Donnerstag, August 31, 2006

noch 31. August

Hätte das Jürgen Möllemann noch erleben dürfen! Erstmals wurden Attacken des Zentralrats der Juden in Deutschland, bestimmte Politiker trügen mit ihrer Israelkritik zu einer „judenfeindlichen Stimmung“ bei, von anderen Politikern in großer Breite zurückgewiesen. Sowohl von der Regierung als auch von Oppositionsparteien erhalten Wieczorek-Zeul und Co. deutliche Rückendeckung. Möglicherweise hat der Libanonkonflikt einige Hirne freigepustet, was den Unterschied zwischen Israelkritik und Antisemitismus angeht. Es würde mich freuen, wenn ich mit meinen Texten wenigstens einen winzigen Teil dazu beigetragen habe, dass sich auch in solchen Fragen hierzulande eine Kultur etabliert, in der jeder frei seine Meinung sagen darf, ohne mit Rücktrittsforderungen, persönlichen Diffamierungen und Hasskampagnen unter Druck gesetzt zu werden.

Noch allerdings ist es beileibe nicht so weit. Deshalb geht das vorläufige Schlusswort in dieser Debatte an Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Heinz Galinski. Sie stellt klar: „Jegliche Kritik wird als Antisemitismus verurteilt, und dadurch ist ja schon fast jeder mundtot gemacht worden. (...) Ich kriege so viele Zuschriften von sehr, sehr engagierten Deutschen, die absolut nicht in der rechten Ecke sind, die sich aber schon gar nicht trauen, den Mund aufzumachen. Die sagen immer, sie können das mit ihrem Namen, aber wenn wir das sagen, sind wir sofort Antisemiten. So weit ist es in Deutschland leider schon gekommen.“

31. August 2006

Der jüdische Publizist Shraga Elam wehrt sich gegen Henryk Broders Unterstellungen von Antisemitismus. In einer bei Erhard Arendt veröffentlichten Stellungnahme heißt es unter anderem: „Neben diesen bekannten Personen (Noam Chomsky und Norman Finkelstein, A.H.) wurde auch ich als Judenhasser verleumdet. Ich stehe seit mehr als 30 Jahren zu meiner antizionistischen Haltung, und deshalb habe ich auch mein Geburtsland verlassen, wo ich an drei Kriegen teilnahm. Es stellen sich grundsätzliche Fragen, die nicht nur mich tangieren: Warum ist ein Jude «tendenziell ein Antisemit», wenn er nicht in Israel leben, diesen Staat nicht unterstützen will und keine Freude daran hat, dass Israel vorgibt, als «Judenstaat» in seinem Namen zu reden und zu agieren? Warum ist jemand, der gegen einen Apartheid-Staat ist und für ein friedliches Zusammenleben von sämtlichen Einwohnern des Landes westlich des Jordans - unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit -, «tendenziell ein Antisemit»? Solange Israel nur der Staat von Juden und nicht von sämtlichen Bürgern ist, ist es als rassistisch und nicht demokratisch zu betrachten.“ Henryk Broder und Personen aus seinem Umfeld waren in der Vergangenheit mehrfach dadurch aufgefallen, Personen mit abweichender Meinung zum Nahost-Konflikt als „Antisemiten“ zu diffamieren.

Mittwoch, August 30, 2006

immer noch 30. August

Von Blog zu Blog: Stefan Sasse analysiert das jüngste Interview Charlotte Knoblochs aus linksliberaler Sicht.

noch 30. August

Vor ziemlich genau zehn Jahren veröffentlichte ich in meiner SM-Kurzgeschichtensammlung „Neue Leiden“ die Erzählung „I Was A Tenage Sex Slave“. Darin ging es um eine junge Frau, die entführt und in einem Keller gefangengehalten wird, und wie sie nach ihrer Befreiung durch die verantwortungslose Reaktion der Medien zum zweiten Mal zum Opfer wird. Die Geschichte orientierte sich an einer wahren Begebenheit. Nun scheint sie sich von der Struktur bzw. der Problematik her im Fall von Natascha Kampusch zu wiederholen. Bettina Gaus hat dazu einen guten, notwendigen Beitrag geschrieben. Auch von anderen Kritikern gibt es entsprechende Vorwürfe, Österreichs Chefredakteure verteidigen sich dagegen. Inzwischen setzt sich Natascha Kampusch selbst gegen den Ansturm der „Trauma-Experten und der Klatschagenten der Mediengesellschaft“ zur Wehr. Die FAZ berichtet darüber in einem sehr deutlichen Artikel. Wenn ich manche apodiktische Ferndiagnosen lese (Natascha „werde es sehr schwer werden, jemals eine normale Beziehung zu einem Mann aufzubauen“ wird ihr da nach ihrer geglückten Flucht gleich als erstes öffentlich mitgeteilt), macht mich das ebenfalls nicht gerade glücklich.

30. August 2006

Differenzierte Information statt aufpeitschender Kriegsrhetorik:

Bahman Nirumand: “IRAN. Die drohende Katastrophe”

Montag, August 28, 2006

28. August 2006

Die ”Schwerpunktausgabe Iran” unseres kleinen, aber feinen Magazins “eigentümlich frei” steht online. Und was für ein hübsches Cover: Die Muslimas auf dem Foto entziehen sich komplett der hierzulande typischen Ikonographie, welche Muslimas vor allem als undurchschaubar, exotisch und geheimnisvoll oder aber unterdrückt, ängstlich und geknechtet in Szene setzt. Sehr ansprechend. Ich war übrigens angefragt worden, für diese Ausgabe das Interview Ahmadinedschads mit dem SPIEGEL zu analysieren, musste aber aus Zeitgründen (ch hatte in den letzten Wochen zwei kleine Operationen) leider ablehnen. Puh, das ist Ihnen also wenigstens erspart geblieben! Und so gut wie Kaspar Rosenbaum hätte ich es vermutlich eh nicht hingekriegt.

Sonntag, August 27, 2006

noch 27. August

”Wrong War, Wrong Word”

27. August 2006

Ich bin im Moment ein wenig faul, was das Bloggen angeht. Wer jetzt auf Entzug gerät, findet in diesem Blog von Big Berta viel Lesenswertes, was sich mit der islam- und letzten Endes menschenfeindlichen Polemik unserer neokonservativen Freunde auseinandersetzt. Zu den aktuellen Beiträgen gehört eine glänzende Antwort auf Maxeiner/Mierschens dümmlich aufhetzenden „Dhimmi“-Artikel in der „Welt“ (Motto: Wer keine Muslime beleidigt, ist feige), von Big Berta treffend betitelt mit ”Stürmer-Sprech bei den Islamophoben”.

Ein Auszug:
--- Jeder, der sich nicht in eine zunehmend modisch gewordene Denunziation von allem, was unter dem Stichwort „Islam“ firmiert, einspannen lässt, jeder, der nicht in den Chor mit einstimmt, nach dem sich alles eins ist: Araber, Türken, Perser, al-Qaida, Ehrenmord, Zwangsheirat … ist ein Dhimmi. Jeder, der in Zeiten zunehmender Anti-Islam-Hetze (ich sagte: H e t z e, nicht Kritik) zur Besonnenheit mahnt, ist ein Dhimmi. Am liebsten auch jeder, der auf einem multikulturellen Stadtfest erscheint, jeder, der mit den Schwarzhaarigen befreundet ist, oder sich auch nur mit ihnen sehen lässt. - Wie stand doch auf dem Schild, das frau nach 1933 um den Hals trug? „Ich bin am Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein.“ So widmet man Begriffe um, so erschafft man Neusprech. Das Wort ersetzt so manches Etikett früherer Zeiten: den stalinschen „Kulaken“, den „soft on communism“ der McCarthy-Ära, und den „Judenfreund“ der Nazizeit. ---

Auch viele weitere Einträge dieses Blogs argumentieren klug, aufklärerisch und auf höchstem Niveau: Jetzt lesen und verstehen, wie Michael Miersch, Henryk Broder und Konsorten mittlerweile ticken.

Grenzgenial ist auch dieser bei Berta verlinkte Text: ”So wird man Antideutscher – eine Anleitung”.

Samstag, August 26, 2006

26. August 2006

So, nachdem wir ihm alle in einer konzertierten Aktion geholfen haben, seine Autobiographie zum Bestseller zu machen, ist es nun auch langsam gut mit dem Palaver um Günter Grass. Inzwischen haben sich schon die unterschiedlichsten Prominenten und Halbprominenten in dieser Sache geäußert, aber am treffendsten schildert wohl der Wiesbadener Psychotherapeut Nikolaus Geberth in seinem Zwischenfazit das Verhalten so einiger Zeitgenossen: „Da bekennt sich ein Mensch zu den Verirrungen seiner Jugend und wird daraufhin in der Öffentlichkeit scharf angegriffen. Manche würden ihn am liebsten zerreißen wie Hyänen, die eine Schwäche bei einem Tier entdeckt haben, und ihm sein Lebenswerk, seine persönliche Integrität und seine Ehrungen aberkennen.“ (Weiter geht es hier.)

