Professor Walter Hollstein: "Sternstunde in der Jungen- und Männerfrage"
Inzwischen liegt mir von Professor Walter Hollstein, einem der führenden Männerforscher im deutschen Sprachraum, eine erste schnelle Einschätzung des CDU-FDP-Bundestagsantrags vor, über den ich gestern und heute berichtet habe:
Ich neige nicht zum Pathos, aber diesen Text würde ich in der längeren BRD-Geschichte der Jungen- und Männerfrage doch als Sternstunde bezeichnen. Der Text ist umfassend, klug und kompetent. Er signalisiert ganz eindeutig einen Paradigmenwechsel in der Geschlechterpolitik, indem zum ersten Mal deutlich hervorgehoben wird, dass die Gleichstellungsproblematik (wie es ja eigentlich der Begriff auch nahelegt) nicht nur die Frauen einbeziehen darf, sondern auch die Männer einbeziehen muss.
Die Einschätzung, dass an der Problematisierung der männlichen Rollenstereotypen gearbeitet werden muss, um die bestehende (traditionelle) Männerrolle zu modernisieren (wie es mit der Frauenrolle ja schon vor dreißig Jahren geschehen ist), entspricht den vorliegenden empirischen Ergebnissen (z. B. den Shell- und Sinus-Studien) und deren Interpretation in den Sozialwissenschaften (z. B. Hurrelmann, Franz, Hollstein u.a.). Die Zielsetzung von Männerveränderung bleibt mir allerdings einigermaßen unklar. So wird nicht deutlich, ob Jungen und Männer nun zunehmend feminisiert werden sollen (was sich schon in der Vergangenheit als kontraproduktiv herausgestellt hat, siehe etwa die Gestalt des "Softi") und wie Jungen und Männer an der Gestaltung ihrer eigenen Veränderung beteiligt werden sollen.
Ganz wichtig erscheint mir die Forderung, dass die Lebenslagen von Jungen und Männern erforscht werden sollen. Das ist ja, wie Freud über die Frauen zu seiner Zeit geschrieben hatte, tatsächlich ein "dunkler Kontinent" in der Geschlechterforschung. Während wir sogar wissen, welches Profil Frauen benötigen, um in Algerien als Schäferinnen zu arbeiten (das war mal ein Forschungsvorhaben in Berlin und wurde dann vom Bundesrechnungshof gerügt), wissen wir über zentrale Bereiche von Mannsein gar nichts (z. B. über den Umgang mit Krankheit und Todesnähe, über Beziehungsqualitäten und -fähigkeit, Verhalten und Probleme während der Schwangerschaft der Partnerin, den Umgang mit Arbeitslosigkeit etc). Insofern ist die Forderung, diese Leerstellen nun zu füllen, schon quasi revolutionär. Vielleicht bewirkt sie auch, dass neben den rund 25o Professuren für Frauen- und Genderforschung im deutschsprachigen Bereich nun wenigstens der eine oder andere Schwerpunkt für Männerforschung an den Hochschulen eingerichtet wird.
Was mir - beim raschen Lesen - zu kurz kommt bzw. fehlt, ist das Problem eines neuen Männerbildes. Die Politik hat sich ja in den späten sechziger Jahren sehr darum gekümmert, ein neues Frauenbild zu propagieren, um die Frauen damals auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Ich kann mich noch an ein riesiges Plakat erinnern, das ich bei einem Spaziergang durch Kreuzberg gesehen hatte: Darauf stürmte eine junge Frau eine Art Schlosstreppe hoch und darüber oder darunter stand dem Sinne nach: Du musst nicht mehr auf deinen Märchenprinzen warten, sondern kannst dein Leben selber gestalten. In dieser Optik bräuchte es auch Anreize, damit Männer sehen, wie vielfältig Männlichkeit sein kann und dass nicht nur der ein Mann ist, der Vorstandsvorsitzender ist, einen Haufen Geld besitzt und ein tolles Auto fährt. Entsprechende Änderungen müsste es z. B. auch in den Schulbüchern geben: also Männerfiguren, mit denen sich Buben auch identifizieren können.
Ebenfalls fehlt mir bei dem ganzen guten Katalog von Forderungen, dass die schon bestehenden Einrichtungen, z. B. Männerberatungsstellen (denen es insgesamt finanziell nicht gut geht, obwohl sie seit rund 25 Jahren eine ganz wichtige Arbeit leisten) unterstützt werden.
Letzte Bemerkung: Ich finde es symptomatisch, dass ein solches wichtiges Dokument von konservativer Seite kommt. Es lässt sich auch verfolgen, dass etwa während der rot-grünen Regierungszeit sämtliche Vorstöße zur Jungen- und Männerproblematik aus der CDU kamen. Das ist im Grunde schon etwas grotesk, weil es eigentlich die Grundbegriffe von konservativ und progressiv verkehrt. Man denke auch an die Denunzierung der Männerproblematik im Bundesgesundheitsbereich durch Volker Beck als "Opferkonkurrenz".
Walter Hollstein ist bzw. war Professor für politische Soziologie in Berlin, Bremen und heute in Basel, Gutachter des Europarates in Männerfragen und Mitbegründer der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Männerforschung. Schon seit seinem ersten Männerbuch "Nicht Herrscher, aber kräftig" (1988) äußert er sich immer wieder kritisch gegenüber einem einseitigen Feminismus als Grundlage von Geschlechterforschung und -politik.
<< Home