Donnerstag, August 06, 2009

"Das Dresdener Modell"

Der aktuelle "Freitag" beschäftigt sich mit der Gleichgültigkeit, mit der unsere Gesellschaft der Ermordung einer Muslima größtenteils gegenübersteht. Ein Auszug aus diesem Beitrag:

In einem Artikel in der Welt vom 10. Juli steht, dass die Dimension des Mordes „schnell klar gewesen sei“. Dieser Annahme steht eine andere mediale Wahrnehmung gegenüber: Die Berichte in den großen Zeitungen und die großen Berichte in den Regionalzeitungen datieren von Mitte Juli. Verdeutlicht wird die Dimension des Mordes durch die aufgeregten Reaktionen aus Ägypten (Freitag vom 16. Juli), aber das ist eine neue Dimension. Es geht nicht mehr um Gesten, Beileid, um die Empörung darüber, dass es in Deutschland möglich ist, in einem Gerichtssaal erstochen zu werden, um die Wut, die eine Gesellschaft haben müsste, wenn sie sieht, welchen Anfeindungen bis hin zur krassen Tat jene ausgesetzt sind, die anders aussehen als die Mehrheit.

Die neue Dimension liegt eine Ebene höher: Es geht um Außenpolitik, um Instrumentalisierung, um Strategien. Man kann davon ausgehen, dass die deutsche Politik Angst hat vor dem Aufruhr in Ägypten, vor einer Welle des Hasses, wie sie nach den Mohammed-Karikaturen Dänemark traf, und man kann diese Angst zum Teil verstehen. Nur schaut sie zuerst auf die anderen und sieht von sich selbst ab. Die Gefühle, von denen man glaubt, dass es um sie gehen müsste, sind weit weg. „Es ging um Deeskalation“, gibt Sachsens Regierungssprecher Peter Zimmermann zur Antwort auf die Frage, warum Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nicht die Trauerfeier für Marwa el-Sherbini in Dresden besuchte.

Die Fotos von Marwa el-Sherbini zeigen eine schöne Frau, die Geschichten über sie erzählen von einer begabten, klugen Mutter eines Kindes, die schwanger war mit dem zweiten, von einer Handballspielerin, die es bis in die Nationalmannschaft geschafft hatte, von einer Tochter aus bester Familie, von einem Mann, der Spezialist ist auf seinem Gebiet. Man kann sich fragen, was einer bürgerlichen deutschen Gesellschaft fehlt, um die Getötete und ihren verletzten Mann als ihresgleichen zu begreifen.