Samstag, Juli 30, 2011

"Viele von Breiviks Gedanken sind gut, einige ausgezeichnet"

Noch gibt es neue Artikel zur Debatte um Islamkritik und Islamophobie, die ich zitierenswert finde, also wird auch die Presseschau zunächst fortgesetzt. Heute ist die Reaktion der Moslemhasser auf den Terror aus ihren Reihen ein Schwerpunktthema vieler Artikel.

Beispielsweise erkennt das Blog Hintergrund:

„Islamkritiker“ beklagen – trotz aller Distanzierungen von Breiviks Taten – weniger die Opfer als vielmehr sich selbst, da Breivik ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen habe. Überhaupt, so ein gängiges Argument, seien nicht sie für die Terror-Tat mitverantwortlich, sondern eben jene, die Breivik politisch ins Visier nahm. Denn die „Multikulti“-Fraktion habe erst durch die betriebene Masseneinwanderung die islamische Bedrohung auf die Tagesordnung gesetzt, gegen die sich schließlich gewehrt werden müsse.


Rechtspopulisten: Neuer Ton, alter Inhalt titelt dazu Österreichs "Die Presse" in einem insgesamt lesenswerten Artikel über den politischen Umgang der Aufwiegler mit dem blutigen Resultat ihrer Propaganda und wagt außerdem einige Vorhersagen:

Dass Europas Rechtsparteien nach den Attentaten in Norwegen ihre Strategie grundlegend ändern werden, glaubt auch der Berliner Politologe Hans-Gerd Jaschke nicht: Nur die norwegische Fortschrittspartei sei unter enormen Druck geraten, sagt er der „Presse“. Andere rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien würden bei ihren Ideen und Inhalten bleiben. Empirische Daten über die Auswirkungen der Attentate und der Diskussionen über den rechten Nährboden gibt es noch nicht; ob sie den Rechtspopulisten schaden oder sogar nutzen, darüber kann vorerst nur spekuliert werden.

(...) Der Salzburger Politologe Herbert Dachs rechnet damit, dass die FPÖ nun versuchen werde, „einen schmalen Grat des Sowohl-als-auch zu gehen“: Die Partei werde also „einerseits entrüstete Distanzierung von den schrecklichen Ereignissen demonstrieren, andererseits aber doch den Kern ihrer Kritik erhalten“. Nach einigen Wochen der „totalen Vorsicht“ werde man also „durchaus zu alter emotionaler Frische zurückkehren, zu Pauschalurteilen, deftigen Sprüchen auch unter der Gürtellinie und zum Schüren von Ängsten“. Man wolle ja weiterhin die eigene Wählerklientel ansprechen.


Einem Artikel auf der Titelseite der aktuellen "Zeit" zufolge (nicht online) sind die Morddrohungen gegen Muslime in der letzten Woche sogar sprunghaft angestiegen. Broders "Achse des Guten" berichtet triumphierend über eine Flut von Zuschriften mit dem Tenor "Weiter so!"

Der Berliner Tagesspiegel meldet:

Während Europas Feuilletons diskutieren, welchen Anteil extremistische Islamkritik und Islamophobie am Massaker von Norwegen haben, sehen manche keinen Grund, auf Abstand zu gehen. In Frankreich gab der Regionalpolitiker der rechtsextremen Front National Jacques Coutela im Internet zum Besten, dass der Attentäter „ein Widerstandskämpfer, eine Ikone“ sei, der „gegen die muslimische Invasion“ kämpfe. In Italien ist Ähnliches sogar aus dem Regierungslager zu hören. Mario Borghezio, der für die rechtspopulistische und fremdenfeindliche Lega Nord im Europaparlament sitzt, spendete dem Mörder von Oslo und Utöya im Radio Beifall: „Viele seiner Gedanken sind gut, einige ausgezeichnet. Dass sie sich in Gewalt entladen haben, daran ist die Migrantenflut schuld.“


Im Vergleich damit muss man fast schon Roger Köppel loben, der dasselbe in der SVP-nahen Weltwoche sehr viel subtiler sagt, um einerseits die Rechtsextremen zu bedienen, andererseits aber auch seine lediglich konservativen Leser nicht zu verschrecken:

Breivik ist die pervertierte Variante des europäischen «Wutbürgers». Damit ist die wachsende Zahl von Frustrierten und Alleingelassenen gemeint, die sich im normalen Politspektrum nicht mehr wiederfinden. (...) Am unheilvollsten aber war und ist die Weigerung der etablierten Parteien, die von ihren Wählern stark empfundenen Probleme im Zusammenhang mit der Migration – und hier besonders im Zusammenhang mit dem Islam – zur Kenntnis zu nehmen. Die Folgen einer jahrzehntelang fahrlässig-verantwortungslosen Zuwanderungspolitik sind spürbar und real.