In dieselbe Kerbe schlägt ein Zwischenruf aus St. Gallen: ”Über das Zeigen mit dem Finger”.

Wohlgemerkt: Diese klaren Worte beziehen sich auf das Hyänenhafte mancher „Kritiker“, sobald der alte Löwe sichtbar schwächelt: Einige waren ja vor Begeisterung komplett aus dem Häuschen, als Grass von seiner SS-Mitgliedschaft als 17jähriger sprach, andere phantasierten ihn als „tief verstrickt“. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich nicht, dass ein Grass außerhalb jeder Kritik steht. Vermutlich bin ich einfach zu jung, ich konnte noch nie viel mit dem Kerl anfangen. Der Musiker Bernd Begemann erklärt hier, welche guten Gründe es gibt, Grass nicht zu mögen. Witzig ist allerdings, dass oft genau jene Leute geradezu ekstatisch auf Grass einprügeln, die, ähnlich wie Grass, selbst am grobmotorischsten mit der Kollektivschuld-Moralkeule herumfuhrwerken. Motto: Was ich an mir selbst so hasse, dass ich´s gar nicht wahrhaben will, dafür mache ich andere um so begeisterter fertig. Das Büchlein „Antideutsche, Neokonservative und ihre Projektionen“ kann so um ein weiteres Kapitel ergänzt werden.

Dienstag, August 22, 2006

22. August 2006

Manche Politsekten sind besonders bizarr – und gewinnen trotzdem an Einfluss: Die “Berliner Zeitung” berichtet über die Antideutschen.

Samstag, August 19, 2006

19. August 2006

”Das war der 11. September des Libanon”

Rezension zu Sabine Schiffers „Die Darstellung des Islams in der Presse“ (Ergon 2005)

„Wie ist es möglich“ fragt sich die Erlanger Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Sabine Schiffer (Leiterin des Instituts für Medienverantwortung) in der Einleitung ihres Buches, „dass 1,2 Milliarden Menschen, die in verschiedenen Erdteilen und Ländern dieser Welt mit unterschiedlichsten politischen Systemen leben, die mal regierungspolitisch beteiligt sind, mal einer Minderheit angehören, deren soziokulturelle Umfelder heterogen sind, die auf dem Land leben oder in der Stadt, die reich oder arm sind, die modern ausgerichtet sind oder eher konservativen Werten anhängen, die ihre Religion – den Islam – im Alltag praktizieren oder nicht, deren Bildungsgrad sehr unterschiedlich ist usw., zunehmend als homogene Masse – als aggressiv, frauenfeindlich, rückschrittlich und bedrohlich – wahrgenommen werden?“ Das ist die zentrale Frage, die Schiffer sich anschickt, mit ihrer medienkritischen Analyse zu beantworten. Dabei zieht sie von der Diskursanalyse über die klassische Sprachwissenschaft bis zur Orientalistik und Politologie die unterschiedlichsten Disziplinen als Instrumente hinzu.

Recht schnell kristallisiert sich bereits im (immerhin 55 Seiten umfassenden) Einleitungsteil heraus, dass die von Schiffer eingangs erwähnte Mehrzahl der Muslime beim Bild des Islam, das deutsche Medien präsentieren, keine Rolle spielen. Stattdessen stehen fast ausschließlich außenpolitische Negativereignisse im Fokus der Berichterstattung. Dementsprechend sind in Sendungen über Muslime Schlusssätze nicht ungewöhnlich wie „Die große Mehrheit ist ruhig und fällt nicht auf und kam deshalb in dieser Sendung nicht vor.“ Ein solches Herangehen ist nicht einzigartig für die Berichterstattung über den Islam, wie Schiffer richtig ausführt: Medienrealitäten fokussieren grundsätzlich Normverletzungen und blenden den unspektakulären Alltag aus. Wenn jedoch, so Schiffer, „gegenteilige Informationen über muslimisches Leben ausgeblendet bleiben, ebenso wie Gewalt, Terror und andere Negativa in anderen Teilen der Welt, entsteht bereits der Eindruck eines kausalen Zusammenhangs zwischen den geschilderten Erscheinungen und dem Islam“. Wir hören und lesen also nur über jenen im Promillebereich liegenden Anteil an Fanatikern unter den Muslimen und halten diese daraufhin für typisch und stellvertretend für den Islam insgesamt.

Der Prozess des selektiven Zeigens und Ausblendens führt, wie Schiffer erklärt, zu einer hochgradig verzerrten Wahrnehmung beim Rezipienten. Dies lasse sich bei den unterschiedlichsten Feldern feststellen. Etwa beim Thema Innenpolitik und Kriminalität: Von spektakulären Razzien in Moscheen werde gerne auf den Titelseiten der Zeitungen berichtet, dass diese Razzien in den allermeisten Fällen ergebnislos bleiben, landet entweder nur im Innenteil oder bleibt gänzlich unerwähnt. Oder beim Thema Frauenrechte: In Saudi-Arabien etwa sei es Frauen tatsächlich untersagt, Auto zu fahren. In Kuwait hingegen können sie als Geschäftsführerinnen tätig sein (und Anfang 2006 wurde ein kuwaitischer Abgeordneter wegen einer „Hetzrede“ gegen Frauen in der Politik zu einer Geldstrafe von umgerechnet 14.000 Euro verurteilt, wie man hinzufügen könnte), im Iran gibt es Parlamentarierinnen, in Pakistan und Bangladesh hatten Frauen gar die Regentschaft inne. In Ägypten liegt der Anteil weiblicher Universitätsprofessoren bei 30% (in Deutschland hingegen 1998 bei 9,5%). Dennoch reiche es heutzutage aus, eine verschleierte Muslima zu zeigen, um arbeitsökonomisch hocheffizient beim Betrachter das gewohnte Klischee „Frauenunterdrückung im Islam“ abzurufen. Und schließlich zeuge auch eine Verweigerungshaltung gegen Moscheen in Deutschland, begründet mit dem Argument, dass man in islamischen Ländern angeblich auch keine Kirchen bauen dürfe, vor allem von Unkenntnis: „Dies trifft wiederum auf Saudi-Arabien zu, wirkt aber im Nahen Osten geradezu lächerlich, wo in Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten und den Maghrebstaaten Kirchen ebenso zu Hause sind wie Moscheen.“ Immer wieder werden von Schiffer so populäre Irrtümer und Vorurteile über den Islam praktisch en passant widerlegt.

Die Kunst selektiven und denunzierenden Herausgreifens illustriert Schiffer auch am Beispiel des Korans. Zitiere man aus dieser Schrift Passagen, die den Krieg und die Unterwerfung von Nichtmuslimen als legitimes Mittel darstellen, „isoliert von ihrem Kontext und ihrer Gewichtung in der islamischen Lehre, so entsteht leicht der Eindruck einer aggressiven, expansiven Ideologie“. Dasselbe Vorgehen lasse sich allerdings auch bei den beiden anderen großen Buchreligionen Juden- und Christentum anwenden, wie der Orientalist Navid Kermani in einem von Schiffer zitierten Artikel für die „Frankfurter Rundschau“ erklärte: „Wie billig ein solches Muster ist, wird daran deutlich, wie leicht es sich ins Gegenteil verkehren lässt: Kolonialismus, Kreuzzüge, der Völkermord an den Indianern, Inquisition und Jesu Missionsbefehl, Tschetschenien, Irak, Sabra und Schatila, Palästina, Srebnenica und die christliche Propaganda der Serben, die dezidiert biblische Legitimation der Apartheid, Holocaust, zwei Weltkriege, zur Variation jetzt gern auch die Elfenbeinküste, all das versehen mit ein paar Heiligenzitaten aus Bibel, Bush und Berlusconi und von führenden Amerikahassern interpretiert, schon hat man genügend Belege gesammelt, um die Einfältigen von der angeborenen Aggressivität des Christentums zu überzeugen.“ Tatsächlich, erklärt Schiffer, werde im moderneren Islam Krieg allein „zu Verteidigungszwecken akzeptiert und die legitimen Gründe sind in der islamischen Gesetzgebung genau ausformuliert: Dies sind die Verteidigung von Leben, Familie, Eigentum und Religion, Beistand angegriffener Muslime zur Wahrung der Religionsfreiheit sowie der Kampf gegen Friedensvertragsbrüchige. In allen anderen Fällen herrscht explizites Kriegsverbot. Außerdem gibt es strenge Verhaltensregeln im Kriegsfall; so müssen Frauen, Kinder und alte Männer verschont werden, Gefangene und Leichen dürfen nicht misshandelt werden. Waffenstillstandsangebote müssen angenommen werden, auch wenn man den Verdacht hat, getäuscht zu werden.“ Selbstverständlich gebe es auch in der islamischen Welt Menschen, die solche Regeln missachten, das unterscheide sie aber nicht von jeder anderen Gesellschaft.

