Dienstag, Januar 31, 2006

31. Januar zum Vierten

Mir flattern hier gerade noch einmal zwei Meldungen hinter meinen Schreibtisch.

Der britische “Guardian” berichtete gestern von der Ermordung eines neunjährigen Palästiensermädchens durch das israelische Militär. (Worüber ich in meiner deutschen Zeitung natürlich nichts lesen konnte – Sie? Ich frage nur, weil unsere Medien angeblich nichts anderes zu tun haben, als Israel zu verurteilen ...) In dem Artikel heißt es: „The nine-year-old girl's parents realised she was gone as they watched the election results on television. They do not know precisely what happened, but the Israeli army later said Aya was behaving in a suspicious manner reminiscent of a terrorist - she got too close to the border fence - and so a soldier fired several bullets into the child, hitting her in the neck and blowing open her stomach. Aya was the second child killed by the Israeli army last week. Soldiers near Ramallah shot 13-year-old Munadel Abu Aaalia in the back as he walked along a road reserved for Jewish settlers with two friends. The army said the boys planned to throw rocks at Israeli cars, which the military defines as terrorism. The two killings went unnoticed by the outside world amid the political drama, but they made their impact among Palestinians angered by demands from western leaders for Hamas to recognise Israel and renounce its armed struggle. Some Palestinians see the demands as a rejection of a democratic election and as siding with Israel. Others see hypocrisy. They say Israeli soldiers killed twice as many Palestinians last week alone - both of them children - as the number of Israelis killed by Hamas all last year.”

Einige Irrlichter vergleichen mittlerweile den Wahlsieg der Hamas mit der Machtergreifung Adolf Hitlers. Hier dreht sich die Achse des Grotesken so weit, dass sie sich vollends überschlägt: Während Vergleiche der israelischen Greuletaten mit denen der Nazi pfuibäh sind, weil sie angeblich an der Einmaligkeit des Holocaust rütteln und ihn verharmlosen würden, scheinen Vergleiche der unterdrückten Palästinenser mit den Nazis eine klasse Sache zu sein. Logo: Wenn man einen Grund für einen militärischen Angriff braucht, egal ob gegen Saddam Hussein, Ahmadinedschad oder jetzt offenbar die Hamas, sind Hitlervergleiche auf einmal für dieselben Leute supi, die sie eben noch als „unsäglich“ tabuisieren wollten. Warum ein solcher Vergleich im Falle der Hamas allerdings „Historischer Unsinn“ ist, erklärt uns der Hamburger Historiker Michael Wildt ganz sachlich in der Berliner “taz”.

immer noch 31. Januar

Die hiesige Berichterstattung über den Wahlsieg der palästinensischen Hamas liest sich zwischen Panikstimmung und hasserfülltem Geifern gelegentlich so, als ob das Böse an sich gerade einen großen Triumph gefeiert hätte. In der größten israelischen Oppositionszeitung "Haaretz" hingegen sieht man diese Entwicklung wohltuend unaufgeregt. “Hamas´s victory – good for all” lautet dort heute die Schlagzeile eines Artikels. Denn: „What can be a more spectacular advertisement for the idea that democracy makes politicians out of terrorists than the electoral victory of Hamas in last week's Palestinian election? (…) Nothing serious can happen anyway until after the Israeli election in March. It is a good opportunity for all parties to chill out until then, and ponder the new realities. It will help if the decibel level of the rhetoric is kept low. (…) We now have another window of opportunity to make a breakthrough in this conflict. Let's not squander this one.”

noch 31. Januar

Die gerichtliche Verurteilung Henryk Broders zeigt noch immer ihre Nachwehen. Die aktuelle Maxime scheint zu lauten: „Wo du kein Recht mehr hast, verzage nicht, du hast noch immer deine älteste Freundin, die Demagogie.“ Aktuelles Beispiel: In der Zeitung „junge welt“, die bislang noch alle Tassen im Schrank hatte, wenn es um die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt und schwachsinnige Antisemitismus-Vorwürfe ging, fand sich gestern ein Beitrag, den man prima hätte im Deutschunterricht der elften Klasse einsetzen können. Aufgabenstellung etwa: Arbeiten Sie sämtliche rhetorischen Stilmittel heraus, mit denen Stimmung geschaffen und von der gegebenen Sachlage abgelenkt wird, um persönliche Angriffe vom Stapel zu lassen. Obwohl die „junge welt“ sich mit diesem peinlichen Beitrag schon selbst bestens blamiert hatte, kamen Claudia Karas und ich dann doch nicht umhin, der Redaktion noch einmal zusätzlich die Haxen strammzuziehen …

31. Januar 2006

In der “Welt” von heute schreibt Geert Mak uns Deutschen einen offenen Brief aus den Niederlanden, den sich so einige hinter den Spiegel stecken sollten. Mak warnt uns vor einer Ansteckung durch das „Holländische Fieber“, eine Panik im Umgang mit muslimischen Einwanderern: „Schnell wurde von einigen neuen Ideologen jedes gesellschaftliche und großstädtische Problem auf den Gegensatz von Aufklärung und Islam, von säkular und religiös reduziert, schließlich auf ein `wir´ gegen `die´. Die Folgen dieser beschämenden Hetze sind folgende: Immer mehr jugendliche Immigranten distanzieren sich jetzt von ihrem neuen Vaterland, wollen zurück in die `Heimat´. Dabei handelt es sich meist um die erfolgreichsten Gruppen, die Studenten und die ambitionierten jungen Frauen - also genau diejenigen, die in ein paar Jahren als die zentralen Brückenbauer hätten fungieren müssen. Mit all der verschwommenen Ideologie und moralischen Panik wurde kein einziges Problem gelöst. Statt dessen sind neue hinzugekommen.“

Eine andere Hysterie im selben Zusammenhang spricht derweil Jürgen Kaube in der “Frankfurter Allgemeinen” an: Es geht um den angeblichen Zwang zur deutschen Sprache auf dem Schulhof. Kaube: „Abgesehen davon, daß Schulen dazu da sind, manche Formen der Persönlichkeitsentfaltung zugunsten anderer einzuschränken, gibt es jenes Verbot gar nicht, gegen das sich die Sprachrohre in Stellung brachten. Ja, wenn die Pausenregel gar nicht auf Zwang beruhe, dann sei das natürlich etwas anderes, ließ sich die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, im Fernsehen vernehmen. Auf den Gedanken, sich erst zu informieren und erst dann eine Zwangsgermanisierung zu befürchten, kommen viele erst gar nicht. Wenn aber nicht nur einzelne so reflexhaft reagieren, wenn es nicht nur die berufsmäßigen Empörer sind, wenn der Reflex fast unabhängig vom politischen Standort einrastet - dann muß nicht über die Sache, sondern eben über den Reflex gesprochen werden. Es ist ein Reflex, den so nur das Wort `Deutsch´ auszulösen vermag. Mit diesem Reflex muß rechnen, wer davon spricht, es komme darauf an, aus Einwanderern Deutsche zu machen; wer eine Trivialität wie die betont, die deutsche Sprache sei hierzulande die Norm; wer gar so weit geht, die Teilhabe an dem, was Deutschland ausmacht, für ebenso gut wie erreichbar zu halten. (…) Der an und durch Deutschland leidende Dichter - Büchner, Heine, Brecht, Thomas Mann - ist der prototypische Autor für die höheren Schulklassen. Alle Autoren hingegen, die deutsch im Sinne regionaler Traditionen und Sonderwinkelhaftigkeiten sind - Karl Philipp Moritz und Jean Paul, Hebel und Mörike, Stifter und Schnitzler etwa, die noch an anderem litten als an Deutschland -, gelten nicht in gleichem Maße als vorbildlich (…) Zu diesen Befunden gehören solche aus Geschichtsstunden, für die das Gravitationszentrum der deutschen Geschichte Auschwitz heißt. Durch sie erschließen sich Effekte, die zuletzt eine Forschergruppe um den Ethnologen Werner Schiffauer festgestellt hat. An türkischstämmigen Schülern beobachtete sie das Befremden darüber, daß Deutschland im Unterricht durchweg als schwieriger, bedenklicher, fataler Fall dargestellt wird. Nicht daß es diesen Fall nicht gäbe - aber daß seine Aspekte in der Selbstdeutung der deutschen Kultur und Geschichte als die einzig erheblichen auftreten, muß auf Schüler, denen man zugleich Integration empfiehlt, befremdend wirken.“

Montag, Januar 30, 2006

noch 30. Januar

Frank von sm-base.de und IT-Aktiv.de hat soeben meine Homepage aktualisiert und auf Hochglanz gebracht. Prima Arbeit, oder?

30. Januar 2006

Ach, wie ist das schön! Die letzte Woche endete gut, indem Broders Ausfälle gegen einen jüdischen Verleger von einem ordentlichen Gericht gestoppt wurden, und diese Woche beginnt gut, indem einer anderen Hetzjagd ein Riegel vorgeschoben wird.

Es bleibt nämlich dabei: Die Bundeszentrale für politische Bildung lässt sich vor keinen ideologischen Karren spannen – allen hartnäckigen Angriffen von Lobbygruppen zum Trotz, über die ich sowohl in meinem Buch “Warum Hohmann geht und Friedman bleibt” als auch hier in meinem Blog berichtet habe. Stattdessen antwortet sie den agitatorischen Eiferern mit klaren Worten:

„Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundeszentrale für politische Bildung

In den vergangenen Wochen ist die Bundeszentrale für politische Bildung von verschiedenen Seiten und mit entgegen gesetzten Argumenten in ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt der Parteilichkeit bezichtigt worden.
Der Wissenschaftliche Beirat hat sich in seiner Sitzung am 26. Januar 2006 eingehend mit den Vorwürfen beschäftigt. Er nimmt mit Befremden die Versuche verschiedener Gruppierungen zur Kenntnis, die Bundeszentrale für politische Bildung für ihre Interessen zu instrumentalisieren oder sie durch öffentliche Kampagnen unter Druck zu setzen. Wir halten in diesem Zusammenhang fest, dass es die Aufgabe der Bundeszentrale ist, kontroverse Themen aufzugreifen und verschiedene Positionen darzustellen, um dem Bildungsauftrag einer pluralistischen Demokratie gerecht zu werden. Diesem Ziel hat die Bundeszentrale für politische Bildung stets entsprochen. Der Beirat zweifelt nicht daran, dass sie auch in Zukunft dieser Aufgabe mit der gebotenen Sorgfalt nachkommen wird.

Im Namen der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats

Prof. Dr. Beate Neuss,
Vorsitzende“

Da kann man wohl nur noch applaudieren.

Sonntag, Januar 29, 2006

immer noch 29. Januar

Jetzt hat man es geschafft, bei den Wilden die Demokratie einzuführen, und was machen die Doofis? Wählen eine Partei, die wir gar nicht wollen! So ungefähr liest sich in den letzten Tagen ein Gutteil der Berichterstattung über den Wahlsieg der palästinensischen Hamas. Der eine oder andere nimmt dies gar schon zum Alibi, um ein noch mörderisches Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung zu fordern. Robert Fisk kommentiert dies mit dem angemessenen Spott: „And now, horror of horrors, the Palestinians have elected the wrong party to power. They were supposed to have given their support to the friendly, pro-Western, corrupt, absolutely pro-American Fatah, which had promised to `control´ them, rather than to Hamas, which said they would represent them. And, bingo, they have chosen the wrong party again. Result: 76 out of 132 seats. That just about does it. God damn that democracy. What are we to do with people who don't vote the way they should?”

noch 29. Januar

Nach allem, was George Bush mittlerweile auf dem Kerbholz hat – warum ist er eigentlich immer noch im Amt? Paul Craig Roberts weiß warum: Umfragen zeigen, dass ein Großteil der US-Amerikaner einfach zu beschränkt sind, um die Vorgänge in Washington zu durchschauen. Das erläutert Roberts genauer in seinem Artikel „Polls Show Many Americans are Simply Dumber Than Bush“ Wobei die US-Bürger ja nicht aus genetischen Gründen verblöden - eine erhebliche Mitschuld trägt ein komplett unkritischer Hurra-Patriotismus in den amerikanischen Medien: Im "Kampf gegen den Terror" stellt man sich eben gefälligst hinter seinen Führer.

29. Januar 2006

Gegengift für die dröhnende Rhetorik gegen den Islam liefert uns heute die „Neue Zürcher Zeitung“ mit dem Artikel „Die Hamas ist nicht nur radikal“. Arnold Hottinger, Arabienkorrespondent mit 30 Jahren Berufserfahrung, erklärt uns, dass nur wenige Islamisten den Einsatz von Gewalt befürworten und dass ein Dialog strategisch sinnvoller wäre, um dem Terrorismus das Wasser abzugraben, als Feindseligkeiten.