Herzlichen Dank an Urs Bleiker für den Link! Ein anderer Leser weist mich darauf hin, wie die Jüdische Allgemeine das Massaker behandelt:

Doch Remes sprach das aus, was terrorerfahrene Israelis vielleicht mehr verunsichert als der sinnlose Tod friedlicher Jugendlicher: Die Identität des Täters passt nicht in ihr Weltbild. »Er hat das Gesicht eines Engels: kantiges Kinn, blonde Haare und blaue Augen.« Mit anderen Worten: Anders Behring Breivik sieht nicht arabisch aus. Wie konnte ein kultivierter Norweger einen Massenmord begehen? 60 Jahre nach dem Holocaust wollen sich Israelis einen blonden Teufel nur noch schwer vorstellen.


Die Islamische Zeitung merkt an:

Bevor wir in Klagen ausbrechen (analog zur Verschwörungstheorie einer „Islamisierung“ Europas) und Theorien einer allgemeinen, anti-muslimischen Verschwörung entwerfen, müssen wir politische Unterschiede in europäischen Ländern betrachten. Bisher besteht – noch – ein deutlicher Unterschied zwischen Staaten wie Deutschland, in denen es sicherlich zu unappetitlichen Kampagnen kam, und jenen Ländern, in denen es konkrete Beschlüsse gibt, die sich gegen muslimische Bürger richten. So hat sich die Bundesregierung von den Thesen Sarrazins abgegrenzt und sich nicht zu rechtlichen Schnellschüssen verleiten lassen, während unsere niederländischen Nachbarn die offen anti-muslimische PVV an die Macht wählten.

(...) Thomas Hammarberg, Kommissar für Menschenrechte des Europarats, schätzte die politische Lage Europa im IZ-Gespräch ähnlich ein: „Ich denke wir müssen Islamfeindlichkeit als eine schwere Bedrohung der Menschenrechte und der grundlegenden europäischen Werte sehen. (…) Es besteht Grund zur Annahme, dass die gegenwärtige ökonomische Krise es für extremistische Gruppen einfacher macht, Zuspruch für ihre anti-islamische und anti-muslimische Propaganda zu gewinnen.“


Die Süddeutsche Zeitung sieht in der Art, wie der Terror in Norwegen die Islamdebatte kippte, eine gewisse Ironie:

Gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem islamischen Fundamentalismus und seinem ideologischen Gegner, der europäischen Anti-Islam-Bewegung, waren den hellsichtigeren Beobachtern immer schon aufgefallen. Gleichwohl dürfte niemand damit gerechnet haben, dass die Anti-Islam-Bewegung auch ein ähnliches Tatmuster, einen ähnlichen Brutalisierungsfaktor hervorbringen würde. (...) "Der Krieg in unseren Städten" lautete der Titel eines 2003 erschienenen Buchs, das für die paranoide Richtung der Islamkritik typisch ist. Udo Ulfkotte, der Autor, forderte darin unter anderem die Aufstockung der GSG 9 und anderer Antiterrorkommandos, damit wir gegen die zu erwartenden Angriffe von Muslimen aus dem Inneren unserer Gesellschaft gewappnet sind. Nun aber wollte den "Krieg in unseren Städten" ausgerechnet jemand auslösen, der derselben anti-islamischen Denkschule wie Ulfkotte angehört. Die Aufstockung der Anti-Terror-Einheiten zu fordern: Es klingt, von heute aus betrachtet, als habe uns Ulfkotte damit vor der Radikalisierung seiner eigenen Ideen schützen wollen.


In der tageszeitung findet der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, man müsse Broder und Sarrazin vor überbordender Kritik in Schutz nehmen und das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten:

Islamkritik ist das eine, und menschenverachtender wie -verhetzender Hass gegen die Muslime, wie er sich in PI austobt (wie übrigens an anderer Stelle gegen Juden oder Christen), etwas völlig anderes. Grundsätzliche, auch radikale Religionskritik, des Islam wie auch etwa des Christentums, muss unbedingt weiter zulässig sein – gerade angesichts weiter existierender fundamentalistischer Tendenzen in allen Religionen. Und natürlich bleibt es ein Problem, dass viele Muslime sich mit Kritik an ihrer Religion schwertun und einige sogar Kritiker des Islam mit allen Mitteln mundtot zu machen trachten.