Der Hauptteil von Schiffers Arbeit widmet sich Bild- und Textanalysen von Beiträgen insbesondere auflagenstarker Zeitungen und Magazine wie „Spiegel“, „Zeit“ und „Focus“. (Die Originalartikel sind in einem umfangreichen Anhang vollständig dokumentiert.) Dabei orientiert sie sich stark an den bereits bekannten Methoden der Diskursanalyse, wie sie vor allem vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung angelegt werden, bezieht sich aber auch auf Medienanalytiker wie Kepplinger sowie klassische Autoritäten der Linguistik wie Grice, Girnth und Bellmann. Ihre Ergebnisse lassen sich in einer Rezension kaum vollständig und angemessen wiedergeben, aber eine häufig wiederkehrende Erkenntnis ist, dass dem Islam ein Komplex negativ konnotierter semantischer Merkmale (wie „weltumspannender Terror“, „Frauenunterdrückung“, „Krankheit“, „erdrückende Masse“, „Gewalt“ usw.) zugeordnet wird. Das Bild des aggressiven, feindseligen, rückständigen und expansiven Islam werde fast schon als Binsenweisheit vermittelt, auf die dann mit weiteren Veröffentlichungen (etwa: „Wie können wir uns gegen diese Religion wehren?“) leicht aufgebaut werden kann. Schiffer: „Inzwischen ist das Misstrauen gegenüber Muslimen schon so stark etabliert, dass der Versuch, sich konstruktiv mit den Facetten des Islams auseinanderzusetzen, bereits als Verharmlosung desselben abgetan wird. Das dualistische Denken manifestiert sich hier. Differenziertheit in einen konfrontativen Diskurs einzubringen wird darum schnell als Verrat empfunden.“ Versuche von Muslimen, dieser Konfrontation zu entgehen (etwa durch nachdrückliches Bekennen zu Grundgesetz und Menschenrechten oder das Anstreben eines christlich-islamischen Dialogs), werde schnell als „unglaubwürdig“ und „Unterwanderungsversuch“ interpretiert.

Häufig beruhen die Verzerrungen, die Schiffer aufdeckt, allem Anschein nach weniger auf bewusster Agitation als schlicht auf Unkenntnis (so etwa wenn mehrere im Duden enthaltenen Lexeme dieses Feldes aus wissenschaftlicher Sicht falsch und irreführend seien). In anderen Fällen handelt es sich offenbar schlicht um Gedankenlosigkeit. So stellt Schiffer heraus, dass beispielsweise die Bezeichnung „Ajatollah“ (ein Ehrentitel für geistliche Würdenträger im schiitischen Islam) bei Komposita und Nominierungen ausschließlich pejorativ besetzt sei (etwa „Alpen-Ajatollah“ für Edmund Stoiber, „Ajatollah von der Saar“ für Lafontane usw.). Inzwischen finde sich „Ajatollah“ bereits in Herbert Pfeiffers „Großem Schimpfwörterbuch“ und stelle somit zweifellos ein Ethnikon dar. Kaum weniger abwertend werde „Mullah“ (Ehrentitel für einen islamischen Rechtsgelehrten) verwendet, wie sich in einer Kontextanalyse zeigen lässt.

Schiffer gelangt zu dem Fazit, dass sämtliche sechs typische Wahrnehmungsmuster, die nach Anne Katrin Flohr ein Feindbild ausmachen (Worst-Case-Denken, duales Schwarz-Weiß-Denken usw.), bei der Darstellung des Islam in unseren Medien erkennbar werden. Ein strategischer Zweck dieses Feindbilds sei, dass durch das sprachliche Zeigen von Misständen „dort“ von hiesigen Umständen abgelenkt werden könne: „Wegverweisung dient immer der Stabilisierung der eigenen Ordnung“. Auch bewahre „Kontinuität und Sicherheit in der Berichterstattung die Medienrezipienten (...) vor inneren Widersprüchen“. Es handele sich mithin um eine psychische Entlastungsfunktion: Die Erklärung der aktuellen globalen Konflikte durch religiösen Fanatismus mache es möglich, sich eine kritische Selbstreflexion zu erparen.

Besonders bemerkenswert ist in Schiffers Arbeit das Kapitel, das einen Vergleich zwischen der heutigen Islamfeindlichkeit und dem Antisemitismus insbesondere früherer Zeiten zieht. Schiffer: „Alle Arbeiten zum (Antisemitismus) sind geprägt durch die Retrospektive, die die moralische Verurteilung des Geschehenen voraussetzen kann. Die Erkenntnis der Ungeheuerlichkeit dieser systematischen Vernichtung von Menschen verhindert aber nicht automatisch neue Diffamierungen, die Konstruktion von Feindbildern und deren Konsequenzen, die von der Beleidigung des Gegenübers über die Ausgrenzung einer Personengruppe bis hin zu ihrer angestrebten oder tatsächlichen Vernichtung gehen kann. (...) Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung können helfen, auch a priori entmenschlichende Mechanismen zu durchschauen, die immer ein Potenzial zur Aktion beinhalten.“ Ein jahrhundertealter vorbereitender Diskurs habe den Holocaust erst möglich gemacht. Grundsätzlich gebe es für Feindseligkeiten gegenüber anderen Menschen(gruppen) zwei Rechtfertigungsstrategien: Entweder werden diese als minderwertig phantasiert oder aber als bedrohlich, so dass ein „Verteidigungsmythos“ geschaffen werden könne. Schiffer weist darauf hin, dass auch die Antisemiten etwa des Kaiserreiches sich selbst als defensive Bewegung verstanden, und zeigt unter anderem anhand einer Ausgabe der „Gartenlaube“ von 1873 Argumentationsfiguren auf, die einem aus der Islamfeindschaft der Gegenwart bekannt vorkommen: Die Juden, so hieß es, vermehrten sich gefährlich stark, gefährdeten mit ihrem Terrorismus unsere Werteordnung („Hatten nicht mehrheitlich jüdische Attentäter 181 Zar Alexander ermordet? War der Mörder des US-Präsidenten McKinley 1898 nicht ein jüdischer Anarchist?“), auch der Rauschgifthandel war angeblich „in jüdischer Hand“. Schiffer: „Die Juden konnten es den Nichtjuden nicht recht machen. Entweder sie bewahrten ihre Kultur (auch äußerlich), dann wurden sie als integrationsverweigernd und antideutsch eingestuft, oder sie assimilierten sich, dann wurde ihnen Verstellung und Parasitentum unterstellt.“

Besonders eindringlich schildert Schiffer ihr Erlebnis, den Nazi-Propagandilm „Der ewige Jude“ zu sehen, was sie als „einschneidende Zäsur“ ihrer Arbeit betrachtet: „Zum ersten Mal erkannte ich die Parallelen zum heute geführten diskriminatorischen Diskurs über den Islam. (...) Die These von der Unterwanderung durch die Juden wird pseudowissenschaftlich belegt durch Zitate – so zum Beispiel aus dem 5. Buch Mose: `die Fremden magst du überwuchern (...), deinesgleichen nicht´, die durch ihr Herausgerissensein aus dem Zusammenhang einen gänzlich falschen Eindruck erwecken. (...) Mithilfe seltsam anmutender Bilder von betenden Juden wird zudem ihre Zurechnungsfähigkeit angezweifelt. Die Religiösität der out-group wird der Rationalität der in-group gegenübergestellt (...)“ Ähnlich wurde die „Gefahr, die durch die Juden droht, in Kartenschaubildern visualisiert, die sinn-induktiv hintereinander geschnitten sind: eine graphische Darstellung der jüdischen Expansionsgeschichte“ – und insofern erschreckend ähnlich Schaubildern über die Ausbreitung des Islams, wie man sie in Zeitschriftenartikeln unserer Tage findet.