Samstag, Januar 28, 2006

noch 28. Januar 2006

Jaja, die Springer-Presse und ihr publizistisches Umfeld. Leider gibt es für Ressentiments gegen Anhänger der islamischen Religion nicht so eine knallige Wortkonstruktion wie „Antisemitismus“ für Ressentiments gegen Anhänger der jüdischen. Arrogant, herabsetzend und destruktiv ist beides. Während es die „Achse“ und die „Welt“ vor allem mit Muslimen im Ausland haben, hat es die „Bild“ seit Monaten mal wieder mit den in Deutschland lebenden Türken. Manchmal führt das Ressentiment zu einer geradezu peinlichen Selbstentblößung desjenigen, der es äußert. So wie in einem aktuellen Fall, über den Bildblog berichtet: „In Amerika sind die Türken Indianer“.

28. Januar 2006

Zum gestrigen „Broder-Urteil“ gibt es inzwischen erste Zuschauerreaktionen. Bevor wir zu einer kleinen Presseschau kommen, haben Leserzuschriften an dieses Blog natürlich Vorrang. Über den Stil, in dem ich das Thema präsentiere (in Form einer journalistischen Glosse) sind die Bewertungen unterschiedlich: Während die einen sich über meine Darstellungsweise sehr amüsieren, vermissen die anderen den von mir im politischen Bereich gewohnten Stil einer nüchternen Analyse. (Ich werde in meinen Büchern und Artikeln bei der Sachanalyse bleiben und hier in meinem privaten Blog bei der Glosse, wenn sie sich anbietet: Es gibt nun mal Themen, die ich ernst nehmen kann, und andere, bei denen das weniger der Fall ist.) Ein Leser sendet mir drei Einwände zu meinem letzten Posting:

„1. Das Urteil gegen Broder ist alles andere als eine nüchterne juristische Analyse. Die Richter waren in substantieller Hinsicht überfordert, versuchten aber gleichsam, ihr Bestes zu geben und haben sich in Inkonsistenzen verwickelt. Sie besaßen nicht den Mut zu sagen, dass die anhängigen Fragen letztlich nicht juristisch entschieden werden können. Richtung: `Das Verfahren wird eingestellt, die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten hälftig. Wir wünschen allen Parteien und Zuschauern Gesundheit und alles Gute für ihre Zukunft.´
2. Für Broder hätte man durchaus wegen Beleidigung des Gerichts noch eins drauflegen können, nachdem er vor dem Prozess die Richter pauschal als Erben Freislers bezeichnet hat. Bei günstiger Gelegenheit wird sich Broder darauf berufen, dass diese Beleidigung heute nicht sanktioniert wurde.
3. Von einem `Broder-Urteil´ zu sprechen ist das Pathos, das Broder braucht, um Beachtung zu finden.“

„Honestly Concerned“ ist über meine Berichterstattung eher wenig angetan und verweist auf meine letzten Blogeinträge inzwischen unter der Überschrift, es werde bereits jetzt begonnen, das Urteil zu mißbrauchen. Denselben Vorwurf traf das Palästina-Portal von Erhard Arendt, der nun nichts anderes tat, als auf die Existenz des Urteils zu verweisen und es zu verlinken – offenbar gilt einigen heutzutage schon das bloße Zitieren eines amtlichen Gerichtsurteils als Missbrauch. Ich muss schon sagen, liebe Honestlys: Ein bisschen mehr Unterstützung hätte ich mir von den Jungs, deren Wirken ich in „Warum Hohmann geht und Friedman bleibt“ so viele Zeilen gewidmet habe, schon gewünscht! (Bevor jemand fragt: Es ist noch komplett unklar, ob auch die aktuellen Attacken gegen Herrn Melzer und seine Autoren in eine denkbare zweite Auflage übernommen werden.)

Im Umgang mit dem deutschen Rechtsstaat hat „Honestly Concerned“ einen ganz originellen Standpunkt gefunden: Was irgendein dahergelaufenes deutsches Gericht zur strittigen Angelegenheit sage, sei ja wohl ziemlich schnuppe - da könne ja sonst jeder kommen! Die konkrete Ausformulierung dieser bemerkensweren These findet sich hier.

Derweil beginnt Samuel Laster seinen Beitrag in der „jüdischen“ mit dem schönen Satz: „Ein deutsches Gericht urteilt am Tag des Gedenkens an die Shoah gegen den Publizisten Henryk M.Broder und für den `Irren aus Neu-Isenburg´“. Wer nach dieser Einleitung einen fairen Artikel über das Gerichtsurteil erwartet, ist selbst dran schuld – zum Schluss zeigt sich Laster sogar sprachlos über Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, weil dieser sich nicht klar auf die Seite Broders stellte.

Was gibt es denn nun an ernstzunehmenden Kommentaren aus der Presselandschaft? Nicht sehr viele, sooo wichtig war dieser Prozess den meisten Journalisten dann doch nicht. Die „Frankfurter Allgemeine“ befindet, dass Broder „zuweilen redet, bevor er denkt“ und erklärt noch einmal, aus welchem Interesse heraus einige Juden allzu scharfe Kritik an den Greueln der israelischen Besatzung lieber unterbinden möchten. In der „taz“ zeigt sich Daniel Bax über das Urteil gegen Broder eher unglücklich (was das Gericht als eine persönlich herabsetzende Schmähkritik befand, sieht Bax noch innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit), räumt aber immerhin ein, dass der Vorwurf des Antisemitismus gegenüber Juden, die sich kritisch über Israel äußern, geradezu inflationär geworden sei. In derselben Zeitung vermeldet Heide Platen: “Der Streit werde aber weitergehen. Der tobt indessen im Internet mit wachsender Beteiligung weiter und wird noch eine Anzahl bundesdeutscher Gerichte beschäftigen.“

In der Tat – man hätte darauf wetten mögen, dass Broder sich nicht sehr lernfähig zeigt und nach einer Revanche lechzt. Dabei ist Melzer bekanntlich nicht mal der einzige, der von Broder juristisch und anderweitig angegangen wird - so hat halt jeder seine Hobbys. Schade, dass es im deutschen Justizwesen nur einige wenige Instanzen gibt und nicht mehrere hundert. Aber im Zweifel fällt wenn nicht Broder, dann sonst irgendwem eine neue persönliche Diffamierung ein, und dann geht der ganze Spaß wieder von vorne los. Die interaktive Endlos-Soap wird so ganz bestimmt nicht langweilig.

Freitag, Januar 27, 2006

immer noch 27. Januar

Recht gesprochen: Der jüdische Publizist Henryk M. Broder darf dem Darmstädter Verleger Abraham Melzer und dem Buchautor und KZ-Überlebenden Hajo Meyer keine nationalsozialistische oder judenfeindliche Gesinnung unterstellen. Die komplette Urteilsbegründung gibt es hier als pdf zum Runterladen. Es ist geradezu ergötzlich zu lesen, wie die klare juristische Analyse eines Gerichtes sämtliche rhetorischen Nebelkerzen und rabulistisches Zinnober nicht nur von Broder selbst, sondern auch seiner gesamten Clique komplett entzaubert. Möge dieses Urteil als „Broder-Urteil“ in die deutsche Justizgeschichte eingehen! Indes bleiben Fragen offen: Kündigt sich jetzt eine Prozesswelle gegen die „Achse des Guten“, „Honestly Concerned“ und andere Grüppchen an, die aus solchen Unterstellungen eine wahre Passion gemacht haben? Und werden die Betreffenden von persönlichen Diffamierungen allmählich wieder auf die Ebene der Auseinandersetzung auf Sachebene zurückkehren, oder haben sie das in den letzten Jahren komplett verlernt?

noch 27. Januar 2006

Die momentan verbreitete Unsitte, mit dem Antisemitismusvorwurf fast schon willkürlich um sich zu schleudern, führt zu immer skurilleren Blüten. Zu McCarthy in Reinkultur gerät es, wenn Menschen, die dieses Spiel selbst mit großer Begeisterung mitspielen, von anderen insofern übertrumpft werden wollen, als dass man die Jäger selbst als Antisemiten bezeichnet. Das ist vor einiger Zeit Philip Gessler so gegangen, aktuell ist offenbar Klaus Holz, Verfasser von „Die Gegenwart des Antisemitismus“, an der Reihe. Das Hübsche an dieser Rezension zu Holzens Werk ist, dass sie en passant erklärt, inwiefern Lars Rensmanns Buch “Demokratie und Judenbild” so atemberaubend missraten ist: „Zu nennen sind hier verkürzende Zitate, das Ausblenden von konkurrierenden Ansätzen, die Unterschlagung von Quellen oder bestimmten Aspekten dieser Quellen, die der These zuwiderlaufen, und nicht zuletzt die pauschale Abqualifizierung nahezu sämtlicher FachkollegInnen. (…) Rensmann musste sich bereits einmal unter Androhung einer Klage außergerichtlich zur Unterlassung ähnlicher Behauptungen über Schriften Ludwig Watzals verpflichten. (…) In der Berliner Staatsbibliothek ist sein Buch gegenwärtig nicht mehr entleihbar mit dem sprechenden Hinweis `Rechtsstreit, nicht benutzbar´.“ Man muss noch einmal darauf hinweisen, dass dieses ideologische Machwerk zur Erlangung eines Doktortitels gut war und auf amazon.de mit hingerissenen Rezensionselogen bestreut wird.

Unterdessen kommentiert Gerald Butt, Chefredakteur der Fachmagazins "Middle East Economic Survey", den Wahlsieg der palästinensischen Hamas: Einen anderen Weg als den politischen Dialog mit den Islamisten gebe es nicht. Dasselbe sage ich trotz heftigster Anfeindungen seit Monaten.

27. Januar 2006

Programmtipp für Freitag, den 27. Januar 2006

11:00 Uhr: Die Henryk-M.-Broder-Soap
Folge 1486: Das Urteil

Die bisherige, gelegentlich verworrene Handlung dieser interaktiven jüdisch-deutschen Endlos-Serie bespricht heute die ”Süddeutsche Zeitung” in einer ausführlichen Kritik: „Inzwischen hat der Streit ein Niveau erreicht, das nur noch schwer zu unterbieten ist. Und doch unterbieten es die Kontrahenten fast täglich. (…) Es ist der Rosenkrieg ehemaliger Freunde, die zu erbitterten Feinden geworden sind über der Frage, wer Israel dient und wer ihm schadet, ein Schlagabtausch ohne Regeln, der auf gespenstische Weise den rhetorischen Figuren derjenigen verhaftet ist, gegen die sich beide mit aller Macht absetzen wollen.“ Sollte Broder den Prozess gegen Melzer heute verlieren, hat er offenbar schon seine rhetorische Erwiderung im Gepäck: „Es bleibt der Hautgout, dass die Erben der Firma Freisler entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht“, womit er, wie die „Süddeutsche“ zutreffend anmerkt, „das Frankfurter Gericht in drei Worten zum Erbe des mörderischen Volksgerichtshofs macht.“ Broder habe insofern das Florett inzwischen gegen die Kettensäge eingetauscht. Leider nicht nur er.

Donnerstag, Januar 26, 2006

26. Januar 2006

Komisch, nicht? Da bring ich praktisch alle Viertelstunde ein Buch zu einem komplett unterschiedlichen Thema heraus, aber blogmäßig hänge ich hier immer noch in der Debatte um Broder & Co. fest. Es IST aber auch wirklich so amüsant, dass es jede Seifenoper in den Schatten stellt! Aktuell etwa hat Broder seinem Ex-Verleger Melzer, gegen den er gerade prozessiert, den ”Schmock der Woche” verliehen. Der besondere Gag: Normalerweise ist Broder bei seinen Preisreden an die von ihm so bezeichneten Schmocks sehr scharfzüngig - hier ist es nun vor allem Melzer, der sich typisch Broderscher Stilmittel bedient (und den Broder wiederum damit zitiert). Man könnte das ganze Gezänke wirklich nicht mehr ernst nehmen, wenn es nicht regelmäßig von Versuchen begleitet wäre, Kritiker mundtot zu machen oder persönlich zu vernichten.

Was ich allerdings überhaupt nicht mehr checke, ist, dass sich aktuell ausgerechnet „konkret“ mit der „Achse“ beharkt. Gut, die einen sind so links wie die anderen rechts sind, aber trotzdem dachte ich immer, die gehen abends regelmäßig miteinander schunkeln: Für beide Publikationen existieren Muslime nur als verkappte Terroristen, beide plärren Antisemitismus, wenn jemand Sharon nur schief anschaut, und beide beten fünfmal am Tag gegen Washington, während sie sich die Deutschlandflagge mehrmals kräftig durch die Arschbacken ziehen. Oder um in weniger blumigen Bildern zu sprechen: Ich dachte immer, sie stünden sich ideologisch trotz allem recht nahe. Wohl nicht.

