Samstag, Januar 08, 2011

Gesellschaft für Konsumforschung entschlüsselt den typischen Sarrazin-Leser

Einen ausgesprochen interessanten und aufschlussreichen Artikel findet man heute in der "Süddeutschen Zeitung". Da auf der Grundlage von Sarrazins Bucherfolg einige Leute eine neue Volkspartei, einen deutlichen Rechtsruck für Deutschland usw. vorhersagen, hat sich die Gesellschaft für Konsumforschung die Frage gestellt: Was sind das eigentlich für Leute, die "Deutschland schafft sich ab" im Buchhandel aus den Regalen gerissen haben? Auf der Grundlage einer Gruppe von 10.000 Personen, die nach den verschiedensten Kriterien als repräsentativ für die deutsche Wohnbevölkerung ausgewählt wurden, konnte man ein facettenreiches Psychogramm des typischen Sarrazin-Lesers erstellen. Der ist beispielsweise weit überwiegend männlich, entweder jenseits der sechzig oder zwischen 20 und 29 Jahren alt und mag Bauerntheater ebenso wie die "Frankfurter Allgemeine". Die Sauberkeit der Wohnung steht bei ihm hoch im Kurs, Veränderungen mag er nicht. (Trifft bis jetzt auf meine eigenen Bekannten, die Sarrazins Thesen zustimmen, alles zu.) Außerdem lässt sich feststellen:

"In meiner Freizeit unternehme ich viel" - nein, das können Sarrazin-Käufer nicht bestätigen. Sie schätzen sich selbst 16 Prozent weniger aktiv ein als der Durchschnittsdeutsche. Dann wird es karger. Das "Leben in vollen Zügen genießen" ist noch weniger gefragt, da beträgt der negative Ausschlag in Richtung Askese und sorgenzerfurchter Selbstkasteiung schon gute 25 Prozent. Entscheidungen "spontan und mehr aus dem Gefühl heraus"? Nicht wirklich. Vollends ins Negative sackt die Kurve bei der Aussage "Ich gehe gerne Risiken ein" - da landet die Statistik bei dem sagenhaft risikofeindlichen Wert von minus sechzig Prozent. Wer nicht zu den Sarrazin-Käufern gehört, ist um zwei Drittel aufgeschlossener, sobald es darum geht, auch mal ein Wagnis einzugehen. Ob sich mit einer Wählergruppe, die bei Abenteuern und Risiken um keinen Preis mitmachen möchte, wirklich viel bewegen lässt?


Zusammengefasst enthüllt das Psychogramm der Gesellschaft für Konsumforschung den typischen Sarrazin-Leser als genau den Typ Mensch, den man ohnehhin schon vermutet hatte: griesgrämig, stockkonservativ bis reaktionär, ängstlich und träge. Das sind etwa jene Menschen, deren liebstes Hobby es ist, über Jahre hinweg mehrere Stunden am Tag die Kommentarspalten der Online-Zeitungen und Blogs sowie Internetforen mit menschenfeindlichem Gemoser, Verschwörungs- und Untergangsphantasien vollzumüllen, von denen man darüber hinaus aber keine großen Impulse für unsere Gesellschaft erwarten darf. Dabei wird natürlich anonym geschimpft, denn: "In diesem Land darf man ja seine Meinung nicht offen sagen." Eine Weltsicht, die wiederum wunderbar zum Charakterzug der Überängstlichkeit passt.

Nach all dem überrascht es nicht, wenn die "Süddeutsche" zu folgendem Fazit gelangt, was Sarrazins Anhängerschar angeht:

Sie lassen kaum vermuten, dass von dieser gesellschaftlichen Gruppe größere Taten ausgehen werden, etwa die Gründung einer Partei - das wäre, gemessen an den ermittelten Einstellungen, das reinste Kamikaze-Unternehmen. Auch die Hoffnung, die viele Apologeten der Debatte formuliert haben - erst mal müssen die unangenehmen Wahrheiten beim Namen genannt werden, dann packen wir das Problem tatkräftig an - sollten sich eher nicht primär auf den Sarrazin-Leserkreis fokussieren.