Bei ihrem Vergleich gelangt Schiffer zu dem Fazit: „Wesentliche Merkmale des rassistischen Diskurses über die Muslime (...) sind die sprachliche Markierung der Muslime als out-group sowie die Homogensierung dieser Gruppe von außen, das Zuschreiben bestimmter Eigenschaften durch Selektion von Informationen, die Kulpabilisierung der Religion für politische Ereignisse , die Integrationsforderung ebenso wie der Verstellungsvorwurf – Stichwort `Schläfer´ – das Zürückrücken-ins-stereotype-Licht unter anderem durch die Deklaration von Ausnahmen bzw. der Existenz eines `gemäßigten Islams´ – entsprechend dem einstigen `Reformjudentum´ -, sowie das Heraufbeschwören einer Gefahr durch die Mitglieder dieser Gemeinschaft weltweit. Das Schächten wird seit den Hochzeiten des Antisemitismus als Wahrzeichen von Grausamkeit und Unzivilisiertheit instrumentalisiert. Äußere Zeichen von Andersartigkeit sind nun nicht mehr Kaftan, Schläfenlocken und Kippa, sondern Bart und Kopftuch. Inzwischen wurde sogar die Tiermetaphorik des Rattenbilds auf den Islam übertragen.“ Dabei, so Schiffer, sei es nicht entscheidend ob die heutige Diffamierung des Islams vor allem aus „Unkenntnis oder Unbedacht“ statt mit nationalsozialistischen Absichten nachgewiesen werden könne, denn das Ergebnis – „eine diffuse Ablehnungshaltung ohne Sachkenntnis“ – bleibe gleich.

Schiffers ausgesprochen lesenswerte und überfällige Analyse stellt ohne Zweifel ein wegweisendes Grundlagenwerk dar, das insbesondere durch seine kompetente Arbeit mit Handwerkzeugen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen herausragt. Bedauerlicherweise stellt es im Fachgebiet der Text- und Medienanalyse bislang eine Einzelstimme dar, die aber hoffentlich zu weiteren Untersuchungen dieser Art anregt. Gerade das letzte Kapitel des Buches zwingt die Frage auf, warum gerade Autoren, die im Bereich Antisemitismus krauseste Unterstellungen bis hin zum Lächerlichen pflegen, selbst auf Diskurse und rhetorische Strategien zurückgreifen, die in vergangenen Jahrhunderten die Judenvernichtung vorbereiteten und heute gegen den Islam gewendet werden. Eine Analyse von Texten aus der islamfeindlichen Bloggerszene um Henryk Broder und Michael Miersch, Organisationen wie „Honestly Concerned“ usw. wäre hier sicher ein lohnendes Unterfangen. Vor dem Hintergrund der von Schiffer aufgezeigten Parallelen liegt die Spekulation nahe, dass zumindest bei einigen Autoren dieser Szene eine Projektion eigener uneingestandener Rassismen auf vermeintliche „Antisemiten“ stattfindet. Auch wenn die Text- die Psycho-Analyse naturgemäß nicht ersetzen kann, dürften sich hier für eine Debatte fruchtbare Beiträge ergeben. Allerdings sollten diese Extremformen des Antiislamismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Feindseligkeiten und Herabsetzungen in unserer Medienlandschaft insgesamt auf fruchtbaren Boden stoßen. Auch dies hat Sabine Schiffers Analyse in besorgniserregender Weise gezeigt.

Ausgewählte Texte von Sabine Schiffer im Internet:

”Der Islam in unseren Köpfen”

”Sabine Schiffers Room” bei Anis Hamadeh

”Der Indianer als Fanatiker”

Mittwoch, August 16, 2006

noch 16. August

Hatte sich vor kurzem noch Rolf Verleger als, wie ich es nannte, „das Gewissen im Zentralrat der Juden in Deutschland“ profiliert (und war damit ziemlich einsam geblieben), tritt nun Evelyn Hecht-Galinski an seine Seite. In einem in der FAZ veröffentlichten Leserbrief von ihr heißt es unter anderem:

--- Gerade die Berichterstattung in den deutschen Medien zeugt von einer erschreckenden "Ausgewogenheit", besonders im Vergleich mit der ausländischen, sogar der von "Haaretz". (...) Israel braucht keine U-Boote und Waffen von uns, sondern Druck. Wo bleibt der Aufschrei über den Einsatz von Streumunition auf Zivilisten? (...) Israelische Kindergärten haben Bunker, libanesische Kinder, siehe Kana, hatten diese Chance nicht. Wo bleiben die Bilder aus Gaza? Allein im Monat Juli (laut F.A.Z. 171 Tote, davon 54 Kinder). (...) Die jüdischen Gemeinden und der Zentralrat tun mit falscher Solidarität und Abschmetterung jeder auch berechtigten Kritik Israel und den Juden keinen Gefallen. Gerade die deutsche Politik und die deutschen Medien wären besser beraten, sich gerade aufgrund der Vergangenheit nicht in eine falsche Propagandamaschinerie ziehen zu lassen. ---

Währenddessen blamiert sich Michael Wolffsohn so gut er kann.

16. August 2006

Heute finde ich in meiner Post ein Geschenk, über das ich mich besonders freue: Norbert Elbs Dissertation “SM-Sexualität. Selbstorganisation einer sexuellen Subkultur“, erschienen in der Reihe „Beiträge zur Sexualforschung“ des renommierten Psychosozial-Verlags. Ein Begleitschreiben Dr. Elbs, der offenbar seit einigen Jahrzehnten in Mannheim als Subkulturforscher tätig ist und die SM-Bewegung den Neuen Sozialen Bewegungen zurechnet, informiert mich über die Hintergründe dieser Zusendung: Mein „Lexikon des Sadomasochismus“ habe ihn positiv eingenommen, weil ich darin „Widersprüchliches innerhalb der SM-Subkultur auch widersprüchlich dargestellt“ habe. Das ehrt und überrascht mich: Bisher hatte ich angenommen, dass meine Veröffentlichungen allein auf dem Gebiet der Geschlechterforschung und Ideologiekritik wissenschaftlich aufgegriffen werden. Da ich zeitgleich einige interessante Titel zu anderen Themen erhalten habe (für die Neugierigen unter euch: Islam, Feminismus und Parapsychologie), werde ich mich diesem Buch nicht sofort gründlich widmen können. Eine kursorische Durchsicht macht, was Aufbau und Inhalt geht, aber einen ausgesprochen guten Eindruck auf mich. Wer sich generell für dieses Thema interessiert, möge dies durchaus schon mal als vorsichtigen Literaturtipp betrachten.

Montag, August 14, 2006

noch 14. August

Und auch heute spiele ich wieder Reklameonkel für die taz. Sie hat es momentan verdient.

So äußert sich in der aktuellen Ausgabe Stefan Reinecke treffend zum Fall Grass: „Unfassbar, schreiben manche, atemlos vor Empörung. Es hagelt Ausrufezeichen und moralische Superlative. Je jünger die Kommentatoren sind, desto markiger fallen die Urteile aus. Doch wenn man den Fall ohne Ausrufezeichen betrachtet, schrumpft der Skandal.“ In der Tat: Offenbar macht es manchen Leuten nichts leichter als über sechzig Jahre Abstand, damit sie sich noch nachträglich zu tapferen Widerständlern gegen Hitler phantasieren. Und im Vergleich zu solchen Größenphantasien wirkt der reale 17jährige Grass natürlich eher mau.

Im Interview ist außerdem Friedrich Küppersbusch. Ein Auszug:

taz: Der Krieg im Libanon geht im TV weiter. Die Berichte sind proisraelisch, sagen die Kritiker Israels. Die Berichte sind antiisraelisch, sagen die anderen. Wer hat Recht?

Küppersbusch: Angriffe auf UN-geschützte Flüchtlingskonvois, Nichtgenehmigung von Rot-Kreuz-Transporten, Angriff auf UN-Stützpunkt, zivile Opferzahlen - diese Fakten sind auch von israelischer Seite unbestritten. Das Handwerk fordert, Meldungen mit mehreren, von einander unabhängigen Quellen belegen zu können. Dabei gelten Fakten, die die gegeneinander Krieg führenden Parteien bestätigen, als sicher. Mehr ist dazu aus journalistischer Sicht nicht zu sagen. (...)

taz: Müsste die Bundesregierung Israels Kriegsführung nicht offiziell kritisieren - anstatt sich in der EU gegen eine Verurteilung Israels zu sperren?

Küppersbusch: Eine solche israelkritische deutsche Haltung laut auszupoltern halte ich für kein Problem in zwei-, dreihundert Jahren.

Na, das ist doch beides trefflich auf den Punkt gebracht.

14. August 2006

Anis Hamadehs Medienschau Nahost enthält heute, wie ich finde, besonders interessante Beiträge.