Mittwoch, Januar 25, 2006

noch 25. Januar

Im krassen Gegensatz zur wachsenden Kriegsgeilheit der „Welt“ und mancher Neocons steht laut FOCUS die Situation der amerikanischen Armee. Ihr drohe der Kollaps, die Truppen seien einem neuen Pentagon-Report zufolge „überstrapaziert, ausgezehrt und gestresst“. Mein Vorschlag: Könntet nicht ihr, liebe Autoren der „Welt“, der „Achse des Guten“ und deren lautstarke Anhänger, selbst eure amerikanischen Freunde im Feld unterstützen und an der Front ein bisschen aushelfen? Schließlich geht es euren eigenen Worten nach auch um die Existenz Israels, wenn der Mullah erst mal die Bombe hat. Und die wollt ihr doch nicht durch Untätigkeit aufs Spiel setzen - oder etwa doch? Außerdem kann dann keiner mehr sagen, ihr wolltet andere Leute dafür im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten lassen, dass ihr selbst im Luxus leben könnt. Oder sollte es sich bei all euren schlauen Plädoyers dafür, mit einem neuen Krieg diesmal aber wirklich den Weltuntergang zu verhindern, in Wirklichkeit nur um hohles Geschnatter gehandelt haben?

25. Januar 2006

In den auch hier gebloggten Artikeln aus Springers „Welt“ zeichnet sich bereits seit einiger Zeit der Versuch ab, mal wieder ein bisschen Lust auf einen Angriffskrieg zu schüren, indem der Gegner (diesmal ist es der Iran) als Menschheitsbedrohung gezeichnet wird. Dabei putschen sich die „Welt“-Artikel von Mal zu Mal zu einer immer unverblümteren Rhetorik hoch. Heute heißt es etwa: “Das Risiko einer militärischen Intervention könnte zwar Opfer in Größenordnungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs mit sich bringen, doch der Triumph des islamistischen Terrors würde an Gräßlichkeit alles überbieten, was uns die Weltgeschichte vermittelte.“ Wenn das so weitergeht, haben wir spätestens im März „Wollt ihr den totalen Krieg?“ als Titelschlagzeile. Es ist eben alles eine Frage der richtigen Propaganda, wie auch der „Welt“-Autor selbst schreibt: „Wie bedauernswert Guantánamo oder mysteriöse CIA-Flüge sein mögen, sie dürfen nicht das schauerliche Feindbild verdrängen.“

Montag, Januar 23, 2006

23. Januar 2006

Wie man liest, macht sich unter den israelischen Menschenrechtsaktivisten gerade ein gewisser kreativer Sarkasmus breit …

Sonntag, Januar 22, 2006

immer noch 22. Januar

Der 2003 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete israelische Historiker Reuven Moskovitz erklärt zum Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar in der „jungen welt“: „Ich bin Jude und Israeli, der die Hölle der Verfolgung überlebt hat. (…) Mit Schmerz und Sorge sehe ich, daß das Gedenken an Auschwitz manipuliert wird zur Rechtfertigung der israelischen Gewaltpolitik. Der offizielle Gedenkkult scheint häufig darauf abzuzielen, durch die Erinnerung an dieses unsagbare Verbrechen an den Juden die Menschen, besonders die Deutschen, davon abzuhalten, Kritik an der israelischen Politik zu üben. Jeder Versuch, Auschwitz, zu instrumentalisieren, ist eine Entwürdigung der Opfer und eine Herabsetzung der Bedeutung von Auschwitz. (…) Diese ermahnende Botschaft wollte ich an der neu errichteten Holocaust- Gedenkstätte (in Berlin, jW) überbringen. Als ich um die behördliche Genehmigung dafür gebeten habe, wurde mir gesagt, daß eine Mahnwache, die zur Kritik an der bisherigen Friedensverweigerungspolitik aufruft, nicht gestattet ist. (...)“

Derweilen berichtet eine Friedensaktivistin aus Israel in einem offenen Brief: „Ich habe lange darüber nachgedacht, was du mich gefragt hast, ob Israels Besatzung ein kriechender Genozid sei. Ich empfinde es so. Ich habe das Gefühl, dass wir mitten in einem palästinensischen Holocaust sind. Aber wenn ich das laut sage, reagieren meine Freunde heftig dagegen. Sogar Leute von der extremen Linken. Aber wie sollen wir es nennen? Unsere normale Sprache hat darauf keine Antwort. Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Auf jeden Fall. Ethnische Säuberung? Ja. Aber was sagt man zu einer kollektiven Strafe, die 850.000 Menschen im Norden der Westbank in ihre Gettos einsperrt und es ihnen unmöglich macht, medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, Wasser, Schulbildung, Einkommen zu erhalten ??? oder 1,5 Millionen im Gazastreifen? Wie nennt man solch ein Verbrechen, das die israelische Gesellschaft begeht???“

In einem aktuellen Kommentar beschimpft Henryk Broder Juden, die sich, anders als er, über diese Verbrechen entsetzen, als ”nützliche Zeitgeist-Idioten“ . Dabei bezieht er sich auf einen Text aus Springers „Welt“, der zwar nicht einmal rhetorisch besonders clever gestrickt ist (schließlich lernt man schon in jedem Anfängerseminar: wenn du etwas überhaupt nicht belegen kannst, dann schreibe, es sei „allgemein bekannt“), der aber als kleines Psychogramm gute Dienste leistet. So lautet sein Kernargument: „Der aufgeklärte Teil des heutigen Europa hätte aber doch gern, daß die Juden im Tausch für die vollwertige Mitgliedschaft im Kreise der herrschenden Meinung ein Kernstück ihrer Identität aufgeben: ihr Selbstverständnis als jüdisches Volk, wie sie es durch ihre Bindung an den demokratischen Staat Israel und das zionistische Projekt ausdrücken. (…) Nimmt es da wunder, daß einige Juden sich entschieden haben, im Licht zu leben, indem sie in jenen Chor einfallen, der ihre Mitjuden in die Dunkelheit verdammt?“ Diese beiden Sätze erlauben interessante Einblicke: In der Argumentation des ersten gibt jeder Jude, der die Greueltaten an den Palästinensern auch als solche benennt, das Kernstück seiner Identität, nämlich seine Volkszugehörigkeit auf. Die Argumentationsstruktur ist hier dieselbe, wie wenn man einem Gegner von Hitlers Vernichtungslagern vorgeworfen hätte, ein vaterlandsloser Geselle zu sein und außerhalb der Volksgemeinschaft zu stehen. In der Argumentation des zweiten Satzes wird Juden mit einem ausgeprägteren Gewissen als dem des „Welt“-Autors unterstellt, sie würden aus schierem Opportunismus heraus die israelischen Untaten verdammen. (Männerrechtler erinnert das unweigerlich an die Argumentation Alice Schwarzers, jede Frau, die sich der Ideologie des Radikalfeminismus verweigere, sei eine Verräterin oder vom Patriarchat manipuliert.) Bedenklich ist in jedem Fall, dass eine führende deutsche Zeitung im Jahr 2006 Juden herabsetzt, um denjenigen den Rücken zu decken, die nach Ansicht von Beobachtern einen neuen Holocaust verschulden. Und ausgerechnet an der deutschen Holocaust-Gedenkstätte ist eine jüdische Mahnwache gegen diese Greueltaten nicht gestattet! Es scheint, als ob gerade die, die am lautesten tönen, am wenigsten die Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen haben.

noch 22. Januar

Offenbar bin ich als Autor mittlerweile vor allem dafür bekannt, gesellschaftliche Tabuthemen anzuschneiden. Wenn es dabei um politische Inhalte geht (etwa die Benachteiligung von Männern als Gruppe, ein streckenweise überschnappender Feminismus, weibliche Sexualtäter oder – wie in jüngster Vergangenheit – hysterisierende und repressive Unterstellungen von Antisemitismus), führt das häufig zu emotional äußerst geladenen Auseinandersetzungen. Sobald man hier ein Tabu bricht, hat man mitunter (siehe Ludwig Watzal) plötzlich eine Rotte von Leuten im Nacken, die einem ans Leder wollen. Aber es gibt auch Themen, die tabubelastet sind, ohne dass dies durch Furcht vor Repressionen begründet wäre, sondern über die man aus anderen Gründen weniger häufig redet, als angesichts der Zahl der Betroffenen und ihres teils starken Leidensdrucks angemessen wäre. Eines davon behandele ich in meiner aktuellen Neuerscheinung „Unberührt“, worin ich über Menschen berichte, die auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter entweder gar keine oder nur höchst begrenzte Erfahrungen mit Sexualität und Partnerschaft machen durften. Mehr über dieses Buch und seinen Inhalt erfahren Sie bei „Genderama“.

Aktuell mailt mir eine frühe Leserin meines Buches, die noch vor mir erfahren hat, dass es jetzt im Handel erhältlich ist: „Ich hab es am Freitag in München bei Hugendubel bestellt und heute abgeholt. Die bestellende Buchhändlerin ließ mich grade mal einen halben Satz sagen: `Ich wollte mal fragen, ob das neue Buch von Arne Hoffmann ...´ und unterbrach mich schon mit `Unberührt - ich glaube, das ist immer noch nicht erschienen - leider.´ Sie hat dann trotzdem den Computer bemüht, sich dann ganz offensichtlich sehr gefreut, als es doch ging, und zusätzlich zu meinem noch weitere Exemplare für den Verkauf geordert.“ Das klingt schon mal vielversprechend, aber ich halte dieses Thema auch für außergewöhnlich wichtig. Wenn Sie also Menschen in Ihrem Bekanntenkreis haben, die sich dafür interessieren könnten, würde es mich sehr freuen, wenn Sie sie über mein neuestes Buch informieren.

22. Januar 2006

Es gibt neue lesenswerte Beiträge zu der Debatte darüber, ob man israelische Verbrechen gegen die Menschenrechte deutlich oder nur sehr verhalten kritisieren darf, hier festgemacht an dem Autor Hajo Meyer, einem Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz, und den Protesten gegen seine Texte.

So verteidigt Meyer der Geschichtsforscher und Journalist Shraga Elam: „Wenn Hajo Meyer die mit eigenen Augen gesehene Situation in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten mit den eigenen Erfahrungen in NS-Deutschland der 1930er Jahre vergleicht, so ist es absolut sein Recht und sogar Pflicht, diese seine subjektive Wahrnehmung als Mahnung publik zu machen. Denn wer zu Verbrechen schweigt oder sogar die Meldungen über sie unterdrückt, macht sich mitschuldig. Dies zeigen eindeutig die jüdischen Erfahrungen. (…) Wenn Sie sich über die Zukunft Israels und die Juden und Jüdinnen sorgen, dann muss es Ihnen ein Anliegen sein, vor diesen gefährlichen Entwicklungen zu warnen. Israel geht durch eine grosse eskalierende Dauerkrise. Die Gewaltanwendung (auch intern), Armut und Korruption erreichen erschreckende Dimensionen und die Rechtsradikalen spielen eine nicht zu übersehende Rolle. Dies sind bekannte und fast klassische Komponenten, die nicht verdrängt werden dürfen.“

Ähnlich argumentiert Achim Müller: Meyer moniere, „dass man die anti-jüdische NS-Politik immer nur mit dem Holocaust in Verbindung brächte, jedoch die schon davor stattfindende Ausgrenzung, Entwürdigung, Terrorisierung der Juden ausblende, denn nur dort sieht er – aus eigener Erfahrung - den Vergleich mit der israelischen Besatzungspolitik!“ In seinem Bericht schildert Müller auch die anhaltenden Attacken gegen Meyers jüdischen Verleger Abraham Melzer: „Dies gehe sogar soweit, dass Kunden des Melzer-Verlages mit einstweiligen Anordnungen und ähnlichem bedroht werden, wenn sie bestimmte Bücher, wie z. B. die Bücher von Rupert Neudeck, ins Sortiment nehmen wollten.“ Immerhin scheint man von öffentlichen Bücherverbrennungen derzeit noch Abstand zu nehmen. Das Gesamtbild ist dennoch nichts weniger als bedrückend.

