Dienstag, Februar 07, 2006

immer noch 7. Februar

Der Karikaturen-Konflikt ist nicht nur ein Gottesgeschenk für den einen oder anderen Internetblogger, der gerade eifrig Öl ins Feuer der Islamophobie gießt. Dem FOCUS zufolge reiben sich auch die französischen Rechtsextremisten die Hände. Brice Teinturier vom Meinungsforschungsinstitut TNS-Sofres befürchtet, dass mit jedem Tag, an dem über fundamentalistische Auswüchse geredet wird, die Gefahr steige, dass auch der Normalbürger Ressentiments gegen „den Islam im Allgemeinen“ entwickle: „Je hysterischer das Thema behandelt wird, desto größer wird diese Gefahr.“

Inzwischen fühlt sich Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen, durch die Karikaturen an die „antijüdischen Zeichnungen in der Hitler-Zeit vor 1939 erinnert“. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warnt in diesem Zusammenhang vor einer Überinterpretation der Pressefreiheit. Im aktuellen Fall sei mit einem sensiblen Thema sehr gedankenlos umgegangen worden, sagte Lammert im Deutschlandfunk. Pressefreiheit bedeute nicht, dass jede Geschmacklosigkeit „auf die Höhe eines Verfassungsanspruchs“ gehoben werden dürfe.

Ein Gelegenheitsleser meines Blogs mailt mir: „Wer sich den Ablauf der Ereignisse ansehen will, der kann sich in der Wikipedia schlau machen. Was momentan mir die Galle hochtreibt, sind die zum Teil undifferenzierten Reaktionen einiger Intellektueller. Zunächst neigen wir dazu zu vergessen, dass in Deutschland auf Kinos Brandanschläge verübt wurden, in denen die `Letzte Versuchung Christi´ lief oder dass tiefgläubige Christen in den USA Abtreibungsärzte ermorden - oder sollte ich sagen: eine Spätabtreibung vornehmen? Sicherlich ist das mit den massiven Ausschreitungen nicht zu vergleichen, aber zunächst gilt es festzuhalten, dass auch unserer `aufgeklärten Kultur´ religiöse Exzesse nicht fremd sind Oder darf ich an die Empörung zahlreicher Politiker über die `Kreuz-im-Klassenzimmer´-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnern? Mich ärgert, dass in der Presse nur das Bild des `hässlichen Moslem´ gezeichnet wird. Man geilt sich an den Gewaltbildern aus Syrien, Iran und dem Libanon auf. Haben wir es nicht immer gewusst? Die Araber sind Wilde. Der Iran, Syrien, die Taliban und konservative Kreise in Saudi-Arabien nutzen die Karikaturen und die Volksfrömmigkeit aus, um eigene politische Ziele zu erreichen. Was für viele Araber aus Polizeistaaten nicht nachvollziehbar ist: dass eine Zeitung etwas ohne Billigung der Machthaber veröffentlichen kann. Also richtet der Zorn sich gegen den Staat und nicht nur gegen die Zeitung. Auch sollte man nicht vergessen, dass viele der dortigen Demonstranten weder schreiben noch lesen können. Die glauben das, was man ihnen erzählt hat, und das ist selten das, was sich wirklich ereignet hat. Ich will die Exzesse nicht verteidigen, aber wir sollten aufhören, von `den Moslems´ zu sprechen. Ich denke, es macht einen Unterschied, ob man meldet: `Eine Gruppe wütender Moslems stürmte Botschaft´ oder `Eine Gruppe wütender Iraner stürmte Botschaft.´“

Ein anderer Leser mailt mir eine erste antiwestliche Karikatur aus Jordanien zu dieser Debatte.

Heute abend schließlich gibt es bei „Phoenix“ eine Talkrunde zum Karikaturenstreit. Daran wird auch das momentane Maskottchen dieses Blogs teilnehmen.

Alles in allem bekomme ich allmählich immer mehr den Eindruck, es wird bald höchste Zeit für eine Neuauflage meines „Lexikons der Tabubrüche“