7. Februar 2006
Reinhard Müller zeigt in seinem heutigen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen“ auf, dass das Beleidigtsein über Verletzungen von religiösen Befindlichkeiten keine Reaktion ist, für die nur überempfindliche Muslime prädisponiert seien. Schließlich haben auch wir hierzulande einen eigenen Paragraphen für derlei Äußerungsformen: „Die deutschen Gerichte haben ein `Beschimpfen´ etwa in der Darstellung eines Kruzifixes als Mausefalle gesehen oder in der Abbildung eines gekreuzigten Schweins auf einem T-Shirt. Das gilt auch für das Bild eines gekreuzigten Jesus mit dem Satz `Masochismus ist heilbar´, auch für die Wendung `Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben´. (…) Die Toleranz ist auch in freiheitlichen Staaten unterschiedlich ausgeprägt. Das mußte etwa der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer erfahren. Wegen seines Comics `Das Leben des Jesus´ wurde er in Griechenland in Abwesenheit zu sechs Monaten Haft verurteilt. Der Band, der Jesus als leicht entrückten Weihrauchkiffer zeigt und den Gang über den See Genezareth als Surf-Trip darstellt, rief freilich auch in Österreich Entrüstung hervor. Das `erzbischöfliche Amt für Unterricht und Erziehung´ rief zum Boykott von Haderers Verlag auf; der Künstler wurde wegen `Herabwürdigung religiöser Lehren angezeigt´. Die österreichische Bischofskonferenz sah die `Fundamente der Demokratie in Gefahr´, ein Bischof gab die Parole aus: `Über das Heilige lacht man nicht.´ (…) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 1994 über den Film `Liebeskonzil´ zu befinden, der 1985 in Innsbruck beschlagnahmt worden war. Das Landgericht stellte fest, daß in dem Film `Gottvater als seniler, impotenter Trottel, Christus als Kretin und die Gottesmutter Maria als lüsterne Dame´ dargestellt werde. Der Staat könne legitimerweise ein Verhalten verbieten, das mit dem Respekt vor der Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren sei.“ Nur was ist, wenn eine Religion diesen staatlich-institutionellen Schutz in Europa nicht so stark genießt wie etwa das Christentum? Deren Anhänger gehen offenbar gerade auf die Barrikaden.
Marcia Pally, eine Liberale aus den USA, von der es übrigens ein großartiges Buch gegen die Zensur sogenannter Pornographie gibt, äußert sich in der „Frankfurter Rundschau“ höchst sarkastisch zu dem umstrittenen Fragebogen für einbürgerungswillige Muslime: „Wozu die ganze Aufregung? Liest man sich den Fragebogen durch, sieht man doch gleich, dass er den Prinzipien unserer christlichen US-Regierung treu ist, die mildtätigem Regierungshandeln in aller Welt Vorbild und Maßstab bietet. (…) An einer Schlüsselstelle verlangt der baden-württemberger Fragebogen einen Kommentar zum folgenden Text: `Die Menschheit hat noch nie eine so dunkle Phase wie unter der Demokratie erlebt. Damit der Mensch sich von der Demokratie befreien kann, muss er zuerst begreifen, dass die Demokratie den Menschen nichts Gutes geben kann.´ Lang leben die baden-württemberger Bürokraten: Genau dasselbe hat Samuel Alito in seinen Bestätigungs-Anhörungen für seinen Posten am Supreme Court auch gesagt - die amerikanische Präsidentschaft sei `imperial´. Wozu demokratische Kontrolle; wozu eine unabhängige Justiz und das ganze demokratische Getue. Natürlich muss man die zukünftigen deutschen Staatsbürger prüfen, ob sie bereit sind, dem US-amerikanischen Vorbild zu folgen. Und nicht nur Alito hat sich von der Bürde der Demokratie befreit. Unser Präsident hat ihr rastlos entgegengearbeitet. In Guantánamo Bay hat er das Habeas-Corpus-Recht bekämpft. Sein Militär hat unter Bruch der US-Vorschriften Gefangene gefoltert und andere in geheime Verhörzentren in Nahost, Polen und Rumänien ausgeflogen. Er hat seine eigene Bevölkerung ausspionieren lassen, unter Verletzung des Auslandsspionagegesetzes von 1978. Damit hat er sich über das Gesetz gestellt - ein erster Schritt hin zur Befreiung von der Demokratie.“
Lesenswert sind wie so häufig die kompletten Artikel, die ich allein wegen den Grenzen des Zitatrechts hier nur auszugsweise wiedergeben möchte.
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