Freitag, Februar 10, 2006

10. Februar 2006

Anis Hamadeh hat Fritz Edlinger zu dem von ihm herausgegebenen Buch „Blumen aus Galiläa“ interviewt und stößt dabei auf bemerkenswerte Aussagen, was die Analyse überbordender Vorwürfe von Antisemitismus angeht. Zunächst äußert sich Erdinger zu dem Umgang mit dem erwähnten Buch: „Dass - wie bei derartigen Kampagnen üblich - viele der verbreiteten Zitate vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen sind und dass manche der Aktivisten das Buch nie selbst zur Hand genommen hatten, war für mich nicht neu. (…) Wie bereits zuvor erwähnt, habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen gegen das Buch, dessen Autor, gegen mich und den Verleger gewendet haben, ohne überhaupt das Buch gelesen zu haben. Ja manche haben nicht einmal die selektive Zitatensammlung gekannt sondern nur von parteiischen Journalisten und oder Wissenschaftlern verfasste Pamphlete. (…) Diesen Lobbyisten geht es schlicht und einfach darum, die unhaltbare Politik Israels zu vertuschen und von deren Verbrechen abzulenken.“ Was diese Politik angehe, habe er die Beobachtung gemacht, dass sich selbst israelkritische jüdische Freunde inzwischen sehr bedeckt hielten: „Ich habe dafür einige Erklärungen, die durchaus auch auf nicht-zionistische Juden anwendbar sind. Diese reichen von einem mitunter extrem starken Milieudruck (es ist sicherlich auch für säkulare nicht-zionistische Juden keine Freude, von Zionisten und/oder gläubigen Juden ständig als Verräter oder dergleichen diffamiert zu werden) bis hin zu einer vorauseilenden Selbstzensur.“ Die in den letzten Jahren aufgekommene These eines „Neuen Antisemitismus“ bereite Edlinger Probleme: „Die einschlägigen Definitionen sind derart vieldeutig und unklar, dass man mehr oder minder je nach Gutdünken den Kreis der neuen Antisemiten sehr weit ausdehnen kann. Man hat das ja vor nicht allzu langer Zeit mit dem vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung vorgelegten Definitionsversuch für Antisemitismus gesehen. Ich plädiere also in diesem Zusammenhang dafür, dass man sich auf die harten Fakten des alten Antisemitismus (also Verherrlichung des Nationalsozialismus, Holocaustleugnung, verschiedene Aspekte des alten christlichen Antisemitismus etc.) beschränkt, und alle anderen neuartigen Definitionen dem Reich der unwissenschaftlichen Spekulation überlässt.“ (Hier deckt sich Edlingers Auffassung offenkundig mit der meinen.) Schließlich kommt er auf die „politische Instrumentalisierung des Antisemitismus“ zu sprechen: „Es ist ja inzwischen eine Binsenweisheit, dass das politische Establishment in Israel und ein beträchtlicher Teil der internationalen jüdischen Organisationen den Antisemitismusvorwurf als Waffen gegen alle Kritiker der israelischen Expansions- und Besatzungspolitik verwenden. (…) Je ärger die israelische Besatzungspolitik und demzufolge auch ihr Grad an Völkerrechtswidrigkeit wurde, desto stärker wurde die Waffe des Antisemitismusvorwurfes eingesetzt. Nun hat die israelische Landraub- und Besatzungspolitik unter Arik Sharon zweifellos ihren Höhepunkt erreicht, sodass es natürlich auch eines entsprechenden propagandistischen Ausgleichs bedarf.“ Was die Debatte um die Mohammed-Karikaturen angeht, erkennt Edlinger „hinter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine skandalöse rassistische volksverhetzende und ausländerfeindliche Aktion“, die „auf das Schärfste abzulehnen“ sei, wobei er indes auch den Islam von scharfer Kritik nicht verschont.

Man sollte bei all dem allerdings nicht übersehen, dass es gegen Passagen von "Blumen aus Galiläa" auch Antisemitismusvorwürfe gibt, die handfester zu sein scheinen, als vieles was hier sonst manchmal gehandelt wird. (Ich selbst habe das Buch nicht gelesen und kann mir so zu seinem Inhalt kein Urteil erlauben.) Nicht nur Erdinger selbst gesteht diesen Vorwürfen offenbar Substanz zu, auch der seinerseits angefeindete Ludwig Watzal äußert sich im heutigen „Freitag“ klar: "So sind seine hauptsächlich in zwei Kapiteln des Buches vorgetragenen aggressiven Attacken gegen die jüdische Religion und den Einfluss des amerikanischen Judentums auf die Politik der USA völlig inakzeptabel und offenbaren judeophobes, verschwörungstheoretisches und antisemitisches Denken." Auch wegen anderer Äußerungen des Autors sah sich Watzal veranlasst, seine Zusammenarbeit mit ihm zu beenden.

