern mit: „Rund drei Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft haben Unbekannte in Berlin einen Italiener zusammengeschlagen. (...) Die Angreifer konnten entkommen. Nach Polizeiangaben waren sie kahlköpfig und trugen schwarze Bekleidung.“ Inzwischen sind die Geschichten des Italieners also schon „Polizeiangaben“.

Gestern nun berichtete die “Bild“-Zeitung, dass die Polizei mittlerweile die Videos einer Bahnhofs-Überwachungskamera am angeblichen Tatort ausgewertet habe. Ergebnis: „Auf den Bildern sieht man, wie Gianni C. ohne Fremdverschulden ins Gleisbett fällt und sich dabei selbst verletzt.“ Auch die “Welt“ erkennt nun: „Italiener hat Angriff durch Neonazis nur erfunden.“ In der “Berliner Zeitung“ lesen wir: „Nur wenige zweifelten an der Geschichte, was auch daran liegen könnte, dass es immer gefährlich ist, an solchen Geschichten zu zweifeln. (...) (D)er Fall wirkte von Anfang an dubios: Nicht ein Zeuge hatte den angeblichen Überfall gesehen. Dabei sind in der Nacht zum Sonntag um diese Zeit auf der Schönhauser Allee viele Menschen unterwegs.“ Und die “Berliner Morgenpost“ berichtet: „In Kreisen der Antifa sorgte der Fall für Diskussionen. Wenn der Italiener die Geschichte erfunden habe, mache man sich vollends lächerlich, wenn man darauf reinfalle und brav `antifa spielen gehen´ würde.“

Immerhin lässt das „vollends“ in diesem Satz auf eine gewisse Selbsterkenntnis und Kritikfähigkeit der Antifa schließen, die ich persönlich ihr gar nicht zugetraut hätte. Von einer ähnlichen Selbstkritik fehlt in der deutschen Presse noch jede Spur. Bei aller Unterstützung für ein Engagement gegen Rassismus und gegen Gewalt: Welcher Teufel reitet etliche Journalisten hierzulande eigentlich, die komplett unbestätigten und bereits als höchst fragwürdig erkennbaren Darstellungen eines einzelnen Menschen komplett unkritisch als Tatsache auszugeben, nur weil er ausländischer Herkunft ist und seine Darstellung gerade so hübsch ins politische Klima passt? „Der andauernde `Rassismus-Alarm´ (`Handelsblatt´) in der deutschen Öffentlichkeit erzeugt erneut eine irritierende Medienberichterstattung, die eher vom Funktionieren bedingter Reflexe als journalistischer Sorgfalt geprägt ist.“ befindet vom Ausland aus die „Neue Zürcher Zeitung“ in einem sehr lesenswerten zusammenfassenden Kommentar über diese neue deutsche Hysterie.