Sonntag, August 13, 2006

noch 13. August

Die taz von morgen porträtiert Rolf Verleger, das Gewissen im Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Artikel illustriert, welche Zivilcourage heutzutage erforderlich ist, um Israel gerade als Jude zu kritisieren, zeigt aber auch, dass die deutschen Juden bei dieser Frage lange nicht so einig sind, wie es der Zentralrat offenbar gerne hätte.

13. August 2006

Vier aussagestarke Beiträge aus Amerikas größter liberalen Zeitschrift „The Nation“:

The Semantics of Terror

Neocon Dreams, American Nightmares

Fear and Smear

A Letter From 18 Writers

Samstag, August 12, 2006

noch 12. August

Günter Grass war also in der Waffen-SS – und Frank Schirrmacher liefert zu diesem Bekenntnis einen einsichtsvollen Kommentar :

„(W)äre die Debatte nicht wahrhaftiger gewesen, wenn man gewußt hätte, daß aus einem verblendeten Mitglied der Waffen-SS (so stellt Grass selber sich dar), einem der Jugendlichen, die da lagen, einer wie er hätte werden können - nicht nur ein Verteidiger, ein Protagonist von Freiheit und Demokratie? (...) Als vor einigen Jahren bekannt wurde, daß der Romanist Hans Robert Jauß mit achtzehn in die Waffen-SS eingetreten war, beschädigte dies irreversibel sein wissenschaftliches Renommee. Damals hätte eine erklärende Stimme gutgetan. Keine, die beschönigt, was die SS gewesen ist, sondern eine, die klarmacht, daß kaum jemand für sich als Siebzehn- oder Achtzehnjährigen garantieren kann. Es geht nicht, schon gar nicht im Jahre 2006, um Schuldzuweisungen, sondern um jenes Gran von Skepsis und Selbstverunsicherung, die einem beibringen, daß das Leben kein Hollywood-Film ist, in dem man immer auf seiten der Guten das Kino verläßt.“

Aufschlussreich sind auch die (bislang) drei Kommentare unter Schirrmachers Artikel. Einige scheinen jetzt eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben, ihr Hühnchen mit Grass zu rupfen. Und es ist recht offensichtlich, dass sie nicht wegen seiner Taten als 17jähriger die Hasskappe aufhaben, sondern wegen seiner moralischen Appelle all die Jahrzehnte danach.

12. August 2006

Was geht eigentlich in den Köpfen vieler verbitterter und später vielleicht radikalisierter Muslime vor? Hier ist eine mögliche Antwort: How I Found Myself Standing With the Islamic Fascists.

Freitag, August 11, 2006

11. August zum Vierten

Der Terrorismusexperte Udo Ulfkotte, nicht gerade als „Islamistenversteher“ bekannt, äußert klare Worte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: Die Strategie, wie sie vom „Westen“ (speziell den Neokonservativen) gefahren werde, sei grundfalsch und mache alles nur noch schlimmer.

immer noch 11. August

Menschenrechte seien zwar nicht falsch, so der britische Innenminister John Reid, aber für andere Zeiten gemacht. Schließlich sei man nun im Krieg gegen islamische Faschisten. In der Tat, die Feinde der Freiheit sind mitten unter uns - aber nicht unbedingt Muslime. Ein literarisches Szenario, wie es mit England dank Typen wie Reid weitergehen könnte, gibt es schon seit Jahren.

noch 11. August

Da wir gerade beim Thema sind:

Die Opfer, die BILD bringt (1)

Die Opfer, die BILD bringt (2)

Ja, das glaub ich wohl, dass es dann stört, wenn ein Helfer den Journalisten libanesische Tote zeigt ...

11. August 2006

Irgendwie scheint es die kriegsgeile Bloggerfraktion nicht so klasse zu finden, jetzt vor halb Deutschland als überspannte Verschwörungstheoretiker dazustehen, und verweist geradezu rasend und mit viel rhetorischem Buhei auf einen Beitrag des NDR-Medienmagazins „Zapp“ vom Mittwoch, der vor allem die alte These beweist, dass es für jede Verschwörungstheorie immer auch einige Personen aus dem Mainstream gibt, die sie ernst nehmen. (Ich kann mich da an eine „Tatort“-Folge zum 11. September erinnern ...) „Zapp“ belegt, dass Salam Daher, Mitarbeiter des libanesischen Katastrophenschutzes und von den Bloggern nur als „Mr. Green Helmet“ bezeichnet, die Leiche eines getöteten Kindes mit einigem Aufwand gezielt der Kamera darbietet, offenbar um so die Weltöffentlichkeit zu erreichen.

Dieser „Zapp“-Beitrag überzeugt. Zumindest diejenigen, die sich weniger über die Massenmorde in Hitlers Konzentrationslagern aufregen als über die aufrüttelnden Filmaufnahmen der Leichen, die danach von den Alliierten angefertigt wurden, um die Deutschen über die Greuel aufzuklären. (Und falls Sie den Holocaust-Vergleich zu hoch gegriffen finden, dann denken Sie an die Aufnahmen von Massakern in Vietnam oder was immer Sie am passendsten finden.) Seltsamerweise scheint es für einige Leute akzeptabel zu sein, andere Menschen umzubringen, jedoch - um mit "Zapp" zu sprechen - "zynisch", die Opfer der Öffentlichkeit zu zeigen. Solche Bilder sind aber möglicherweise notwendig, um die Weltgemeinschaft in den Hintern zu treten, damit das Abschlachten endlich aufhört.

Stattdessen findet man auf einschlägigen Bloggerseiten inzwischen Kommentare wie: „Obviously Israel has killed civilians but many reports comming out of Lebanon have been wildly exaggerated. Hezbollah has turned the entire South Lebanon into a Hollywood production, a theatre of sorts. Of course Israel killed these people, but parading bodies back and forth for hours like what was done in Qana has a dramatic effect on world opinion”. Irgendwie erinnert das doch wieder fatal an Sprüche wie “Es hat niemals einen Holocaust gegeben, und außerdem sind die Zahlen weit übertrieben!” Das Töten, sicher, schon irgendwie unangenehm, aber wenn die Leute eh schon tot sind, muss man sie dann auch noch aller Welt zeigen? Da glaubt der islamhassende Blogger schon lieber an Hisbollywood – so wie andere Leute eben an einen getürkten 11. September glauben. Vielleicht ist das ja notwendig, um eine innere Distanz zu den Greueln zu gewinnen: Das waren nicht "unsere Leute", das ist alles nur eine Theateraufführung der Hisbollah. Eine Auseinandersetzung mit den furchtbaren Realitäten wäre sinnvoller.

Donnerstag, August 10, 2006

immer noch 10. August

Auch die ”taz ” widmet sich heute den Versponnenheiten der antiislamischen Bloggerszene. In der Überschrift hießt es: „Im Internet (...) blühen die Verschwörungstheorien zum Libanonkrieg. Bestätigt wurde bislang zwar noch keine – doch das kümmert die Blogger wenig“. Der lesenswerte Artikel bewertet ihre Spekulationen als „makaber und geschmacklos“ und berichtet: „Ein Kommentator der Washington Post nannte sie bereits `ein politisch rechtes Äquivalent zu den 9/11-Verschwörungstheorien´. Damals wurde in islamistischen und anderen Blogs und Online-Foren gemutmaßt, der CIA oder der Mossad könne hinter den Terroranschlägen stehen. Die Mutmaßungen über Kana tauchten in Israel und den USA sogar in seriösen Blättern auf, während sie hierzulande nur von der Bild-Zeitung ernst genommen wurden.“

Zum selben Thema äußert sich auch die ”Berliner Zeitung”. Insofern haben die antideutschen und neokonservativen Blogger also immerhin eines ihrer Ziele erreicht: Sie sind in vieler Munde. Aber es war wohl kaum Teil ihres Plans, sich dabei komplett lächerlich zu machen.

noch 10. August

Offenbar in dem Bestreben, die Folgen des israelischen Angriffs auf den Libanon als weniger fürchterlich erscheinen zu lassen, kam es in der islamfeindlichen deutschen Bloggerszene in den letzten Tagen immer wieder zu Unterstellungen, bestimmte Berichte seien massive israelfeindliche Medienmanipulationen. (So etwa auf ”Lizas Welt”, der notorischen ”Achse” und vermutlich auf etlichen anderen Seiten des Wer-Mitleid-hat-ist-schon-ein-Antisemit-Netzwerks, die ich aber nicht alle eigens darauf untersucht habe, weil mir schon von diesen beiden Websites häufig übel wird.) Mit großer Begeisterung steigert man sich in kühnste Verschwörungstheorien hinein, zitiert sich gegenseitig und beglückwünscht einander, weil man doch zu den wenigen gehöre, die solche „Manipulationen“ durchschauten. Auf welch tönernen Füßen die „Medienkritik“ der Blogger in Wahrheit steht, enthüllt heute ein Artikel in der „Zeit“: ”Wie Blogger im Libanonkrieg Propaganda betreiben”.