Samstag, Januar 21, 2006

noch 21. Januar

Die Hetzjagd von Honestly Concerned und Co. gegen Ludwig Watzal geht munter weiter. Mit den Antisemitismusvorwürfen scheint es nicht weit her zu sein, wenn man sich die neueste Attacke gegen Watzal anschaut: Er habe bei seiner Gegenwehr gegen die massiven Anfeindungen eine nicht-amtliche Mail (vier Zeilen) von der Bundeszentrale für Politische Bildung aus verschickt statt von einem privaten Mailkonto. Thomas Krüger als Leiter der Bundeszentrale verspricht eilfertig die Prüfung arbeitsrechtlicher Schritte. Kein Wunder: Macht doch auch Springers „Welt“ mittlerweile schon ordentlich Druck. Auffällig sind in diesem Artikel die suggestiven Formulierungen – etwa wenn es heißt: „Kritiker werfen der Bildungseinrichtung vor“ oder „ein Schul-Begleitheft der Bundeszentrale zum Selbstmordattentäter-Film `Paradise Now´ wurde von mehreren Seiten als inhaltlich und didaktisch bedenklich eingestuft“. Dass der „Welt“-Leser nicht erfährt, wer diese ominösen „Kritiker“ bzw. „mehreren Seiten“ sein sollen, Ross und Reiter konsequent verschwiegen bleiben - welchen Grund mag das wohl haben? Und dass der Artikel mit dem Zitat einer CDU-Politikerin schließt, für die die Förderung des demokratischen Bewusstseins nicht Meinungsvielfalt, sondern das Verbreiten der „richtigen“ Ideologie bedeutet, passt wie die Faust aufs Auge. McCarthy ist hierzulande keine ferne Bedrohung mehr; er ist längst schon Gegenwart.

Gerade habe ich diesen Absatz geschrieben, da schaue ich vor dem Bloggen noch einmal bei Erhard Arendts Palästina-Portal vorbei. Und entdecke in einem aktuellen Link, dass ich mit meiner Medienkritik, wie es die „Welt“ formulieren würde: nicht allein stehe. Aber wir können die Namen gerne nennen: in diesem Fall Anis Hamadeh mal wieder, mit seiner Analyse brillant und lesenswert wie immer. Das nächste Mal sind wir aber ein bisschen raffinierter, liebe Propagandisten aus dem Hause Springer, gell?

Es muss an dieser Stelle noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass Kritik am Handeln der israelischen Regierung hierzulande völlig unproblematisch ist, alles andere eine „Wahnidee“ darstellen würde und insbesondere die Behauptung, es gäbe eine hochaggressive jüdisch-israelische Lobby, nichts weiter als eine erschreckende Form von Antisemitismus darstellt.

21. Januar 2006

Okay, mein Roman „Dämonenprinz“ hat jetzt endgültig einen Punkt erreicht, wo ich anfange, mir Sorgen zu machen. Das wird immer irritierender und in dieser Form eigentlich auch unverantwortlich. Werde mal mit meinem Verleger Rüdiger telefonieren müssen, sobald meine Ohren wieder funktionieren. (Diese Erkältung zeigt sich doch hartnäckiger, als ich gestern noch dachte.)

Gute Nachrichten gibt es heute abend für die Zuschauer von „Deutschland sucht den Superstar“. Nicht nur dass Stephan Darmstaedt wegen der ständigen Häme nach seinen Auftritten entnervt das Handtusch geschmissen hat (da konnte dann auch die massive Unterstützung durch Stefan Raab nichts mehr ausrichten), vor allem zieht mit dem transsexuellen Fahrlehrer Didi Knoblauch jemand in die Mottoshows ein, der im Gegensatz zu Stephan singen kann. Allerdings fürchte ich, dass Didi trotz seiner beachtlichen Leistungen schnell wieder rausgekegelt werden wird: Ein Transsexueller taugt offenbar weder für weibliche, noch für männliche Teenies so richtig zum Anschmachten.

Freitag, Januar 20, 2006

noch 20. Januar

Du lieber Himmel! Was macht der Irre JETZT!?

20. Januar 2006

Den Rückmeldungen zufolge, die ich erhalten habe, war mein kleines Literaturquiz für die meisten doch kniffliger, als ich dachte. Offenbar sieht man die Dinge etwas anders, wenn man dieses Fach studiert hat. Zu so einigen Anfangssätzen der hier behandelten Werke könnte ich einen kleinen Vortrag halten, warum sie so bezeichnend oder bekannt geworden sind, aber ich erspare euch das und präsentiere einfach nur die richtigen Lösungen:

1. George Orwell: 1984
2. Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer
3. Leo Tolstoi: Anna Karenina
4. Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz
5. Günter Grass: Die Blechtrommel
6. Franz Kafka: Brief an den Vater
7. Thomas Mann: Die Buddenbrooks
8. Henry James: Die Drehung der Schraube
9. J.D. Salinger: Der Fänger im Roggen
10. George Orwell: Farm der Tiere
11. E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf
12. Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen
13. J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe
14. Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin
15. Georg Büchner: Lenz
16. Vladimir Nabokov: Lolita
17. Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas
18. Hermann Mellville: Moby Dick
19. Homer: Die Illias
20. Patrick Süskind: Das Parfüm
21. James Barry: Peter Pan
22. Daniel Defoe: Robinson Crusoe
23. Robert Louis Stephenson: Die Schatzinsel
24. Stephen King: Sie
25. Max Frisch: Stiller
26. Jane Austen: Stolz und Vorurteil
27. Michael Ende: Die unendliche Geschichte
28. Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern

Meine Erkältung hat sich inzwischen übrigens gelegt, so dass ich wohl schwungvoll am „Dämonenprinz“ weiterarbeiten kann.

Donnerstag, Januar 19, 2006

noch 19. Januar

Gerade war die Post da. Mir ist ja selber klar, dass ich als Autor recht emsig bin, aber das war das erste Mal, dass ich zwei fette Pakete mit Freiexemplaren von Neuerscheinungen gleichzeitig bekommen habe: von dem kleinsten und von dem größten aller Verlage, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe. Das eine ist mein hier schon mehrfach erwähnter unheimlicher Kriminalroman "Winterdämmerung". Zu dem anderen komme ich später - bin gerade ein bisschen am Rotieren. :-)

19. Januar 2006

Am Vorabend des Irakkriegs 2003 saß der Historiker Michael Wolffsohn in der NDR-Polit-Talkshow „Talk vor Mitternacht“ und schwadronierte nicht nur von den angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, er ließ auch Projektionen an die Wand werfen, denen zufolge Saddam über Raketen verfügte, um mit seinen Waffen selbst Mitteleuropa zu bedrohen. (Normalerweise gehörte es nicht zum Ablaufschema dieser Sendung, dass irgendwelche Projektionen an die Wand geworfen wurden, aber für Bedrohungsszenarien und Kriegsreklame machte man damals anscheinend schon mal eine Ausnahme.) Nachdem es nun im Irak das eine oder andere Gemetzel gegeben hat und keine Spur von Massenvernichtungswaffen aufgetan werden konnte, habe ich von Wolffsohn nicht einmal so etwas wie ein kleines „Hoppela“ vernommen.

Inzwischen ist der Irak glücklich „befriedet“, und als nächstes steht der Iran auf der Liste. Wie aber kann man auch hier kriegsfördernde Ängste vor Massenvernichtungswaffen schüren, ohne dass sich die Leute vor Lachen auf die Schenkel klopfen oder gar mit einem gelangweilten „Kennen wir schon“ abwenden? Eine recht raffinierte rhetorische Strategie hat Niall Ferguson, der auch sonst die Amerikaner bei der Etablierung ihres Imperiums für nicht „zupackend“ genug hält, für die „Welt“ entworfen: Er tut einfach so, als schriebe er seinen Artikel aus der Zukunft und werfe einen Blick zurück in die unselige Gegenwart, als es zum Weltenbrand kam, weil die Blödheinis aus der Friedensbewegung und die europäischen Staatsmänner einfach nicht einsehen wollten, dass den Mullahs ordentlich eins auf die Fresse gehörte. Was man halt so an Angstgebäuden hochziehen muss, wenn man Menschen zu einem militärischen Angriff in Stimmung bringen möchte.

Jenseits von Fergusons hysterisierender Angstmacherei erklärt uns heute der international vielleicht renommierteste israelische Militärhistoriker Martin van Creveld (der sich natürlich auch schon als Antisemit beschimpfen lassen musste) auf sachlicher Ebene, wie die Situation aussieht, welche Optionen nüchtern betrachtet sinnvoll wären und welche nicht.

immer noch 18. Januar

Darf man hierzulande Menschenrechtsverbrechen thematisieren? Anscheinend nicht wenn bestimmte Gruppen das Sagen haben. Im Kampf Freiheit gegen Repression hat die Freiheit gerade mal wieder ein Tor kassiert. Zitat aus dem Artikel der FAZ: „Wie zu hören war, planten einige Kritiker des geplanten Lesung Protestbekundungen in und außerhalb der Heilig-Geist-Kirche. Man sei nicht sicher, ob alles friedlich ablaufen werde, hieß es. Offenbar vor diesem Hintergrund befürchtete die Führung des Regionalverbandes, daß es am Freitag zu unschönen Szenen kommen könnte, und kündigte den Vertrag.“ Der Druck von der Straße klappt in Deutschland eben noch immer, heute wie vor siebzig Jahren.

Und dieselben Leute führen einen Feldzug gegen den "repressiven Islam" - ein Paradebeispiel der Projektion! Bataille hatte eben schon Recht, wenn er sagte: Was uns am meisten schreckt, ist in uns.

Aber denken Sie immer brav daran: Es GIBT keine aggressive jüdisch-israelische Lobby, die Israelkritik verhindern möchte! Wer so etwas behauptet, der ist und bleibt - darauf wird diese Lobby steif und fest bestehen - schlichtweg ein Antisemit.

Mittwoch, Januar 18, 2006

noch 18. Januar

Ich selbst habe Stephen Spielbergs Film „München“ noch nicht gesehen und kenne von seinem Drehbuchautor Tony Kushner auch nur das preisgekrönte Aids-Drama „Angels in America“, das ich für großartig halte. Heute spricht der Berliner „Tagesspiegel“ Kushner auf die Kontroversen um seinen neuen Film an. Kushner führt dazu aus: „(M)anche würden gerne verschleiern, dass die Spur der blutigen Vergeltung für München zur damaligen israelischen Premierministerin Golda Meir führt. Ich halte Meir für eine große Persönlichkeit, die wir im Film keineswegs denunzieren. Doch ohne sie hätte es die auf ganz Europa ausgedehnte Verfolgung und Liquidierung der palästinensischen Terror-Verdächtigen und dabei den Tod auch etlicher Unschuldiger nicht gegeben.“ Um in seiner nächsten Antwort den Bogen zur Gegenwart zu schlagen: „Die Bush-Regierung hat da in ihrem `Krieg gegen den Terror´ viele Grenzen verwischt. Zum globalen Terror gehört, dass er sich um zivile Opfer nicht schert. Was aber ist mit den zivilen Opfern des amerikanischen Bombenangriffs letztes Wochenende in Pakistan, wo man beim Versuch, Al Qaida zu treffen, wieder den Tod zahlloser Zivilisten in Kauf nahm?“

Oh, und wie ich gerade sehe, hat „Paradise Now“ den Golden Globe als bester fremdsprachiger Film erhalten. Na, ob sich da nicht gerade so manch einer vor Wut in seinen Teppich verbeißt?

18. Januar 2006

Jep, ich bin tatsächlich erkältet, was meine Kreativität etwas lähmt. (Schreiben Sie mal eine erotische Szene, wenn es Ihnen fröstelt und Ihre Nase und Ihre Ohren zu sind. Telefonieren oder DVDs schauen macht da wegen der ständigen Geräuschverzerrung auch keinen Spaß.) Das Praktische an meinem Job ist dass man immer mehr als genug Lesefutter im Haus hat, von Sachen, die man für spätere Buchprojekte noch durchpflügen muss bis zu leichter Lektüre zwischendurch. Letzeres ist Richard Latzins wunderhübsches Buch „Das Literaturquiz“. Darin wird von 220 bekannten literarischen Werken (nicht nur Romane, sondern beispielsweise auch das Tagebuch der Anne Frank, Oscar Wildes Briefe aus dem Zuchthaus, Günter Wallraffs „Ganz unten“ oder Truffauts berühmter Interviewband mit Alfred Hitchcock) jeweils der erste Satz zitiert und dann genau eine Seite lang das Buch in verrätselter Form beschrieben, so dass man gut drauf kommen kann, ohne dass es aber gleich zu offensichtlich ist. Die verschiedenen Hinweise sind oft sehr raffiniert verschlüsselt, und die Lösungen bestehen nicht allein aus dem Titel des Buches, sondern darüber hinaus aus ein paar Zeilen über seinen Hintergrund und warum es lesenswert ist. Die Schwierigkeitsstufe ist sehr unterschiedlich: Es wird wohl niemanden geben, der nicht wenigstens ein paar dieser Titel richtig errät, und niemanden, der sie alle schafft. Das alles ist nicht nur fachkundig, sondern auch stilistisch sehr klug und ohne jede akademische Schwere geschrieben - meine höchste Empfehlung für Literaturfreunde!

