Mittwoch, Januar 27, 2010

"Der neue kalte Krieg"

Nun ist die Islamdebatte also in den letzten Tagen wieder hochgekocht. Was war passiert: Broder hatte sich erstmals gleich mehrere Artikel eingefangen, deren Verfasser es tatsächlich wagten, sich kritisch gegenüber Broders fremdenfeindlichen Hasstiraden zu äußern. Daraufhin bewies Broder mit einem Artikel im Tagesspiegel, dass er tatsächlich mal zur radikalen Linken gehörte, indem er Leute mit anderer Meinung kaum verhüllt als Nazis abqualifizierte. ("Denn so wie es für den deutschen Studienrat mit Hegel, Hesse und Hitler im Handgepäck eine Kränkung war, von einem Kaugummi kauenden Neger aus Alabama vom Nationalsozialismus befreit zu werden, so ist es für den deutschen Feuilletonisten eine Kränkung, von zwei türkischen Muslima und einem polnischen Juden angemacht zu werden." Für Broder ist es nicht vorstellbar, dass er wegen dämlicher Äußerungen kritisiert wird, es muss sein Judentum sein.)

Gleichzeitig biederte er sich mit diesem Artikel weiter bei seinen neuen Freunden von der radikalen Rechten an, die darauf auch prompt in begeistertes Gejohle ausbrachen. Denn erstens phantasieren auch sie sich liebend gerne zu von totalitären Mächten Verfolgten, sobald ihren unaufhörlichen Hasstiraden mal ein laues Lüftchen an Gegenwind entgegenweht. Und zweitens dürften sie auch Broders Seitenhiebe auf "Jammerjuden, die in jeder Talkshow erzählen, wie viele Angehörige sie im Holocaust verloren haben und wie sehr sie sich heute vor der NPD fürchten" sehr zu schätzen gewusst haben. Gut, aber Broder war ja nun schon seit mindestens zwei Wochen in keiner Talkshow mehr mit seinen Parolen, da muss man seine Wut, seine Häme und seine Verachtung gegenüber all diesen Holocaust-Überlebenden, mit denen unsere Talkshows bekanntlich von früh bis spät vollgerümpelt sind, verstehen. (Ob der "Tagesspiegel" solche Sätze auch gedruckt hätte, wenn sie von einem NPD-Vorsitzenden geäußert worden wären? Und wenn nicht: Ob Thierry Chervel und Burkhard Müller-Ulrich das Blatt dann ebenfalls als totalitären Zensor beschimpft hätten, wie es ja die neueste Masche ist, sobald jemand Dreck als Dreck bezeichnet?)

"Feistes Pseudo-Dissidententum" bezeichnet evangelisch.de Broders Masche und diese Einschätzung trifft. Immerhin darf man Broder aber zugute halten, dass er keineswegs der Urheber des Arguments ist, kein "Jammerjude" zu sein, sondern sich dieser schon im Oktober letzten Jahres auf der rechtsradik… Verzeihung, "ausländer- und judenkritischen" Website "Altermedia" fand: Broder sei nicht der typische Jammerjude und damit etwa Charlotte Knobloch schon vorzuziehen. Ob man sich Gedanken machen sollte, wenn man dieselben Argumente vertritt wie die Kommentatoren bei Altermedia?

Das ganze Affentheater führte mittlerweile zu einem Broder-Themenabend beim Politblogger, wo man unter anderem erfährt, warum es entweder verlogen oder kreuzdämlich ist, wenn die Islamophoben ausgerechnet Salman Rushdie als Kronzeugen vor sich herschubsen. Noch besser ist heute aber eine Überblicksanalyse des gegenwärtigen Schlachtgetümmels im Rheinischen Merkur, der mit Sicherheit unverdächtig ist, zur "linksgrüngutmenschlichen Kampfpresse" zu gehören. Vermutlich wird diese Analyse im allgemeinen Getöse untergehen, weil sie nüchtern, ausgewogen, weise und damit im Vergleich zu dem Geholze von Broder und Konsorten leider alles andere als besonders unterhaltsam ist. Wer wissen will, worum es in dieser Debatte eigentlich geht, sollte diesen Artikel vielleicht trotzdem lesen.

Ähnlich zur Sache geht ein Interview mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur beim Deutschlandradio: Berechtigte Kritik oder Volksverhetzung?, das allerdings durchaus gespickt ist mit treffenden Spitzen wie "Die Argumentation von Herrn Broder kenne ich von meiner elfjährigen Tochter." (Eine Bemerkung, von der ich schon ein bisschen angepisst wäre, wäre ich die Tochter von Frau Amirpur. Ein bisschen reifer ist das Mädchen in diesem Alter hoffentlich schon.)