10. August 2006

Wieder einmal bringt der Antisemitismus-Vorwurf einen Menschen dazu, den Mund zu halten: Diesmal traf es den norwegischen Schriftsteller und Menschenrechtler Jostein Gaarder (Autor des Bestsellers „Sophies Welt“ und Träger des Willy-Brandt-Preises). Er wurde nach seiner scharfen Kritik an Israel als „Antisemit“ angegriffen und möchte daher zu diesem Thema in Zukunft lieber schweigen. Gaarder gilt der FAZ zufolge als eher sanft und still, einen Großteil seiner schriftstellerischen Einkünfte brachte er in eine Stiftung gegen Umweltzerstörung und Doppelmoral ein. Seinem aktuellen Essay zufolge war ihm Israels momentanes Vorgehen im Libanon jedoch spürbar an die Nieren gegangen: „Wir nennen Kindermörder Kindermörder und werden niemals akzeptieren, dass sie ein göttliches oder historisches Mandat haben, das ihre Schandtaten rechtfertigen könnte. Wir sagen nur: Schande über alle Apartheid, Schande über ethnische Säuberungen, Schande über alle Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung, ob die nun von Hamas, Hisbollah oder dem Staat Israel begangen werden!“ Auch hatte Gaarder das Selbstverständnis der Juden als „Gottes auserwähltes Volk“ zurückgewiesen. Zwar sei die Mehrzahl der Reaktionen auf seinen Essay positiv ausgefallen: „Mit seiner mutigen und wohlbegründeten Analyse lasse sich ein norwegischer Schriftsteller endlich einmal nicht einschüchtern“ hatte ein Kollege bekundet, andere urteilten, dass Gaarder „kluge, klare und humane Worte“ gefunden habe. Aber dafür gerieten einige Attacken auf Gaarder besonders schrill und verletzend: So tönte die jüdische Schriftstellerin Mona Levin, Gaarders Essay sei das Widerlichste gewesen, was sie seit Hitlers „Mein Kampf“ gelesen habe. Dass Gaarder sich im Unterschied zu Hitler GEGEN Krieg und GEGEN den Glauben an eine Herrenrasse ausgesprochen hatte, musste ihr vor lauter Empörung entgegangen sein. Zum ersten Mal in seinem Leben, so heißt es in der FAZ weiter, schaue sich Gaarder besorgt um. Von denjenigen, die sich bei der Verteidigung der rassistischen Mohammed-Karikaturen in ihrem „Kampf für die Meinungsfreiheit“ noch täglich selbst überboten hatten, ist im Fall Gaarders derweil nur ohrenbetäubendes Schweigen zu hören.

Mittwoch, August 09, 2006

noch 9. August

Seit einigen Tagen hab ich mal wieder die „taz“ im Abo. Ihr sonderbares Verhältnis zur Pressefreiheit hat mich zwar zunächst davon abgehalten, aber zum Libanonkrieg finden sich darin wirklich kluge und fundierte Artikel. Zwei Beispiele von heute:

Der Orientalist, Islamwissenschaftler und Hisbollah-Experte Stephan Rosiny verwahrt sich im taz-Interview gegen einseitige Schuldzuweisungen: „Alle Seiten wollen im Grunde ihren Gegner vernichten. Dazu gehört es, ihn zu dämonisieren und zu entmenschlichen. So geschieht das im Hisbollah-TV-Sender al-Manar - aber auch bei israelischen Politikern, die von den Arabern wie von Tieren sprechen. Die Hisbollah betont immer wieder, dass sie die unrechtmäßige Besatzung Palästinas verurteilt. Ein ihr nahe stehender Geistlicher, Muhammed Hussein Fadlallah, hat es einmal so ausgedrückt: Selbst wenn die Israelis Muslime wären, würden wir gegen sie kämpfen: Weil sie den Palästinensern das Land genommen haben - und nicht, weil sie Juden sind.“ Ist das Bombardieren kompletter Wohnviertel wirklich nötig, weil sich die Hisbollah unter Zivilisten verberge? Nein, erklärt Rosiny: „Im libanesischen Bürgerkrieg haben palästinensische Milizionäre tatsächlich den Schutz der Zivilbevölkerung gesucht, und damit Israels Vergeltungsschläge provoziert. Das führte damals zur Entfremdung von den Schiiten. Weil die PLO auf diese Weise ihren Ruf zerstört hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hisbollah heute diese Taktik anwendet. Ihre Kämpfer haben alle selbst ihre Familien im Südlibanon. Es ist wirklich naiv zu glauben, dass sie ihre Raketen in ihren Privathäusern deponieren würden.“

Und der Verleger und Autor Ilija Trojanow hat einiges zu dem Kindergarten-Unfug „Die haben aber angefangen!“ zu sagen, den Israel derzeit wie eine Standarte vor sich herträgt: „Jeder rhetorische Angriff, jede verbale Verteidigung benutzt dieses Prinzip, als sei es eine moralische Wunderwaffe. (...) Die Keule der Selbstgerechtigkeit schlägt nicht nur alle ethischen Einwände kurz und klein, sie zerstört auch unsere Menschlichkeit, weil wir das Unentschuldbare sauberreden. Kinder werden zerfetzt, und wir diskutieren über die Verhältnismäßigkeit der `Reaktion´ Israels. Ein Viertel wird kaputt gebombt, und wir heben einen anklagenden Finger in Richtung Hisbollah. Wenn drei entführte Soldaten mehr wiegen als tausend unschuldig Inhaftierte, hat sich der Verstand verwirrt. Schon 1998 hat Amnesty International in einem Bericht erklärt, dass Israel zugegeben habe, wahllos Libanesen zu entführen als Verhandlungsmasse, um sie gegen eigene Soldaten zu tauschen. Manche von ihnen seien schon seit zehn Jahren an geheimen Orten in Einzelhaft festgehalten. (...) Vor einigen Tagen sagte der israelische Premier Olmert: `Wir werden sie stoppen. Wir werden nicht zögern, die strengsten Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die tausende von Raketen gegen unschuldige Zivilisten richten, mit dem einzigen Ziel, sie zu töten.´ Ich zweifle nicht daran, dass Herr Olmert diese Sätze mit inbrünstiger Überzeugung von sich gegeben hat, aber natürlich entgeht keinem Betrachter die grimmige Ironie, dass Israel genau das tut, was es bei seinem Feind verhindern will. Hunderte von Zivilisten sind getötet, und eine Million Libanesen vertrieben worden, und nur die gebetsmühlenartig wiederholte Anklage `ihr habt angefangen´ steht zwischen dem Staat Israel und der Schuld an einem Angriffskrieg oder an Massenmord.“

Wenn die taz auf diesem Niveau bleibt, bin ich gerne bereit, den einen oder anderen Tjark Kunstreich zwischendurch zu überlesen.

9. August 2006

Für Islamhasser scheinen die Karten derzeit schlecht zu stehen: So scheiterte der Orientalist Hans-Peter Raddatz zum einen mit dem zusammenphantasierten Vorwurf, die laut SPIEGEL größte Anlaufstelle für Muslime, „Muslim-Markt“, habe einen Mordaufruf gegen ihn in die Welt gesetzt. Entgegen Raddatz Bestrebungen wurde gar nicht erst ein Hauptverfahren gegen den „Muslim-Markt“ eröffnet, nicht wegen eines Mordaufrufs und nicht einmal wegen Schmähkritik oder Beleidigung. Das Recht der Betreiber des „Muslim-Markt“ auf Meinungsfreiheit sei höher einzuschätzen als die Empfindlichkeiten von Herrn Raddatz, urteilte die zuständige Richterin. Lange zuvor schon hatte ein Gutachten des BKA den „Muslim-Markt“ von den absonderlichen Vorwürfen gegen ihn entlastet.

Zum anderen muss sich gemäß eines weiteren Urteils Raddatz wegen Sätzen wie „Der Christ missbraucht seine Religion, wenn er Gewalt anwendet, der Muslim missbraucht seine Religion ebenso, wenn er Gewalt nicht anwendet.“ jetzt auch noch einen Vergleich mit Rechtsextremen gefallen lassen. Damit dürfte die Opfernummer für ihn wohl endgültig durch sein.