Ebenfalls im aktuellen „Freitag“ äußert sich Sabine Kebir zur Karikaturen-Debatte: „Ich dachte immer, der Grad von Pressefreiheit misst sich an der ungestraften Möglichkeit, vor allem die eigenen Herrscher zu kritisieren und zu karikieren. Den vermeintlichen Feind zu reizen und zu verhöhnen, war und ist schließlich auch in Diktaturen erlaubt, oft sogar ausdrücklich erwünscht. (…) 1914 war für das Auslösen eines Weltkrieges noch ein echter Fürstenmord nötig. 1939 reichte ein fingierter Angriff auf den Sender Gleiwitz. Heute scheint ein Spaß zu genügen, den sich die Zivilgesellschaft eben mal erlaubt, obwohl sie per Selbstdefinition doch eigentlich friedlich ist. Tatsächlich unterstützen aber immer weniger Europäer - ja, immer weniger Menschen weltweit - den Heiligen Krieg des Westens gegen den Islam. Der Verdacht liegt nahe, dass bestimmte, nicht zuletzt mediale Scharfmacher deshalb ganz bewusst die Aufgabe übernehmen, augenfällige Beweise zu produzieren, dass die Muslime rückständig, gewalttätig und unberechenbar seien und deshalb vom Westen beaufsichtigt, kontrolliert, notfalls auch einmal geschurigelt werden müssten.“

In der „taz“ von heute argumentiert hierzu Neal Ascherson: „Auf beiden Seiten, und nicht nur in der muslimischen Öffentlichkeit, versuchen ehrgeizige Agitatoren, die aufgestauten Gefühle der Unsicherheit und der Bedrohtheit bauchrednerhaft zu artikulieren und auszubeuten. (…) Jede europäische Generation muss die Meinungsfreiheit neu erkämpfen und verteidigen - doch auf keinen Fall mit einer Art `neokonservativer´ Präventivschlag-Doktrin. (…) Alle Rechte - auch das auf Pressefreiheit - beinhalten zugleich das Recht zu entscheiden, wann wir sie in Anspruch nehmen. Diese Entscheidung kann etwa von Common Sense oder auch von Vorsicht geleitet sein. Ich mag das Recht haben, eine Zigarette neben einem Stapel undichter Benzinfässer wegzuwerfen, aber wahrscheinlich werde ich es nicht tun, und wenn ein Feuer ausbricht, werde ich dafür strafrechtlich belangt.“

Günter Grass äußert sich zu diesem Thema in der „Welt“: „Ich empfehle wirklich allen, sich die Karikaturen einmal näher anzuschauen: Sie erinnern einen an die berühmte Zeitung der Nazi-Zeit, den `Stürmer´. Dort wurden antisemitische Karikaturen desselben Stils veröffentlicht. Man kann nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung geltend machen, ohne zu analysieren, wie es um diese im Westen wirklich steht.“ Und Zafer Senocak erklärt in derselben Ausgabe, warum manche Islamhasser ihren größten Feinden durch ihre Tapsigkeit nur Schützenhilfe geben: „Die Islamophobie, die sich im Westen Gehör verschaffen möchte, ist nur die Kehrseite des Islamismus. Längst ist es üblich geworden, Praktiken wie Zwangsehen oder Ehrenmorde, die mit der islamischen Religion nicht zu legitimieren sind, unter der Rubrik Islam abzuheften. Damit wird jenen, die eine eindeutige, nach islamischen Vorstellungen nicht zulässige Deutungshoheit über die Quellen der islamischen Religion beanspruchen, Fett aufs Brot geschmiert. Aus Dummheit? Oder weil die Globalisierung und das Zusammenrücken von Menschen unterschiedlicher Kultur und Nationalität auch die Menschen in Europa überfordern?“

Über den Konflikt zwischen der Leipziger Buchmesse und der nationalkonservativen Zeitung JUNGE FREIHEIT berichten derweil unter anderem der „Kölner Stadtanzeiger“ („Aus alledem erwächst der Verdacht, dass die Leipziger Argumentation unaufrichtig ist.“), die „Frankfurter Rundschau“ („Die Affäre tendiert nun ins Possenhafte“) und der Berliner „Tagesspiegel“.

Und in der „Frankfurter Rundschau“ schließlich problematisiert der Jurist Horst Meier, dass dem Rechtsradikalen Horst Mahler der Reisepass entzogen wurde, damit er Deutschland nicht im Iran blamiert: „Da braucht man seine Schadenfreude nicht zu zügeln. Oder vielleicht doch? Nun, man könnte sich fragen, ob es mit rechten Dingen zugeht, dass jene Ausreisefreiheit, die das SED-Regime den Ostdeutschen so lange vorenthielt, neuerdings Rechtsradikalen verweigert werden darf.“