Montag, Juli 25, 2011

Die Rechtspopulisten und ihre Reaktion auf den Massenmord

Hier die gestern angekündigte Presseschau zu dem Massaker in Norwegen, das sich alles andere als aus heiterem Himmel ereignet hat:

Im Interview mit dem Standard berichtet der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke über ein Milieu, das die Hemmschwelle entsprechend veranlagter Menschen herabsetzt.

Die Welt interviewt den Extremismus-Forscher Florian Hartleb über den Einfluss der islamophoben Szene.

Dietmar Näher ist fassungslos über die Reaktion Henryk Broders auf das Massaker.

Ähnlich geht es Jens Berger, den Betreiber des Blogs "Spiegelfechter". Seine treffende Analyse muss man ausführlicher zitieren, weil wirklich jeder Absatz sitzt:

Als der damalige RTL-Star Thomas Gottschalk im Jahre 1992 den Republikaner-Vorsitzenden Franz Schönhuber in seine Late-Night-Show eingeladen hatte, war dies noch ein handfester Skandal. Auch Erich Böhmes Versuch, den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider in seiner Talkshow zu demontieren, erregte acht Jahre später immer noch öffentliche und mediale Kritik. Die Zeiten, in denen zumindest der mediale Kompass noch halbwegs funktionierte sind vorbei. Heute werden Rechtspopulisten ohne Berührungsängste hofiert. Thilo Sarrazin darf sein verquastes Gedankengut per Vorabdruck in BILD und SPIEGEL unter das Volk bringen und ist gerngesehener Gast in den Talkshows der Republik. Der Rechtspopulist Henryk M. Broder darf seine undifferenzierte Hetze im SPIEGEL, der WELT oder dem Tagesspiegel verbreiten. Rechtspopulistisches Gedankengut ist heute gesellschaftsfähig.

Wer wissen will, wie die Botschaft von sich als Biedermännern aufspielenden Brandstiftern wie Broder und Sarrazin von Teilen des Volkes aufgenommen wird, sollte einmal einen Blick in die Online-Kommentare von Springers Flaggschiff werfen oder sich besser gleich eines der stark frequentierten rechtspopulistischen Blogs anschauen. Wer glaubt, dass der Hass, der dort aus jeder Zeile trieft, nicht irgendwann in irgendwelchen Köpfen zu Gewaltausbrüchen führt, muss schon ziemlich naiv sein. Diese „neue Rechte“ hasst nicht nur Muslime, sie hasst auch Linke und Liberale, die in ihrem Jargon „Gutmenschen“ sind – ein Begriff, der auch von ihren Vorbildern Broder und Sarrazin gerne benutzt wird.

Das 1.500 Seiten starke „Manifest“, mit dem der Terrorist Anders Behring Breivik seine Verbrechen erklären wollte, liest sich wie ein Potpourri aus Artikeln und Kommentaren rechtspopulistischer Blogs wie „Politically Incorrect“. Die Namen Geert Wilders, Theo van Gogh und Henryk M. Broder tauchen an jeweils mehr als einem Dutzend Stellen im Text auf. Unter der Überschrift „Die Vergewaltigung Europas“ bekommt Broder sogar ein ganzes Kapitel, in dem Breivik seiner Argumentation, dass die Westeuropäer sich lieber dem Islam unterwerfen würden, als gegen ihn zu kämpfen, als Mosaikstein in sein Hassgebilde einpasst.

(...) Wer glaubt, dass die als Biedermänner getarnten Brandstifter nun in sich gehen und endlich einmal über die möglichen Folgen ihrer Worte ins Grübeln kämen, hat sich jedoch getäuscht. „Ich würde es heute wieder genau so sagen [...] Das einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, woher ich Ersatzteile für meinen Morris Traveller aus dem Jahre 1971 bekomme. Sogar in England werden die Teile knapp“, ließ Henryk M. Broder gestern die Öffentlichkeit wissen. Als Gipfel des Zynismus publizierte er sogar eine der Stellen des „Manifests“, in der er namentlich genannt wird, unkommentiert unter dem Titel „Me and The Manifesto“ auf seinem Blog. Anstatt zumindest einen Augenblick betroffen innezuhalten, gefällt sich Broder einmal mehr in der Rolle des zynischen Provokateurs . Natürlich dauerte es nicht lange, bis seine Dreistigkeit in rechtspopulistischen Blogs als „gesunde Einstellung“ gefeiert wurde. Was muss eigentlich noch passieren, dass die geistigen Brandstifter ein wenig Empathie zeigen?

Es ist leider auch unwahrscheinlich, dass bei den einschlägigen Medien ein Lern- oder Umdenkungsprozess einsetzen wird. In unserer schnelllebigen Aufmerksamkeitsökonomie wird es nach einer kurzen „Pietätspause“ weiter gehen mit der Hetze gegen Muslime und gegen die „Gutmenschen“. Die geistigen Brandstifter werden nicht etwa geächtet, sondern sogar mit Medienpreisen überhäuft. Politik und Medien sind auf dem rechten Auge blind.