Da ich ohnehin gerade etwas freie Zeit habe, habe ich beschlossen, einige Rätsel hier beispielhaft herauszugreifen, aber nur solche, bei denen meiner persönlichen Meinung nach der erste Satz des zu erratenden Werkes bereits so bekannt oder so bezeichnend ist, dass man mit entsprechenden Vorkenntnissen allein schon dadurch auf die Lösung kommen müsste. Die richtigen Antworten werde ich hier in ein paar Tagen veröffentlichen.

1. Es war ein klarer, kalter Tag im April, und die Uhren schlugen gerade dreizehn, als Winston Smith, das Kinn an die Brust gepresst, um dem rauen Wind zu entgehen, rasch durch die Glastüren eines der Häuser des Victory-Blocks schlüpfte, wenn auch nicht rasch genug, als dass nicht zugleich mit ihm ein Wirbel griesigen Staubs eingedrungen wäre.
2. Er war ein alter Mann, der alleine in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen.
3. Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche Familie aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.
4. Er stand vor dem Tor des Tegeler Gefängnisses und war frei.
5. Zugegeben: Ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann.
6. Lieber Vater, du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor dir.
7. „Was ist das. Was – ist das …“
8. Die Erzählung hatte uns, die wir um das Kaminfeuer herumsaßen, einigermaßen den Atem verschlagen, doch abgesehen von der nahe liegenden Äußerung, dass sie gruselig sei, wie es sich ja für eine am Weihnachtsabend in einem alten Hause erzählte sonderbare Geschichte durchaus gebühre, entsinne ich mich nicht, dass eine Bemerkung gefallen wäre, bis einer der Anwesenden beiläufig vorbrachte, es sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem eine solche Heimsuchung einem Kinde widerfahren sei.
9. Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen, so möchten Sie wahrscheinlich vor allem wissen, wo ich geboren wurde und wie ich meine verflixte Kindheit verbrachte und was meine Eltern taten, bevor sie mit mir beschäftigt waren, und was es sonst noch an David-Copperfield-Zeug zu erzählen gäbe, aber ich habe keine Lust, das alles zu erzählen.
10. Mr. Jones von der Herren-Farm hatte die Hühnerställe zur Nacht zugesperrt, war aber zu betrunken, um auch noch daran zu denken, die Schlupflöcher dichtzumachen.
11. Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes hässliches Weib feilbot, sodass alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde und die Straßenjungen sich lustig die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.
12. Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.
13. Als Herr (Name) ankündigte, dass er seinen bevorstehenden einundelfzigsten Geburtstag mit einem rauschenden Fest zu feiern gedenke, begann in (Ort) ein erregtes Getuschel.
14. Die (Beruf) (Name) stürzt wie ein Wirbelsturm in die Wohnung, die sie mit ihrer Mutter teilt.
15. Den 20. ging (Name) durchs Gebirg.
16. (Name), Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden.
17. An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler namens (Name), Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.
18. Nennt mich Ismael.
19. Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes (…).
20. Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte.
21. Alle Kinder (…) werden erwachsen.
22. Ich wurde im Jahre 1632 in der Stadt York geboren, von guter Familie, die aber nicht aus diesem Lande stammte, denn mein Vater war ein Ausländer aus Bremen.
23. Weil Esquire Trelawney, Dr. Livesey und die übrigen Gentlemen mich gebeten haben, alle Einzelheiten über (Ort) bis zum Ende niederzuschreiben (…), greife ich im Jahr des Herrn 17.. zur Feder und gehe in die Zeit zurück, als mein Vater das Gasthaus `Zum Adiral Benbow´ führte und der braun gebrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe im Gesicht Wohnung unter unserem Dach nahm.
24. Ummmr nnnnss / rrfnn ummr nnnnss / fnnn
25. Ich bin nicht (Name).
26. Es ist eine weltweit anerkannte Wahrheit, dass ein allein stehender Mann, der im Besitz eines ordentlichen Vermögens ist, nach nichts so sehr Verlangen haben muss wie nach einem Weibe.
27. ANTIQUARIAT Inhaber Karl Konrad Koreander
28. Als ich die folgenden Seiten (…) schrieb, wohnte ich eine Meile weit von meinem nächsten Nachbar entfernt, in einem Haus, das ich mir selbst (…) gebaut hatte, allein im Walde und verdiente meinen Lebensunterhalt einzig mit meiner Hände Arbeit.

Appetit bekommen? Oder noch zu einfach? Richard Latzin bietet noch viel mehr davon und wie gesagt: Wo die ersten Sätze noch nichts Entscheidendes hergeben, sind die damit kombinierten Hinweise oft wunderbar denkanregend. Ich bin sehr für einen Nachfolgeband!

Dienstag, Januar 17, 2006

17. Januar 2006

Gestern abend ging bei meinem experimentellen Roman „Dämonenprinz“ das Experiment in die nächste Stufe. Es ist faszinierend, was man mit dem richtigen Medikament, der passenden Technik zur Selbsthypnose und einem Textverarbeitungsprogramm so alles literarisch austesten kann. Irgendwie gelangt man da in eine ganz seltsame Zone hinein. Ich wage nicht zu sagen, ob es funktioniert hat, aber das war auf dieser Ebene ja auch nur der erste neue Schritt. Heute morgen fühle ich mich noch ein bisschen dösig und wacklig auf den Beinen; das kann allerdings auch einfach eine Erkältung sein und braucht nicht unbedingt mit meiner Trancearbeit zusammenzuhängen.

Montag, Januar 16, 2006

16. Januar 2006

Unser Gesundheitswesen ist offenbar noch irrwitziger, als mir ohnehin schon bekannt ist. Vor etwa einem Monat musste die Freundin meines Vaters mit dem Krankenwagen ins 15 Kilometer entfernte Krankenhaus gebracht werden. „Krankenwagen“ heißt in diesem Fall: kein Notarztwagen, sondern Sanitätsauto, auch keine ärztliche Begleitung, sondern allein die beiden Sanis – es ging ihr ausschließlich um den Transport, der ihr vom Krankenhaus aus angeboten wurde. Jetzt hat sie die Rechnung erhalten: 986,31 Euro für die viertelstündige Fahrt. Übernimmt bis auf 10 Euro Eigenbeteiligung voll die Krankenkasse (AOK). Hätte die Freundin meines Vaters ein Taxi für 30 Euro genommen, hätte die Kasse die Kosten nicht getragen.

Sonntag, Januar 15, 2006

noch 15. Januar

Heute Mittag bot uns der ARD-„Presseclub“ den Wortwechsel des Tages. Beteiligt waren der iranische Publizist Navid Kermani und Josef Joffe, Mitherausgeber und bis 2004 Chefredakteur der „Zeit“.

Kermani merkt an, dass ihm die Heiligsprechung Sharons in den letzten Wochen ein wenig befremde, wenn man bedenke, dass dieser immerhin für mehrere Massaker an Palästinensern verantwortlich gewesen sei. Als Beispiele nennt er Djenin, Sabra und Shatila. Joffe unterbricht seinen Kollegen, um zu bestreiten, dass es in Djenin ein „Massaker“ gegeben habe.

Kermani: Gut, aber zumindest Sabra und Schatila sind jedenfalls auch von Israel dokumentierte …

Joffe (unterbricht erneut, maßregelnd): Ja, gut. Das war vor 25 Jahren!

Kermani: Na gut, aber immerhin gehört es zu …

Joffe: Was haben Sie vor 25 Jahren gemacht?

Kermani: Vor 25 Jahren ging ich ins Gymnasium.

Joffe: (fröhlich) Na sehen Sie. Und haben Sie da ein bisschen geschummelt?

(Lachen anderer Gesprächsteilnehmer)

So einfach ist das heutzutage. Keiner von uns ist ohne Schuld, unterstelltes Schummeln in der Schule und das Begehen eines Massakers ist praktisch ein- und dasselbe, und nach 25 Jahren heißt es sowieso: Schwamm drüber, kann doch jedem mal passieren! Zumindest wenn es Israel betrifft. Man möchte Joffe nicht hören, wenn mit von Deutschen begangenen Massakern ähnlich wegwerfend umgegangen würde. Bewundernswert ist allerdings die unbekümmerte Chuzpe, mit der es Joffe hier gelang, den Spieß rhetorisch einfach umzudrehen. Ob er genauso frohgemut einer palästinensischen Mutter, deren Sohn damals ermordet wurde, erklärt hätte, dass das doch alles Schnee von gestern sei, wage ich allerdings zu bezweifeln. Sicher kann ich mir nach allem, was ich so erlebe, aber auch hier nicht mehr sein.

ARD-Presseclub. „Die Zeit“. Der Umgang der deutschen Medien mit den Greueltaten in Israel ist einfach nur widerwärtig.

15. Januar 2006

Eine neue Rezension meines SM-Kurzgeschichtenbandes „Wachs in deiner Hand“ steht online.

Samstag, Januar 14, 2006

noch 14. Januar

Es ist faszinierend, worauf man alles stößt, wenn man erst einmal anfängt zu recherchieren. So scheinen Henryk Broder und Michael Miersch nur die Spitze eines Eisberges zu sein, was Ausfälle gegen die Kritiker israelischer Greueltaten angeht. Hier etwa findet man eine sogenannte “Shit-List” (wobei „Shit“ für „Self-Hating and/or Israel-Threatening List“ steht), auf der etliche jüdische Befürworter der Menschenrechte auch gegenüber Palästinensern als „Verräter“ gebrandmarkt oder in langen Tiraden übelst beleidigt werden. Analogien zur sogenannten „Achse des Guten“ sind wohl unvermeidlich. Zu den solchermaßen Angefeindeten zählen unter anderem Woody Allen, Noam Chomsky, Nadine Gordimer, Naomi Klein und Menschenrechtler wie Uri Avnery und Felicia Langer sowieso. Ist es nicht ironisch, dass die vielleicht längste öffentliche Hassliste gegen Juden nicht von Nazis geführt wird, sondern von Zionisten? Denken Sie aber daran, dass Sie, wenn Sie diese Liste studieren, nur eine Illusion vor Augen haben, denn eine hochaggressive, ressentimentgeladene jüdisch-israelische Lobby, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, ist natürlich ein antisemitisches Hirngespinst.

14. Januar 2006

Mein auf besondere Weise experimenteller Roman „Dämonenprinz“ schreibt sich im Moment fast von alleine. Das ist zwar einerseits ein gutes Zeichen, aber irgendwie geht die Handlung so gar nicht in die Richtung, in der ich sie haben wollte. Meine Hauptfigur macht mal wieder, was sie will, und die für sie naheliegendste Handlungsoption fällt mir erst ein, wenn ich daran schreibe. Trotzdem würde ich das Experiment natürlich gerne zuende bringen.

Freitag, Januar 13, 2006

13. Januar 2006

In der “Welt“ von heute ist ein netter Artikel über von Verlagen und Verlagsagenten abgelehnte Manuskripte. Schön immerhin zu lesen, dass das deutsche Fräuleinwunder angeblich vorbei ist. Jaja, die Endneunziger, als es für einen Bucherfolg noch wichtiger war, weiblich zu sein und gut auszusehen, statt anständig schreiben zu können … Man hatte als hoffnungsvoller männlicher Jungautor damals wirklich den Eindruck, im falschen Körper zu stecken.

Donnerstag, Januar 12, 2006

12. Januar 2006

Rätselaufgabe für Sprachkünstler: Bilden Sie allein aus den Buchstaben S, C, H, E, L und T ein deutsches Wort mit 17 Buchstaben.

Wenn Sie nicht drauf kommen, finden Sie es in diesem aktuellen Artikel über Britney Spears und Co.

Dienstag, Januar 10, 2006

10. Januar 2006

Das Putzige am Internet ist, dass man nach den harmlosesten Dingen suchen kann, und dabei auf die ausgefallensten Texte stößt. Zum Beispiel diese Ratgeber hier:

- Female Exhibitionist´s Handbook: Basic Exhibitionism
- How to Suck a Strap-On
- How to Have Sex With a Dog

Jetzt nur mal als Beispiel.

Ich bin, einmal mehr, absolut schockiert.