Die Bloggerszene der anderen Rechtsex ... Verzeihung: „Islamkritiker“ ist nun fröhlich am Toben. War es ihnen doch in der Vergangenheit so gut gelungen, selbst gröbste Unverschämtheiten, Beleidigungen und Unterstellungen aus den eigenen Reihen mit dem hehren Gut der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen, so sind sie jetzt anscheinend fassungslos darüber, dass dieselbe Freiheit auch für muslimische Untermenschen gelten soll. Dabei können sie sich in Wahrheit sehr wohl die Hände reiben: Mit der Übernahme von Raddatzens Verstiegenheiten konnten sie über lange Monate hinweg eine von vielen Medien bereitwillig aufgegriffene Diffamierungskampagne gegen den vermeintlich mordlustigen „Muslim-Markt“ fahren, bei der es (wie in meinem eigenen Fall) auch schon mal zu Kollateralschäden unter denen kam, die zu einem konstruktiven Gespräch selbst mit Muslimen - *keuch!* - bereit waren. Es gilt eben noch immer die alte Regel: Man bewerfe nur gründlich mit Dreck, etwas bleibt immer haften.

Dienstag, August 08, 2006

immer noch 8. August

„Wie sieht kritischer Onlinejournalismus im 21. Jahrhundert aus?“ Über „Open Democracy“, seit anderthalb Jahren Linktipp auf meiner Homepage, gibt es heute einen erfreulichen Artikel in der „taz“.

noch 8. August

Auch die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet inzwischen über den einen Abtrünnigen im Zentralrat der Juden. Die Reaktionen indes fallen so aus, wie man sie wohl erwarten musste: Selbst der Antisemitismusvorwurf kommt wie auf Knopfdruck. Mir scheint, hier haben sich viele schon in einem mentalen Masada eingebunkert; da kommt nichts mehr rein oder raus.

8. August 2006

Atmen Sie bitte erst mal tief durch, bevor Sie sich den nächsten Zeilen zuwenden. Ich war unvorbereitet und bin beim Lesen vom Stuhl gefallen.

Kritik aus dem Zentralrat der Juden an Israel

--- (Zentralratsmitglied Rolf) Verleger erinnert an historische jüdische Autoritäten wie Rabbi Akiba. Der habe das wichtigste Gebot des Judentums in dem Spruch „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ erkannt: „Das glaubt mir doch heutzutage keiner mehr, dass dies das ,eigentliche' Judentum ist, in einer Zeit, in der der jüdische Staat andere Menschen diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, gezielte Tötungen ohne Gerichtsverfahren praktiziert, für jeden getöteten Landsmann zehn Libanesen umbringen lässt und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legt. Ich kann doch wohl vom Zentralrat der Juden in Deutschland erwarten, dass dies wenigstens als Problem gesehen wird.“ ---

Diese verfluchten Antisemiten hocken mittlerweile überall.

Montag, August 07, 2006

noch 7. August

Mal wieder ein Sprung zu einem meiner anderen Lieblingsthemen: “The Many Voices of Wikipedia“.

(Eines der Hauptprobleme der _deutschen_ Wikipedia, die enorme ideologische Einseitigkeit, wird hier beispielhaft diskutiert.)

7. August 2006

“Es wird einen zweiten 11. September geben.“

Ich kenne einige Blogger, die freuen sich schon darauf. Wäre das für sie doch der endgültige Beweis, dass der Islam terroristisch und menschheitsbedrohend ist.

Sonntag, August 06, 2006

6. August zum Vierten

“Ist Israel gut für die Juden?“

fragt Norman Birnbaum in The Nation, der führenden Oppositionszeitschrift der USA.

immer noch 6. August

And now to something completely different: Wie SPIEGEL und ZEIT berichten, ist in London gerade der erste Masturbathon zuende gegangen: Onanieren für einen guten Zweck wie den Kampf gegen Aids oder für eine verbesserte sexuelle Aufklärung. Ich bin sehr dafür, eine ähnliche Veranstaltung auch in Deutschland stattfinden zu lassen, und hoffe, mit der passenden Literatur den Weg dazu geebnet zu haben.

noch 6. August

USA und Israel vor den Scherben ihrer Nahostpolitik.

6. August 2006

Wie langjährige und gründliche Leser meiner Texte wissen, bin ich ein großer Fan von „trivialen“ Formaten wie Soap Operas und Comicbooks, unter deren so glatt wirkender Oberfläche sich oft aufschlussreiche politische Statements verbergen. Im Augenblick ist das auf sehr drastische Weise bei den Superhelden-Comics des US-amerikanischen Marvel-Verlags ("Spider-Man", "X-Men") der Fall. Während Bushisten in Deutschland die Kritik an George Bush demagogisch mit plumpem Antiamerikanismus gleichsetzen (Motto: „Die USA hat Deutschland von einer menschenfeindlichen Diktatur befreit, also sollte Deutschland die USA gefälligst auch dann unterstützen, wenn sie selbst menschen- und freiheitsfeindliche Züge annimmt!“), zeigen die Comickünstler des Marvel-Verlages mit ihrer Serie „Civil War“ die enorme Zerrissenheit der Vereinigten Staaten auf. Der Grundgedanke dieser Serie ist eine Polarisierung des Marvel-Superhelden-Universums, so dass etwa der Großindustrielle und ehemalige Waffenproduzent Tony Stark/“Iron Man“ auf Seiten der Regierung steht, Captain America als Verkörperung der amerikanischen Ideale jedoch fahnenflüchtig ist. Für viele Beobachter ist klar: Prinzipiell heißt es in dieser Serie ”Captain America und Co. gegen George Walker Bush“. Und tatsächlich findet die Kritik an der momentanen Einschränkung der Bürgerrechte durch den ”Patriots Act“ und begleitende Gesetze nicht nur zwischen den Zeilen statt: Anklänge an die Greuel von Guantanamo Bay oder Verknüpfungen mit der Masseninternierung von Japanern in Sammellagern, die in den USA der 1940er Jahre stattfand, sind unüberlesbar. Mit seiner Kritik an der aktuellen amerikanischen Regierung toppt Marvel damit noch einmal seinen größten Konkurrenten DC, der in seinem Universum Supermans Erzfeind, den Superschurken Lex Luthor, zeitgleich mit George Bush in "unserer" Realität zum amerikanischen Präsidenten machte. Nie waren Comics politischer als heute.

Samstag, August 05, 2006

immer noch 5. August

Es ist nicht nur eine Handvoll irrer Blogger, die uns dem Weiterführen des Krieges zuliebe vormachen wollen, dass alles halb so schlimm wäre und die Berichte über die zahlreichen Opfer nichts als Schauermärchen von Terroristen seien. Mit der Springerpresse haben sie einen mächtigen Verbündeten, der diese Ideen den Deutschen nur zu gern in die Köpfe hämmern würde. Gottseidank gibt es über die Verdrehungen wenigstens der BILD inzwischen Aufklärung im Internet. Bildblog berichtet über Propaganda mit toten Kindern.

noch 5. August

Es geht also auch ohne Polemik, Unterstellungen von Antisemitismus und Schaum vor dem Mund: Josef Joffe, nicht gerade als größter Kritiker der israelischen Regierungspolitik bekannt, besticht aktuell durch einen durchaus differenzierten Artikel.

5. August 2006

„Israel schneidet Libanon von der Welt ab“ berichtet heute das „Hamburger Abendblatt“. Hilfslieferungen sind keine mehr möglich, die Fluchtwege sind versperrt, die Menschen sterben dutzendweise, es droht Seuchengefahr. Die Lage der Zivilbevölkerung ist verzweifelt, Hilfswerke sprechen von einer “humanitären Katastrophe“. Auch Christen-Gebiete stehen mittlerweile im Bombenhagel Israels.

Hierzulande gilt einigen derweil sogar der STERN wegen einer kritischen Berichterstattung über Israels Kriege als “antisemitisch“.

Ich muss sagen, dass für jemanden wie mich, der Sprach- und Medienwissenschaften studiert hat, die Propaganda, die das Abschlachten im Moment begleitet, nicht ohne eine gewisse Faszination ist. Nennt mich naiv, aber ich bin durchaus der Meinung, dass das Umbringen anderer Leute der menschlichen Natur eigentlich zuwider ist. Zu beobachten, wie dieses Morden rechtfertigt wird, wie jegliche Kritik daran als obszön zurückgewiesen wird und sich Täter als Opfer stilisieren, das alles nicht nur anhand Jahrzehnte alter Quellen studieren zu können, sondern anhand gegenwärtig geschriebener Texte, das ist eine zwar grässliche, aber durchaus erkenntnisfördernde Erfahrung. „Niemand soll glauben, es ginge um die leidenden Palästinenser oder die geschundenen Libanesen, die zwischen die Fronten geraten sind.“ schreibt aktuell mal wieder Henryk Broder. Nein, weil es ihm nicht darum geht, soll es auch sonst niemandem darum gehen. Wer vor sechzig Jahren Massenmorde anprangerte, war ein Vaterlandsverräter, wer ähnliches heute tut, ist eben ein Antisemit. Hauptsache, man macht den Leuten klar, dass sie das Maul zu halten und sich nicht einzumischen haben, sobald das Blut zu spritzen beginnt.

