Mittwoch, Juli 22, 2009

"Die schrillste Fanfare"

Arno Widmann kommentiert die Debatte um Felicia Langer in der "Frankfurter Rundschau" so:

Wer Felicia Langer auszeichnet, weiß, was ihn erwartet. Die Reaktionen von Giordano und Lustiger kamen nicht überraschend. Es waren voraussehbare Reflexe. Man kann sich nicht vorstellen, dass der Bundespräsident, dass nicht wenigstens sein Amt mit eben diesen Reaktionen gerechnet hatte. (…)

Was spricht dafür, dass die Juden, die 1949 den jüdischen Staat gründeten, die Kindeskindeskinder derjenigen waren, die im Jahre 49 das Heilige Land verließen. Und selbst wenn? Gibt einem das das Recht, 1900 Jahre später zu sagen: Hier bin ich wieder. Das ist mein Land. Wer bisher hier gewohnt hat, hat zu gehen? Und selbst wenn - gibt einem das das Recht, dieses Land Jahr um Jahr zu erweitern? Immer neue Bewohner zu vertreiben?


Das sind doch schon mal zwei wesentliche Gedanken. Der erste: Bundespräsident Köhler wird sich bei einem Verdienstkreuz erster Klasse wohl etwas überlegt haben und sich nicht einfach so vertüdeln: "Hoppla, jetzt hab ich aus Versehen die Langer erwischt. Hoffentlich merkts keiner." Nein, Bundespräsident Köhler, der ja nicht gerade zu den Debilen gehört, wird auch die jetzt aufbrandenden Reaktionen erwartet haben.

Womit wir beim zweiten Gedanken sind: Nicht durch die Auszeichnugn Felicia Langers, sondern vor allem durch die lautstarken Proteste dagegen ist ein Tabubruch in die Wege geleitet worden: Mit höchstamtlichem Segen kann jetzt die israelische Siedlungspolitik auch mit großer Schärfe kritisiert werden. Bislang gab es diese Kritik beispielsweise von journalistischer Seite nur zurückhaltend, auch bei den deutlichen Worten, die Ruprecht Polenz vor einigen Tagen zu Israel äußerte, hat man unwillkürlich die Luft angehalten. Wer beispielsweise ab und zu amerikanische Zeitschriften liest, merkt bei diesem Thema schnell, dass Kritik an Israels Politik dort sehr viel unverblümter geäußert wird als hierzulande (und ich spreche von "Newsweek" und "Time", nicht von radikalen Postillen.) Man kann füglich darüber diskutieren, ob hart oder freundlich vorgebrachte Kritik hilfreicher ist, aber eines scheint mir festzustehen: Es hat in der Tat ein Tabubruch stattgefunden, wie er noch zu Zeiten der Möllemann-Debatte ohne Unterstellungen des Antisemitismus nicht möglich war, und die höchsten Ränge der deutschen Politik haben diesen Tabubruch gewollt. Das muss auch all jenen klar gewesen sein, die jetzt diesen Aufruhr veranstalten, denn genau das ist für diesen Aufruhr der Grund. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Tabubruch ohne diese pawlowschen Reflexe keine solche Wirkung erzielt hätte.

Wie schrieb jemand im Spiegel-Online-Forum? Gerade diese massive Wand der Aggression gegen Felicia Langer belege ja, dass sie eine couragierte Frau sei, die sich auch gegen stärksten Gegenwind und um den Preis der eigenen Verunglimpfung für die Menschenrechte einsetze. Eigentlich kann Felicia Langer den Herren Broder, Lustiger, Giordano, Graumann, Posener, Herre und Feuerherdt für dieses Aufsehen danken.