Freitag, Januar 06, 2006

noch 6. Januar

Der berüchtigte amerikanische Fernsehprediger Pat Robertson befindet , Sharons Schlaganfall sei eine Strafe Gottes. Für Sharons Mitverantwortung für diverse Massaker an den Palästinensern? Nö, für seinen Rückzug aus dem Gaza-Streifen natürlich. Kein Wunder, dass der alte Herr da ungnädig wird, wenn man biblisches Land einfach so den heidnischen Barbaren in die Hände gibt. Dabei haben Robertsons Thesen mehr für sich, als man vielleicht zuerst denken sollte. Vielleicht liegt es ja daran, dass Gott tatsächlich auf „unserer“, der christlich-jüdischen Seite ist, wenn sich zum Beispiel Yitzhak Shamir mit seinen mittlerweile über neunzig Jahren immer noch recht wacker hält – unbenommen der von Shamir arrangierten Ermordung von Graf Folke Bernadotte, der zwar während des Zweiten Weltkrieges mehrere zehntausend jüdische Gefangene vor den Konzentrationslagern gerettet hatte, als diplomatischer Nahost-Friedensvermittler von Yitzhak und seiner Lehi-Gang aber als zu „antizionistisch“ und „araberfreundlich“ betrachtet wurde, um ihn am Leben zu lassen: Bernadotte hatte dreisterweise befunden, die palästinensischen Flüchtlinge hätten ein Recht, in ihre Heimat zurückzukehren. (Wenn man der Wikipedia glauben darf, bot die Lechi 1940 übrigens Hitler-Deutschland an, das Dritte Reich im Gegenzug für einen jüdischen Staat aktiv im Zweiten Weltkrieg zu unterstützen.) Shamir erhielt vom israelischen Staat später eine Amnestie, wurde dort schließlich Ministerpräsident und weilt immer noch unter den Lebenden. Da muss man Robertson wohl schließlich Recht geben: Entweder Gott ist eindeutig parteiisch oder er hat einen äußerst seltsamen Sinn für Humor. Wenn das unser Gott ist – könnte ich bitte einen anderen haben?

6. Januar 2006

Ein Leser dieses Blogs seit der ersten Stunde mailt mir heute einen Hinweis auf einen FAZ-Leserbrief, der nicht online steht. Er schreibt:

--- Das etwas wirre Interview, das das ZDF unlängst mit einer vermummten Susanne Osthoff führte, zeitigte in der F.A.Z. wenige Tage später unterschiedliche Reaktionen: einen verständnisvollen Artikel und - in derselben Ausgabe - einen flapsig-ironischen. Letzterer ärgerte die Programmgewaltigen des ZDF offenbar so sehr, daß sich Dr. Claus Kleber, Redaktionsleiter "heute journal", bemüßigt fühlte, einen Leserbrief zu schreiben, den die heutige F.A.Z. (5. Januar) auf S. 15 veröffentlicht: "Wir - Marietta Slomka, der Redaktionleiter, der Nachrichtenchef und der Chefredakteur, gemeinsam mit den Kollegen Tilgner und Walpot, die Frau Osthoff persönlich kennen - haben uns einen Tag Zeit gelassen, die Argumente zu wägen. Es sprach manches dafür, auf die Ausstrahlung des Interviews zu verzichten. Der Nachrichtengehalt war gering geblieben, Frau Osthoff (...) war erkennbar in einem psychisch angespannten Zustand. Dagegen stand das öffentliche Interesse an den Aussagen einer Frau, deren Schicksal die deutsche Regierung und Öffentlichkeit über Wochen beschäftigt hatte. Und dann schossen auch schon Gerüchte ins Kraut. Kollegen anderer Medien fragten nach angeblichen `antijüdischen Tiraden´. Gegen solch gefährlichen Unfug hilft nur Offenheit. Dazu haben wir uns gemeinsam entschlossen. Wir haben die Ausschnitte sorgsam gewählt und den gesamten Text im Internet zur Verfügung gestellt (www.heute.de/ ...) Letzteres war für Kollegen gedacht, die sich ein vollständiges, faires Urteil bilden wollen."

Unwillkürlich fragt man sich: Woher kommen diese plötzlichen Gerüchte über "antijüdische Tiraden"? Werden sie gar gezielt gestreut - und wenn ja, von wem? ---

Donnerstag, Januar 05, 2006

5. Januar 2006

Endlich mal ein wirklich guter Blondinenwitz!

Mittwoch, Januar 04, 2006

immer noch 4. Januar 2006

Ursprünglich lautete das Motto dieses Blogs ja nicht „Hoffmanns Ergüsse zur Weltpolitik“, sondern „Was hinter meinem Schreibtisch passiert“. Nun kommt man ja mittlerweile vor lauter Arbeit (und Bloggerei) kaum noch zu irgendwas anderem, aber …

Heute hatte ich mal wieder Lust, in diversen Internet-Kontaktforen herumzustöbern. Zum Beispiel bei BDSM 28. Dort entdecke ich auch gleich eine interessante Anzeige. Die betreffende Frau schreibt unter dem Nick „ffatale“, ist Freiberuflerin, 24 Jahre alt, blond, blauäugig, 54 Kilo auf 177 Zentimeter Körpergröße, switcht und hat erotische Neigungen, die mit meinen durchaus kompatibel sind. Sie betreibt Karate und fotografiert gerne. Klingt durchaus reizvoll.

Nun wäre ich kein in der Wolle gefärbter Journalist, wenn ich bei neuen Kontakten nicht relativ zügig gegenrecherchieren würde. (Die Mädels, die mich daten, googeln mich allerdings auch vorher durch, gell Melanie?) Ich gebe in meine Suchmaschine also „ffatale“ und „Wiesbaden“ ein. Meine Spekulation bestätigt sich: Ich stoße auf einige weitere Kontaktanzeigen von der Dame, unter anderem auf dieser Seite hier. Die Lady ist inzwischen ein Jahr älter und zwei Zentimeter kleiner, aber das kann ja jedem mal passieren. Was mich eher stutzig macht, ist, dass sich ihre Kontaktanzeige auf die Worte „Angie bei femme fatale“ erstreckt.

Mooooment. Sollte es etwa … man wagt es kaum anzunehmen … sollte es etwa in Wiesbaden ein Etablissement geben, das ich noch nicht kenne? (Das dürfte unter anderem meinen Verleger Rüdiger, der hier ebenfalls mitliest, aufgrund eines aktuell von uns geplanten Buchprojektes nicht wenig amüsieren.)

Noch mal gegoogelt, diesmal „femme fatale“ und „Wiesbaden“ eingegeben. Prompt entdecke ich diesen “Gentleman-Club”. Ich bin schockiert! Das ausgerechnet mir und meinem empfindsamen Gemüt! Hm, aber wenn ich EH gerade beim Recherchieren bin … Ich stöbere ein bisschen weiter und stoße auf eine von Fotos begleitete und recht detailierte („Venushügel: schmaler Streifen/ganz rasiert“) Selbstdarstellung von „Angie“. Schau an, die Gute ist inzwischen sogar schon 29. Wie die Zeit vergeht. Wobei man sich echt nicht sicher sein kann, dass wir uns hier schon am Ende der Fahnenstange befinden. Oh, und hier gibt es zu der Lady sogar einen ausführlichen Fickbericht samt Bewertung. (Falls Ihnen dieses Genre unbekannt ist: Es funktioniert ähnlich wie die Produktrezensionen auf Verbraucherportalen wie ciao.de …)

Gut, man sollte der Sache auch etwas Positives abgewinnen: Nicht immer erfährt man schon eine halbe Stunde, nachdem man eine Kontaktanzeige gelesen hat, wie die betreffende Dame im Bett ist. Aber andererseits: 1300 Euro die Nacht? 2850 Euro das Wochenende??? Witzig! Da fahre ich mit meiner Methode doch um einiges preiswerter. Oder ich schaue mich in den nächsten Tagen mal nach einer Kontaktanzeige um, die sich nicht als Verarsche herausstellt.

noch 4. Januar

In einem aktuellen Artikel, über dessen Veröffentlichung die Tiefflieger von Sharons deutscher Propagandastaffel vermutlich vor Wut und Empörung im Dreieck springen werden, berichtet der FOCUS über ehemalige israelische Soldaten, die ihre Landsleute endlich wachrütteln wollen, indem sie die Brutalitäten ihrer Armee offenlegen:

„Auch in der israelischen Armee mehren sich kritische Stimmen. `Unser Auftrag hier war die Siedler zu schützen. Aber eigentlich hätten wir die Palästinenser vor den Siedlern beschützen müssen, berichtet Jehuda Schaul, der den größten Teil seiner dreijährigen Militärzeit in Hebron diente. Zusammen mit Freunden hat er die Initiative `Das Schweigen brechen´ gegründet, die Soldatenberichte über Misshandlungen, Schikanen und Demütigungen von Palästinensern sammelt. Nach einer Fotoausstellung in Tel Aviv bietet der Verein inzwischen Touren nach Hebron an, um öffentlich zu machen, wie Armee und Siedler die Palästinenser behandeln. `In Hebron lernt ein Soldat schnell, dass alles erlaubt ist´, sagt Schaul auf einer der Touren. `Wir haben ohne Grund – einfach so – Granaten auf palästinensische Wohnviertel gefeuert oder mit Tränengas auf Kinder geschossen.´ Auch Micha Kurtz hat in Hebron gedient. `Man hat mir beigebracht, dass ein achtjähriges Kind und eine 90 Jahre alte Frau zuerst mögliche Terroristen sind, dann Palästinenser und nur als letztes Menschen´, resümiert er.“

Die Frage bleibt, was schlimmer ist: Solche Taten zu begehen oder einen friedlichen Boykott wenigstens der Waffenlieferungen zu unterstützen, damit die Greuel zumindestens eingedämmt werden können? Falls Sie einen Boykott für sinnvoll halten oder auch nur andere Menschen auf diese Vorgänge in Israel aufmerksam machen wollen, stellen Sie sich besser schon mal auf die übelsten Beschimpfungen ein. Oder auf eine Unterlassungsklage. Oder darauf, dass man für ihre Entlassung aus öffentlichen Ämtern agitiert.

4. Januar 2006

Wussten Sie schon: Wenn Sie bei Google die Worte “miserable failure” („erbärmlicher Versager“) eingeben, erhalten Sie als obersten Link die offizielle Biographie des Weißen Hauses von George W. Bush.

Dienstag, Januar 03, 2006

noch 3. Januar

Im November letzten Jahres interviewte die Berliner „tageszeitung“ Gideon Levy, den renommierten Chefredakteur der Wochenendbeilage der israelischen Zeitung "Ha'aretz" und laut taz einer der wenigen Journalisten Israels, die sich sehr gut in den Palästinensergebieten auskennen. Ich wurde erst jetzt durch einen Leser auf dieses Interview aufmerksam gemacht, in dem Levy klare Worte äußert. So antwortet er auf die Frage, ob die Angst vor einem „neuen Antisemitismus“ berechtigt sei: „Sie ist ein Produkt von ehrlicher Paranoia und einem großen Anteil Manipulation. Paranoia zu haben, bedeutet nicht, dass man keine Feinde hat. Aber indem man sich selbst ausschließlich zum Opfer erklärt, entlässt man sich aus jeder Verantwortung. Die späte Golda Meir hat das einmal auf die Spitze getrieben, als sie sagte, nach dem Holocaust hätten die Juden das Recht zu tun, was immer sie wollten. Das ist natürlich eine extreme Aussage. Aber ich fürchte, viele Juden und Israelis denken so, auch wenn sie es vielleicht nicht sagen würden. (…) Natürlich sind auch viele Israelis zu Opfern des Konflikts geworden. Das bedeutet aber nicht, dass Israel diese Tatsache nicht in zynischer Weise zu eigenen Zwecken benutzt. Die Agonie und das Leid der Palästinenser kommen in den israelischen Medien so gut wie gar nicht vor. Nur indem man die andere Seite ausblendet, kann man sich der Welt als Opfer präsentieren. Israel ist heute ein viel rassistischeres Land als irgendein Land in Europa. Ein Araber in Israel zu sein, ist mit mehr Nachteilen und Diskriminierungen verbunden, als irgendwo auf der Welt ein Jude zu sein. Es ist überhaupt nicht damit zu vergleichen!“ Weitere Passagen dieses Interviews sind hier nachzulesen.

3. Januar 2006

„Die Fälle Möllemann und Hohmann, wo es durch den Vorwurf des Antisemitismus zu einem echten Karriereknick kam, sind seltene Ausnahmen.“ lautete eine Behauptung Michael Mierschs, die offensichtlich nicht nur mir, sondern auch anderen Leser dieses Blogs die Galle hochkommen lässt. Wie sehr eine an die Säuberungen unter McCarthy erinnernde Antisemitismus-Hysterie berufliche Karrieren zerstören kann, teilte mir gerade ein Leser anhand eines neuen solchen Ereignisses mit, das gut in meine Fallsammlung und Analyse „Warum Hohmann geht und Friedman bleibt“ gepasst hätte, sich aber nach deren Erscheinen abgespielt hatte.

„Was ist ein Hitlergruß? Um diese Frage ging es gestern vor dem Arbeitsgericht an der Osterbekstraße. `War der rechte Arm in 45 Grad abgewinkelt, war der Ellenbogen durchgedrückt und die Hand flach ausgestreckt?´, wollte der Vorsitzende Richter Matthias Waskow wissen. Es ging um die fristlose Kündigung des berühmten Hamburger Musikers Winfried Rüssmann durch die Hochschule für Musik und Theater.“ Mit diesen Zeilen beginnt ein Artikel Helmut Sörings im „Hamburger Abendblatt“, den Sie hier weiterlesen können. Danach ist ein Kommentar von mir wohl nicht mehr nötig.