In Wahrheit sind die meisten Deutschen natürlich keine Gegner Israels, sondern angesichts dieses Konfliktes innerlich so zerrissen, wie es Fridrich Brandi-Hinnrichs hier eindrucksvoll schildert. Oder man lese diesen Artikel der „Deutschen Welle“: „In der deutschen Öffentlichkeit herrscht weitestgehender Konsens, dass die Raketenangriffe auf Israel inakzeptabel sind. Finstere Hisbollahkämpfer und ihre iranischen Hintermänner, die Israel von der Landkarte tilgen wollen, wirken auf Deutsche nur abstoßend. Der gelegentlich zu hörende Vorwurf, die Deutschen sähen nur das Leid der libanesischen Zivilbevölkerung, nicht aber das der israelischen, geht völlig ins Leere. Seit Jahren findet jedes einzelne Terroropfer in Israel breiten Raum in den deutschen Medien - einen breiteren oft als tausende Opfer afrikanischer Kriege. Auch jetzt zeigen die Nachrichten das Elend auf beiden Seiten. Aber die Deutschen legen an den Staat Israel höhere moralische Maßstäbe an als an eine Terrororganisation. Das ist nicht ungerecht, es ist vielmehr Zeichen der Wertschätzung. Als Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 um sein Überleben kämpfte, wurde es in Deutschland von einer Welle der Sympathie getragen. Wenn es aber auf Terroranschläge gegen Zivilisten mit Gegenschlägen antwortet, die ein Zehnfaches an Opfern fordern, fehlt dafür das Verständnis.“

Was einem den Magen umdreht, ist die aufhetzende Einseitigkeit und die Erbarmungslosigkeit selbst mit komplett Unschuldigen, die bei einigen vermeintlichen „Freunde Israels“ so offensichtlich ist. Ja, nicht wenige von ihnen mögen durch den Holocaust unzweifelhaft traumatisiert sein. Aber das Schaffen von neuen Leichenbergen ist wohl kaum ein probates Mittel, um dieses Trauma zu bewältigen.

Donnerstag, August 03, 2006

noch 3. August

Was für ein Glück, dass wir erklärtermaßen “die Guten“ sind! Sonst müssten wir allmählich noch anfangen, uns Gedanken zu machen ...

3. August 2006

Hab ich gestern noch Jürgen Elsässers Beitrag als einen Spitzenartikel zum Einrahmen und Über-den-Schreibtisch-Hängen beschrieben, gibt es heute schon einen neuen Text, der sogar noch punktgenauer auf die Zwölf haut: Simply the best!

Wer lieber über einen differenzierteren jüdischen Denker unserer Tage lesen will: Alfred Grosser spricht über die moralische Verpflichtung unseres Landes und die hierzulande herrschende Pressezensur.

Mittwoch, August 02, 2006

2. August 2006

Ich klau mal ein bisschen bei Anis Hamadehs „Medienschau Nahost“ - wer weiß, ob ihr alle seine Website wirklich so brav aufsucht, wie ich es euch seit längerem empfehle. ;-)

Ganz oben steht ein Spitzenartikel Jürgen Elsässers, der sich diesem ganzen Sumpf zwischen Antideutschen und Neokonservativen ausführlich widmet. Dabei kommen glasklare Erkenntnisse zutage: „Der große Karrierevorteil der Antideutschen ist, daß nur sie so kaltschnäuzig Auschwitz instrumentalisieren können wie die in Washington tonangebenden Neocons.“ Und: „Was bei den Neocons und ihren deutschen Ablegern erschreckt, ist die Kälte, mit der sie den Massenmord kalkulieren und beklatschen, und die konsequente Mißachtung des Völkerrechts, um ihre Vorstellung von einem `neuen´ Nahen Osten oder einer besseren Welt durchzusetzen. Es gibt in der heutigen westlichen Gesellschaft keine andere Strömung, die mit so viel Menschenverachtung das Töten in Afghanistan, im Irak, im Libanon begrüßt und mit ihren Mitteln zu befördern sucht wie diese.“ Sowie: „Deswegen hat der Antiislamismus den Antisemitismus als wichtigste Haßideologie des Imperialismus abgelöst. Von der jüdischen Weltverschwörung reden nur noch rückständige Irre; im Mainstream von Politik und Medien hat sich statt dessen die islamistische Weltverschwörung als neue Wahnideologie etabliert.“ Wer jemals längere Zeit auf den einschlägigen Bloggerseiten zwischen „Achse des Guten“ und „Lizas Welt“ gelesen und ihren Wahn studiert hat, irgendwie noch nachträglich das Warschauer Ghetto vor über sechzig Jahren zu bewältigen, indem man heute so viele Araber umbringt wie möglich, der kann sich dem nur anschließen. Noch einmal Elsässer: „Sind also die Neocons die Faschisten unserer Zeit? Bevor man dem allzu schnell zustimmt, muß man dem Problem ins Auge sehen, daß diese Leute sich in der Regel als Antinazis definieren. Sie berufen sich auf die Lehren aus dem Holocaust und wollen ein neues Auschwitz verhindern – und deswegen sind sie für den Massenmord. Das ist eine ungeheuerliche Demagogie – aber das kennen wir schon von der Hitlerschen Propaganda.“ Man sollte sich diesen Artikel einrahmen und über den Schreibtisch hängen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet von einer neuen Verschwörungstheorie zum Massaker von Kana, die derzeit in den von Elsässer beschriebenen Kreisen grassiert. Im Zentrum dieser Theorie steht das reichlich absonderliche Argument: „Es ist sooo unfair, dass die Hisbollah ausgerechnet da Zivilisten hinpackt, wo wir ganz friedlich und unschuldig unsere Bomben abwerfen.“ Und wer die ermordeten Kinder den Weltmedien zeigt, ist nach dieser Lesart erst recht ein Freund des Terrorismus. Naja, Israel hat die UNO aus dem Libanon gebombt, da wird das mit den Journalisten bestimmt auch möglich sein. Warum eigentlich überträgt Jerusalem der Hisbollah nicht gleich die israelische Regierung, wenn diese Gruppe ohnehin schon für jegliche Entscheidung des israelischen Staates verantwortlich gemacht wird?

Ebenfalls in der „Süddeutschen“ erklärt Erhard Eppler überzeugend und nachvollziehbar, warum die Politik des Immer-feste-druff inzwischen selbst für militärisch überlegene Mächte in einem Fiasko enden muss.

Und die BILD erinnert noch einmal daran, dass sie in erster Linie Propagandainstrument ist (und erst in zweiter Linie Dreckschleuder des Boulevard): In diesem Artikel etwa zählt sie wie selbstverständlich nur die israelischen Opfer.

Zum Abschluss noch ein hübsches Zitat von einem jener Herren, zu denen Jürgen Elsässer nicht viel Freundliches einfallen konnte: „Immer, wenn es im Nahen Osten brennt, geraten viele deutsche Mitbürger in einen Zustand gesteigerter Erregung – wie Pyromanen auf Entzug, die lange kein Feuer mehr angezündet haben, sich aber gerne die Hände an den Flammen wärmen.“ Bitte? Sie regen sich eigentlich vor allem darüber auf, wenn massenhaft unschuldige Menschen umgebracht werden, darunter zahllose kleine Kinder? Und Sie haben nicht nur „lange kein Feuer angezündet“, sondern überhaupt nie und sind deshalb auch nicht „auf Entzug“? Ts, ts, ts. Sie sind doch Deutscher, oder? Und da sind Sie natürlich von Geburt an böse und verkommen, zumindest in den Augen von Leuten, die anscheinend entweder polemisieren bis zur Debilität, um dadurch jede Kritik an diesen Untaten abzublocken, oder aber bis zur Halskrause vollgepackt sind mit Rassismus, ob gegen Araber oder gegen Deutsche, sich dabei jedoch selbst gerne als mutige Widerständler gegen den Antisemitismus inszenieren. Jepp, man kann es nicht anders sagen: Jürgen Elsässer hat mit seiner Analyse voll ins Schwarze getroffen.