So richtig es somit bleibt, den biologistischen Charakter der Sarrazin'schen Thesen und seinen teilweise menschenverachtenden Jargon zu kritisieren, es gibt eine liberale Notwendigkeit, sich im Zweifel sogar für Broder und Sarrazin und ihr Recht zur Islamkritik einzusetzen, so unerträglich man sie auch empfinden mag.


Seit ich interessante Leserpost ausführlicher auf meinem Blog veröffentliche, erhalte ich immer mehr davon. Aktuell schreibt mir einer derjenigen, die den Internetforen der Männerbewegung seit einiger Zeit den Rücken gekehrt haben und den es nervt, "dass dich im MANNdat-Forum jeder blöd anmacht" ("jeder" ist nun allerdings extrem übertrieben):

Es hat sich bereits vor mehreren Jahren gezeigt, daß es – am Anfang wenige, dann immer mehr – Männer in der Männerbewegung gab, denen rechte Gedankengut und rechte Gesinnung um ein Vielfaches wichtiger war, als die Männerbewegung selbst. Aus diesem Grund war es für sie auch wesentlich, sich erstmal ab- und dann später auszugrenzen. Was links und später "Mitte" erschien, durfte nicht zur Männerbewegung gehören. Ob dies der Männerbewegung selbst nutzte oder gar schadete, war nebensächlich, da diese nur ein kleiner Teilbereich ihrer Interessen war. Rechte Gesinnung war die Hauptsache.

Dass diese nun vor einem Scherbenhaufen stehen ist interessant, da es mir selbst nie in den Sinn gekommen wäre, die Ereignisse in Norwegen mit der Männerbewegung in Zusammenhang zu bringen. Sowas fällt doch erst mal nur schrägen Gemütern wie Alice Schwarzer ein. Schnell aber zeigte sich: Der Nerv der Pestschreier war getroffen, das Gewissen (offensichtlich doch noch rudimentär vorhanden) rührte sich, Pflichtbekundungen folgten. Schuldige mußten her, die eigene Gesinnung konnte es doch nicht sein. Das Verbrechen ist in seiner Entsetzlichkeit doch schlicht nicht zu ignorieren.

Trotzdem muss es auch für diese ein Vehikel geben, ihr Gedankengut zu transportieren. Das Gedankengut selbst ist nicht schuld am Massaker. Welche Lösung für das Problem (egal welches, z.B. Islam) diskutiert wird, DAS kann schuld am Massaker sein. Wer Gegner entmenschlicht ("Pest"), sagt, dass das Problem ausgerottet gehört. Mit der Pest kann man nicht diskutieren. Demokratische Mechanismen funktionieren nicht gegen Krankheiten. Dies ist dann gesagt und andere können Schlüsse ziehen. Wie weit soll man hier tolerant sein? Meines Erachtens sehr weit. Die Botschaft: "Der Islam ist an allem schuld" kann schlicht nicht vernünftig begründet werden. Ohne Volksverhetzung ist das nicht transportierbar. Sollte es deswegen verboten sein? Wie setzt man dieses Verbot um? Sollten wir unsere Freiheit opfern, weil es dumme Menschen gibt?

Der Terrorismus der 70er Jahre hatte nicht das Ziel zu "siegen". Der Plan war, die Politik und die Polizei soweit zu provozieren, dass diese die Freiheit einschränkt und jeder sieht, wie totalitär der Staat ist. Das, was wir damals so bemängelt haben, dass nach einem Terroranschlag die Politiker große Reden schwingen, was alles getan werden muss – aber letztlich doch nichts tun – DAS hat uns damals vor dem Terrorismus gerettet. Der Staat lies sich nicht provozieren.

Heute ist das anders: In Norwegen gibt es einen Anschlag. In Deutschland werden Gesetzesänderungen, Verschärfungen ... diskutiert. WIR haben jedoch ein anderes Problem. WIR müssen uns nicht gegen Terroristen schützen. WIR müssen uns vor Politikern schützen, die unter allen Umständen unsere Freiheit einschränken wollen.

Daher müssen wir Dummköpfen erlauben dumm zu sein und dumme Sachen zu sagen, damit WIR nicht in unserer Freiheit gefährdet sind. Tolles Norwegen: Die norwegische Botschafterin (Vize-Botschafterin meines Wissens) hat bald nach dem Terroranschlag gesagt, sie glaube nicht, dass dies langfristig irgendwelche Folgen für ihr Land hat. Den Norwegern sei die Freiheit viel zu lieb, um sich diese um der Sicherheit willen einschränken zu lassen.

Nicht erspart bleiben kann und soll den Dummköpfen aber die politische Diskussion und der Hinweis, dass sie dumm sind. Verantworten aber muss man sich ausschließlich für das, wozu man aufruft.


Das war die Presseschau.