Montag, Januar 02, 2006

2. Januar 2006

Im Herbst vor über einem Jahr erschien ein ganzer Schwung von Büchern zur Debatte um den angeblichen Neuen Antisemitismus im Handel. Ich verfasste zu diesem Anlass für unsere Zeitschrift „eigentümlich frei“ eine Sammelrezension, in der ich mich mit diesen Titeln bewusst kritisch auseinandersetzte, statt in Ehrfurcht zu erstarren und demjenigen den überzeugendsten Kampf gegen Judenhass zuzubilligen, der sich am lautesten empörte und vor Alarmismus überschlug. Dieses Rezensionsbündel wurde von der ef-Redaktion immer wieder verschoben und blieb bis heute unveröffentlicht – weniger aus inhaltlichen Gründen, sondern weil es mir vom Umfang her zu sehr ausgewuchert ist und neun Seiten für einen solchen Beitrag einfach zu viel für unsere Zeitschrift waren.

Inzwischen wird mein Blog, nicht zuletzt dank einigem Gegeifer aus der sharonfreundlichen Ecke, offenbar von ziemlich vielen Leuten gelesen, die sich für dieses Thema interessieren. Warum veröffentliche ich meine Besprechungen also nicht einfach hier? Dieser Beitrag darf gerne verlinkt und meine Rezensionen von anderen Websites adoptiert werden, solange mein Name als Verfasser damit verknüpft bleibt.

In seinem Buch „Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September“ untersucht der Journalist Tobias Jaecker drei verschiedene Formen der Medienberichterstattung mit den Methoden der Diskursanalyse, wie sie vor allem Siegfried Jäger vom bekannten Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung entwickelte. Es handelt sich dabei um die Themenfelder „Terroranschläge vom 11. September“, „Nahost-Konflikt“ sowie „Irak-Krieg“. Jaecker gelangt zu dem Schluss, dass es in allen drei Bereichen antisemitisch-verschwörungstheoretische Konnotationen gebe, die in unterschiedlichem Ausmaß in den Mainstream der öffentlichen Berichterstattung und Debatte hineinragten: Während entsprechende Texte im Zusammenhang mit dem 11. September vor allem in der momentan sehr beliebten Verschwörungsliteratur kursierten (hinter den Anschlägen stecken ihr zufolge gar keine Islamisten, sondern die US-Regierung und Israel), so fänden sie sich, was den Nahost-Konflikt angeht, bereits in großer Zahl auch in den als „seriös“ geltenden deutschen Printmedien, die den Israelis auf dürftiger Faktengrundlage alle nur erdenklichen Übel zutrauten und überbordende Falschmeldungen (etwa über das angebliche Massaker von Dschenin) nur mit wenigen Zeilen korrigierten. Die laut Jaecker antisemitischen Verschwörungstheorien zum Irak-Krieg, die von einer Riege jüdischer Neocons als dunklen Mächten und Strippenziehern hinter den Geschehnissen der Weltpolitik ausgingen, seien praktisch überall anzutreffen: in Büchern, großen Magazinen und Tageszeitungen und nicht zuletzt im Internet. Insgesamt, so argumentiert Jaecker, entstünde aus dieser Melange eine Sichtweise, der zufolge eine jüdische Lobby im Verein mit der israelischen Regierung und mit zwielichtigen Methoden eine Art Weltherrschaft errichten möchte und damit für leichtgläubige Amerikaner, Palästinenser und Europäer eine starke Bedrohung darstellte. Diese Sichtweise sei von bisherigen antisemitischen Verschwörungstheorien wie etwa den „Protokollen der Weisen von Zion“ nur wenig entfernt.
Jaeckers Buch kann auch nach kritischer Lektüre als gelungen bezeichnet werden. Seine Argumentation ist transparent, seine Methodik sauber und sein Fazit überzeugend. Es bewegt sich in den Bahnen der neuren anerkannten Standardliteratur zum Thema, rekapituliert aber nicht nur schon Gesagtes, sondern fügt neue Tiefenanalysen hinzu. Zwar mag sich beim Lesen mancher zunächst fragen, ob Jaecker nicht selbst einer einseitigen Darstellung und Dramatisierung Ausdruck gab, bei der alle Fundstücke in ein zuvor festgelegtes Schema gepresst werden sollten. Dieser Eindruck allerdings verflüchtigt sich bald. Zum einen geschieht das wegen Jaeckers sehr guten Belegarbeit. Drei Artikel (von Telepolis, der „jungen Welt“ und dem Magazin „Stern“) werden gründlich analysiert und enthüllen in der Tat zumindest im Ansatz antisemitische Strukturen. Zum anderen bietet Jaecker immer wieder differenzierende Einschübe. So räumt er ein, dass insbesondere im Irak-Diskurs die „harten Fakten“ durchaus stimmten oder zumindest plausibel erscheinen und dass keiner der drei von ihm untersuchten Diskurse in seiner _Gesamtheit_ antisemitisch-verschwörungstheoretisch besetzt sei. Indes fließe in Sprache und erzählender Darstellung immer wieder ein bedenklicher Unterton ein.
Schwachpunkte des Buches finden sich insofern lediglich auf Detailebene: Ein Problem mag etwa sein, dass Jaecker jegliche von ihm analysierte Kritik an der israelischen Regierungspolitik, als „eindeutig antisemitisch“ bezeichnet, selbst wenn sie von einem anerkannten Mitglied der israelischen Friedensbewegung wie Uri Avnery geäußert wird. Diese „Eindeutigkeit“ behauptet Jaecker in diesem Fall lediglich und verzichtet auf jede weitere Ausführung. Insofern mag sich mancher Leser wundern, wie eine angemessen scharfe Kritik an der Regierung Sharon aussehen kann, die diesem Vorwurf entgeht. Immerhin ziehen mittlerweile selbst Mitglieder der israelischen Regierung (Justizminister Lapid, die ehemalige Erziehungsministerin Aloni) Analogien zwischen israelischem Vorgehen und Taten der Nationalsozialisten. Der Vorwurf eines „israelischen Apartheitssystems“ wurde unter anderem von dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers Bischof Tutu erhoben. Für Jaecker bedeutet solche Kritik bereits, dass Israel indirekt das Existenzrecht abgesprochen werden solle. Wenn er beklagt, dass Sharon als der typische gerissene, schlaue Jude aus dem antisemitischen Klischee skizziert werde, fragt er sich leider nicht, warum diese Zuschreibung ausgerechnet Sharon ereilte und keinen seiner Amtsvorgänger. Vielleicht weil Sharon wirklich gerissen und schlau ist, was ja auch für Juden möglich sein soll – und für Staatsoberhäupter.
Das Problem unberechtigter Antisemitismus-Vorwürfe und ihrer verheerenden Wirkung auf den Beschuldigten („Antisemitismus-Keule“) wischt Jaecker extrem leichtfertig vom Tisch. In seinem Weltbild scheint es Falschbeschuldigungen dieser Art überhaupt nicht zu geben. Dazu passt es, dass auch er selbst immer wieder solche Vorwürfe recht fahrlässig ins Spiel bringt. So führt ihn eine Aufreihung von Fakten über den Antisemitismus in der Weltgeschichte zur Paulskirchenrede Martin Walsers, die Jaecker in Form einer weiteren Tatsachenbehauptung mir nichts dir nichts in die Historik der Judenfeindschaft eingliedert, als handele es sich um ein weiteres feststehendes Faktum. Tatsächlich handelt es sich um eine sehr fragwürdige persönliche Interpretation. Ähnlich selbstverständlich und dabei radikal verkürzend charakterisiert Jaecker die Worte Jenningers, Möllemanns, Hohmanns und Honderichs sowie die Israel-Boykottaufforderung von Attac als aggressive Antisemitismen aus der Mitte der Gesellschaft. Auch hierin folgt er zwar der momentan herrschenden Lehre; ein wenig mehr Problematisierung hätte ich indes als wünschenswert empfunden. So bleibt die alte Frage offen: Who watches the Watchmen? oder, konkret auf diesen Fall bezogen: Wer analysiert die Diskurse der Diskursanalytiker?
Diese Punkte mögen ärgerlich sein, sind aber, da sie nur Nebenbemerkungen darstellen, zu tolerieren und tun der bemerkenswerten Leistung dieses Buches wenig Abbruch.

Wolfgang Benz, Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat schon zahlreiche anerkannte Schriften zu diesem Gebiet veröffentlicht und stellt im Titel seines neusten Buches noch einmal grundlegend die Frage „Was ist Antisemitismus?“. Er beantwortet sie schon in der Einleitung, indem er im Judenhass ein patriotisches Projekt der Mehrheit erkennt, um sich in Abgenzung gegen eine Minderheit ihrer selbst zu vergewissern. Daraufhin unterteilt er diese Geisteshaltung in vier Gruppen (religiöser Antijudaismus, Rassenantisemitismus, sekundärer „Erlösungsantisemitismus“ nach Auschwitz, Antizionismus). Verschiedene Ausprägungen von Antisemitismus aus der gesellschaftlichen Mitte heraus untersucht Benz etwa anhand Zuschriften Einzelner an den Zentralrat der Juden in Deutschland, die Möllemann-Friedman-Affäre und die Hohmann-Rede. Mehrere ausführliche Kapitel sind dem Antisemitismus vergangener Jahrhunderte sowie anderer Länder Europas gewidmet. In einer Fußnote wird sogar unser ef-Magazin erwähnt.
Der politischen Diskussion zuliebe soll sich diese Rezension auf Kritikpunkte an diesem wissenschaftlich durchaus gelungenen Buch konzentrieren, zumal an eine Instanz wie Benz sicher eine hohe Messlatte gelegt werden kann. In diesem Zusammenhang fällt zunächst einmal ein manichäisches Weltbild auf, eine Unterteilung der Positionen in Schwarz-Weiß-Kategorien wie Minderheit/Mehrheit, Opfer/Täter, Juden/Nicht-Juden. Diese Unterteilung traf für die Zeit des Dritten Reiches weitgehend zu, aber gilt sie deshalb so selbstverständlich und automatisch auch für die Gegenwart? Für die Menschen etwa, die in ihren Briefen mit den Mitgliedern des Zentralrats der Juden Verständigung suchen (Beleidigungen, Anfeindungen etc. wurden in der Analyse ohnehin ausgeklammert), fehlt Benz durchgehend jegliche Empathie. Selbst Weltverbesserungswünsche müssen da als „naiv“ apostrophiert werden und Existenzängste als „kleinbürgerlich“. Die Befindlichkeiten der solchermaßen sezierten Briefeschreiber werden lediglich insofern ernst genommen, als es daraus für Benz Antisemitismen herauszulesen gilt.
Dies wiederum tut er mit viel Energie und geradezu nach Schema F: Wirft ein Briefeschreiber einem Zentralratsmitglied vor, unnötig zu polarisieren, sei das ein Rückgriff auf den Juden als Brandstifter. Wer sich über die von israelischen Soldaten getöteten palästinensischen Kinder empöre, denke dabei mindestens unterbewusst Herodes Kindesmord von Bethlehem mit. (Wie ist das mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die dieses Vorwissen gar nicht besitzen und sich dennoch über getötete Palästinenserkinder entsetzen?) Wenn ein Mieterverein einem jüdischen Immobilienmakler vorwirft, überhöhte Mieten zu fordern, stecke dahinter das Klischee vom Juden als Wucherer. Wer den Juden in Deutschland „gesellschaftlichen Einfluss“ zuschreibe, greife dabei auf Stereotype der nationalsozialistischen Propaganda zurück. Wenn ein „Tagesthemen“-Chefredakteur befindet, die Israelis verführen nach der Maxime „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dann verknüpft Benz das mit einer Hitler-Rede aus dem Jahr 1942, in der Juden gegenüber derselbe Topos auftauchte. Und wenn Oskar Lafontaine vorschlägt, die beklagte Einstellung lieber mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe zu überwinden, dann kann man das Benz zufolge „als einen Wunsch auffassen, der mit den Bestrebungen, die Juden aus Palästina zu vertreiben, korrespondiert“.
Man vermisst bei Benz Lesart insgesamt viel Problematisieren und Differenzieren (dass es auch sehr scharfe jüdische Kritiker der israelischen Politik gibt, bleibt beispielsweise unerwähnt), eine wünschenswerte wissenschaftliche Unparteilichkeit sowie insbesondere jedes ernsthafte Eingehen auf eine Gegenposition. Stattdessen nimmt Benz die Rolle von jemandem ein, der jedes auch unausgesprochene Motiv der von ihm analysierten Personen kennt. (Sobald Nicht-Juden mit Juden streiten, scheinen Nicht-Juden grundsätzlich versteckte Hintergedanken zu haben, die erst dechiffriert werden müssen.) Wenn Pater Basilius Streithofen sich nach einer Kontroverse mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden zu einem versöhnlichen Gespräch trifft, dann geschieht das in Benz Blick nicht aus ernsthaftem Interesse an Verständigung, sondern „medienwirksam“ und weil Streithofen den „Trend erkannt“ habe. Möllemann, so heißt es, arbeite mit Codes, die erst entschlüsselt werden müssen, die man also auch „leugnen“ könne. Hier bereits erinnert Benz Rhetorik bereits halb an die Inquisition, halb an die Aufdecker-Bewegung zu Zeiten der Missbrauchshysterie in den neunziger Jahren: „Wir“ wissen es ohnehin besser, aber die „Täter“ „leugnen“ natürlich. Diesem Schema gemäß heißt es auch von Norbert Blüm, der an seinem Vorwurf eines Vernichtungskrieges des israelischen Militärs festhält, er sei „trotzig“ und „uneinsichtig“. Martin Hohmanns Verteidiger „wollen (!) nicht erkennen“, dass dessen Rede antisemitisch gewesen sei; damit sei Hohmanns „Rechnung (...) als Märtyrer einer guten Sache in strahlendem Licht“ zu erscheinen, aufgegangen. Längst bedient sich Benz selbst der Verschwörungstheorien, die auch er ansonsten so gerne beklagt. Was für eine seltsame „Rechnung“ das sein soll, die auf einer vor 120 Zuhörern in der hessischen Provinz gehaltenen Rede beruht, erklärt er nicht.
Es „ging im Fall Hohmann nicht darum, ihn als Antisemiten zu brandmarken“ behauptet Wolfgang Benz und spricht von „der Abweisung von Zuschreibungen, die in der Regel gar nicht erfolgen“. Tatsächlich wurde Hohmann in diversen Zeitungsartikeln nicht nur als Antisemit bezeichnet (etwa in der taz und der Frankfurter Rundschau), sondern auch als Brandstifter (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), charakterloser Lump (Berliner Zeitung), Braungeist (Ostsee-Zeitung), notorischer Judenhasser (Neues Deutschland), antisemitischer Hanswurst (Berliner Tagesspiegel), Hetzer (Bild), wirrer Geist (Hamburger Abendblatt) sowie implizit Rassist und Idiot (taz). Es ist symptomatisch, dass Benz dieser, der andere Teil des Diskurses gar nicht erst in den Blick gerät.

