Freitag, Juni 15, 2007

Freispruch zweiter Klasse

In dem Fall, der im April letzten Jahres vollkommen übereilt als „Rassistischer Mordversuch in Potsdam“ beschlagzeilt wurde, ist heute der inzwischen längst erwartete Freispruch erfolgt. Wie es dazu kam, fasst sehr gekonnt noch einmal die FAZ zusammen. (Warum in anderen aktuellen Artikeln immer noch von einem „Überfall“ die Rede ist, als stünde das wenigstens fest, weiß im übrigen der Kuckuck.) Ich hatte schon vor über einem Jahr in einem Interview mit der „Jungen Freiheit“ darauf hingewiesen, wie irrwitzig die Vorverurteilungen der Angeklagten ausgefallen waren und wie schäbig sich Staat und Medien in ein immer größeres Spektakel hinaufgeschaukelt hatten. Wie gewohnt war ich eher eine Einzelstimme; die wenigen Politiker, die ähnliche Warnungen äußerten, wurden der „Verniedlichung“ und „Bagatellisierung“ gescholten. Heute hingegen feiert man in rechtsradikalen Blogs fröhliche Partys, weil dieser Freispruch beweisen soll, dass bei der Bekämpfung von Rassismus generell Übertreibung und Hysterie vorherrsche.

Vor ein paar Stunden rief mich ein Redakteur des Hessischen Rundfunks an, um ein Telefoninterview mit mir in meiner Eigenschaft als Medienexperten zu führen. Im Vorgespräch gewann ich den Eindruck, dass auch er das Gespräch gerne in die Richtung „Hysterisierung von Fremdenfeindlichkeit“ steuern wollte. Falls das so war, dann war ich dafür der falsche Mann: Die Zahl der rechtsextremen Übergriffe hatte 2006 tatsächlich einen neuen Höchststand erreicht, verrät uns eine aktuelle Statistik des Innenministeriums (einen Kommentar dazu gibt es heute in der “Frankfurter Rundschau“). Das ist also ganz klar keine Phantomdebatte. Die Idiotie bestand darin, dass man alles, was jahrelang an nachhaltigen Maßnahmen gegen den Rassismus versäumt wurde, anfallsartig an einem einzigen Fall aufarbeiten wollte, wobei dann Staat und Medien auf Angeklagte einprügelten, die (wie man sieht: nicht ohne Grund) im Sinne des Gesetzes als unschuldig zu gelten hatten. Vermutlich werden sie trotz des Freispruchs für viele noch immer "die Täter von Potsdam" bleiben.