Friedrich Küppersbusch befindet:

Als der Täter bereits verhaftet war, musste man sich auch bei Spiegel Online noch durch sieben Absätze Paranoia pflügen, um danach schlanke Hinweise auf Anders B. zu finden. Man berichtet, bevor man etwas weiß, das ist schlechtes Handwerk. Man hängt Schuldige vor der Beweisaufnahme, das ist Propaganda. Egal welches Problem - wahrscheinlich liegts am Islam. Das ist keine andere Denke als die des Täters.

(...) Ist Anders B. im Kern seiner Religion von Thilo Sarrazin zu unterscheiden? "Europa wird arabisiert" - "Deutschland schafft sich ab"? Wenn es je "Salonbolschewiken" gegeben hat, haben wir es längst mit Salonnazis zu tun. Für diese todschicken Hassprediger brauchen wir nicht auf Skandinavien zu zeigen. Die Islam-Schmähungen gehen nie ohne den diffusen Begriff "Netzwerk" ab, während die Welt und Innenminister Friedrich den Täter sogleich zum "verrückten Einzeltäter" erklärten, zum "einsamen Sonderling voller hasserfüllter Gedanken". In Schweden und Dänemark regieren die vereinzelten Sonderlinge bereits mit.


Das MiGAZIN sieht nach den Terroranschlägen Europas Rechtspopulisten allerdings "unter Stress":

Bereits jetzt geht in rechtspopulistischen Kreisen online die Angst um, nicht mehr ganz oben mitsurfen zu dürfen, nachdem sich ihre „Hoffnung“ auf einen islamistischen Attentäter binnen Stunden in Luft aufgelöst hat.

Schon wird versucht, in dem abscheulichen Verbrechen eine Art „Verzweiflungstat“ hinein zu halluzinieren, wobei der Täter schnell zum Opfer „der bösen multikulturalistischen Gesellschaft“ gemacht wird, während die fiesen Migranten angeblich vom Staat bevorzugt würden.

Solche oder ähnliche Leserkommentare tauchten kürzlich in den Online-Foren der großen Zeitungen, aber auch auf einschlägigen Rechtspopulismus-Portalen zu Hunderten auf, wobei führende Zeitungen sie schnell wieder gelöscht haben. Die Einträge zeigen auch, wie krank es in den Köpfen solcher Leute zugehen muss.

Eines ist ganz klar, die Tat von Oslo hat nicht nur weltweit schockiert, sie wird künftig auch die politische Diskussion um den vorlauten und menschenverachtenden Rechtspopulismus, der in der Mitte der Gesellschaften Europas angekommen ist, neu bestimmen.


In einem weiteren lesenswerten Artikel untersucht das MiGAZIN, wie die Islamophoben gerade psychisch zu verarbeiten versuchen, dass ihre Hassideologie zu einem Massenmord geführt hat:

Ich werde hier nicht zu rechtspopulistischen Webseiten oder Texten verlinken, ich fasse nur kurz zusammen, was mir alles untergekommen ist. Die letzten fünf Punkte sind nur eine Auswahl unter den vielen Verrücktheiten, die im Moment umlaufen.

1. Der Täter ist einfach nur ein psychopathischer, ein kranker Einzelgänger und hat mit dem politischen Anliegen der „Islamkritiker“ oder sonst einer politischen Richtung nichts zu tun.

2. Die Tat ist natürlich unbedingt zu missbilligen, aber man kann die Gründe Breivigs verstehen.

3. Ein Nationalist wäre niemals fähig, Landsleute zu ermorden. Breivik ist weder rechts noch national noch Christ.

4. Jetzt überdeckt leider der Schrecken des Massakers in Norwegen die eigentliche Gefahr, die Gefahr der Islamisierung Europas.

5. Die Linke instrumentalisiert den Amoklauf eines Wahnsinnigen für ihre Zwecke.

6. Im Grunde sind doch die Muslime und die Einwanderer und ihre Wegbereiter schuld – sie haben Breivik zu seinem Anschlag getrieben.

7. Der Sprengstoffanschlag in Oslo sei eine Insider-Aktion gewesen, das ganze ein False-Flag-Unternehmen, um die Rechte zu desavouieren.

8. Daraus, dass Breivik mit den Freimaurern zu tun hatte, müsse man schließen, der Auftrag zum Terrorakt komme aus dem Vatikan.

9. Michael Mannheimer, der schon mal öffentlich zum bewaffneten Aufstand gegen diese Republik aufgerufen hat, begrüßt die terroristische Tat Breiviks als Beginn des europäischen Bürgerkriegs gegen die Muslime und ihre Dhimmis.

10. Jemand beweist, akribisch ins Detail gehend, dass das Massaker auf der Insel überhaupt nicht stattgefunden hat.

Wir grenzen an ein Irrenhaus, und über die Blogs haben die Insassen permanent Freigang.