Auch der Journalist Philipp Gessler beschäftigt sich in seinem Buch
„Der neue Antisemitismus“ mit dem Judenhass. Dabei fächert er das Thema in drei Bereiche auf, denen er jeweils ein ausführliches Kapitel widmet: rechter, islamischer und linker Antisemitismus. Erfreulicherweise eröffnet er seine Ausführungen mit einer brauchbaren Definition des behandelten Begriffs: „eine anhaltende latente Struktur feindseliger Überzeugungen gegenüber Juden als Kollektiv (...) soziale oder rechtliche Diskriminierung, politische Mobilisierung gegen Juden und kollektive oder staatliche Gewalt – die dazu führen und/oder darauf abzielen, Juden als Juden zu entfernen, zu verdrängen oder zu zerstören“. Weniger erfreulich ist, dass auf den dieser Definition folgenden Seiten der Antisemitismus-Begriff wieder dermaßen entgrenzt wird, dass vom Möllemann-Friedman-Konflikt bis zu scharfer Kritik an Israels Premier alles mögliche darunter fallen kann. So verbleibt auch Gessler innerhalb der gängigen Schemata, auch seine Welt ist schwarz und weiß: Dass Sharon zufolge 17 Millionen Araber in Europa eine Zeitbombe darstellen wird von ihm etwa nur als Zitat eines Moslems eingeworfen, den Gessler als antisemitisch vorzuführen sucht – ob sich hinter Sharons Worten nicht ihrerseits knallharter Rassismus verbirgt, hinterfragt Gessler nicht. An anderer Stelle zitiert er eine Sprecherin der Antiglobalisierungsbewegung Attac damit, dass in ihren Reihen „Leute schon Angst haben, sich zu äußern, weil sie nicht als Antisemiten hingestellt werden wollen“. Gessler verzichtet darauf zu problematisieren, ob diese Angst nicht, ähnlich der Kommunistenhatz unter McCarthy, bedrohlich für die Meinungsfreiheit werden könnte.
Stattdessen wirkt er an dieser Gefahr tüchtig mit. Geschickt schneidet er brutale Gewalttaten und Bemerkungen, bei denen nur mit viel gutem Willen antisemitische Hintergedanken zu erkennen wären, zu einem Bild zusammen, das den Eindruck erzeugt, „dass es in Sachen Judenfeindlichkeit so schlimm sei wie in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts“. Das ist blanker Alarmismus, aber angesichts dieser Gefahr kann man auf Argumente auch verzichten: „Wer Argumente benutze“ zitiert Gessler offensichtlich zustimmend die Möllemann-Kritikerin „Julia“ (jung, blond und blauäugig, studiert Kunstgeschichte), „räume ein, dass auch die Gegenseite welche besitzen könne“. Auch den „ehemaligen Archiv-Assistenten“ Leo Bauer zitiert Gessler gerne: „Schon im 19. Jahrhundert haben die Antisemiten betont, sie betrieben keinen Judenhass, heute betonen die Israelkritiker, sie seien keine Antisemiten.“ Zu bestreiten, dass man Juden hasst, ist nach dieser absurden Logik fast schon ein Beleg _für_ diesen Verdacht. Leider herrsche bei Israelkritikern „der Irrglaube vor, der Unterdrückte sei immer moralisch im Recht oder an einem Konflikt seien immer beide Seiten gleich schuld.“ Wenn beides ein „Irrglaube“ ist, was bleibt dann als zutreffende Sicht der Dinge? Dass der Unterdrücker moralisch im Recht ist? Schade, dass Gessler solche Gedanken nicht zuende denkt, weil er schon wieder auf der Jagd nach dem nächsten Skandal ist.
Beispielsweise dass 1600 Mitglieder der CDU sich gegen ein Parteiausschlussverfahren Martin Hohmanns wandten, weil sie in seiner Rede nichts Antisemitisches erkennen konnten. Gessler zitiert hierzu den Antisemitismus-Experten Bergmann: „Eine Erosion der Tabuisierung des Antisemitismus ist festzustellen.“ Moment. Bestreiten die CDUler nicht gerade, dass hier überhaupt Antisemitismus vorliegt? Das eben ist Teil des Problems: „Bedenklich sei die andauernde Diskussion darüber, was nun eigentlich antisemitisch sei“. Aha. Da ist es doch hochironisch, dass Gessler in der „jüdischen“ vom 21.9.2004 die Frage gestellt wurde, ob er „sich eigener antisemitischer Facetten in seiner Schreibe überhaupt bewusst“ sei. Seiner eigenen Rhetorik folgend dürfte sich Gessler nicht gegen diesen Vorwurf verteidigen (denn dazu wäre ja eine „bedenkliche“ Diskussion darüber notwendig, was antisemitisch sei und was nicht), noch dürfte er von anderen verteidigt werden. (Das wäre ja eine „Erosion der Tabuisierung des Antisemitismus“.) Unweigerlich fühlt man sich daran erinnert, dass Robespierre mit seinem Tugendterror zuletzt auch unter Guillotine landete.
Da Gessler so ziemlich überall Antisemitismus entdeckt, verwundert es nicht, dass ihm kaum brauchbare Lösungen einfallen, um mit dieser Allgegenwart fertig zu werden. Einen Absatz nur nimmt er sich dafür Raum. Darin finden sich solch niedagewesene Einfälle wie dass die Politik öffentlich gegen Antisemitismus protestieren sollte oder dass die Justiz „ihn, auch wenn er nur in Andeutungen auftritt, stärker ahnden“ müsse. Wie das konkret aussehen und wo das hinführen soll: Fragen Sie nicht Herrn Gessler. Der ist zu sehr damit beschäftigt, entsetzt die Arme in die Luft zu werfen.

Lars Rensmanns „Demokratie und Judenbild“stellt sich als größte Peinlichkeit der hier besprochenen Bücher heraus. In diesem ideologietrunkenen Machwerk, das ernsthaft zur Erlangung eines akademischen Titels ausreichte, sind einseitige Propaganda und Wissenschaft nicht mehr voneinander zu trennen. Eine dem Buch beigelegte Liste enthält zwischen 20 und 30 Errata, was ungefähr einem Zehntel der tatsächlichen Anzahl entsprechen dürfte. So hingepfuscht wie die Sprache ist auch der Inhalt. Unfassbar was heutzutage allein wegen eines demonstrativen Anti-Antisemitismus alles durchgewunken wird! Je weniger man über diesen intellektuellen Dünnpfiff sagt, desto besser.

Fast schon lustig ist im Vergleich dazu Phyllis Cheslers „Der neue Antisemitismus“. „Ich bin keine Antisemitismusforscherin“ bekundet die jüdische Radikalfeministin darin schon sehr früh. Das merkt man. Es handelt sich um einen Titel, der erkennbar aus persönlicher Betroffenheit heraus geschrieben wurde. Nun kann auch das ein durchaus gelungenes Werk ergeben. Hat es hier aber nicht.
Das Buch beginnt mit einer fast obszön eindringlichen Schilderung des New Yorker Ground Zero („Die Luft roch nach verbrannten Menschen, salzig und Angst einflößend.“), woraufhin Chesler im ersten Kapitel irritierend ausführlich ihre eigene Befindlichkeit ausbreitet. So efährt der Leser solch interessante Details wie dass Chesler fast ein Jahr lang täglich den Terroropfern gedachte, ihre Arbeiten „in viele europäische Sprachen übersetzt worden und auf Japanisch, Chinesisch, Koreanisch und Hebräisch erschienen“ sind, dass das „böswillige und absichtsvolle Schweigen“ der Akademiker zum Antisemitismus ihr „das Herz zerrissen“ haben, ihre beiden charmanten Ehemänner eine sanfte Stimme, dunkle Augen und einen olivenfarbenen Teint besitzen, dass sie während ihres Aufenthalts in Afghanistan von ihrem Schlafzimmerfenster aus die Ausläufer des Himalaya sehen konnte undsoweiter undsofort.
Das Befremden, das sich bei der Lektüre dieser Nabelschau einstellt, legt sich bei der weiteren Lektüre nicht. Chesler behandelt das Thema Antisemitismus, indem sie mehrfach seitenlang terroristische Anschläge und ihre Opfer auflistet und dies mit, gelinde gesagt, weniger schweren Vorfällen durchmischt - wie etwa dass am 9. April 2002 ein Student der Universität Denver einen jüdischen Kommilitonen als „kike“ bezeichnet habe. Ähnlich wie bei Gessler entsteht so hier ein Bedrohungsszenario, das das Dritte Reich noch in den Schatten stellt, denn: „In der Nazizeit wurden Juden vorwiegend auf einem Kontinent angegriffen. Heute werden Juden überall auf der Welt attackiert, vornehmlich mit Worten und Bildern.“ Selbst die Vereinten Nationen seien „von der PLO okkupiert“, einen Vorgang, den Chesler als „mein erstes postmodernes Pogrom“ bezeichnet.
Cheslers Hauptzielscheiben sind der Islam und die arabische Welt: „Wenn wir die islamistischen Fundamentalisten nicht stoppen, werden sie mit Sicherheit die wertvollen Juwelen aus unseren Gotteshäusern und Museen stehlen (…), unsere schönen Kirchen und Synagogen abbrennen oder gleich ihre Moscheen über sie drüber stülpen.“ Außerdem werden sie „die Christen und Juden versklaven oder umbringen“. Chesler kennzeichnet „Araber und Muslime“ als „barbarisch und primitiv“, weil „die westlichen Ideen von Objektivität und unabhängiger Wahrheitssuche in der verarmten, illiteraten, religiösen und in Stammesstrukturen verharrenden islamischen Welt keine allzu große Rolle spielten, einer Welt, die stolz darauf war, sich nicht weiterzuentwickeln“. Allerdings sind wir Europäer auch nicht viel besser: „Viele Europäer leugnen noch heute, dass der Holocaust je stattgefunden habe, oder verlangen ein irreales Maß an Beweisdokumenten.“ Hierzu zitiert Chesler zustimmend einen Kolumnisten, dem zufolge „die Europäer tief in ihrem Inneren wollen, dass Herr Sharon ein Massaker an den Palästinensern begeht“, damit Europa endlich die Schuld am Holocaust abwerfen könne. Aber wenn die europäischen Antisemiten „mit ihren stolzen Fressen in die unter den Teppich gekehrte, eigene Scheiße gestoßen wurden, erlebten sie es als `jüdische Aggression´.“
Insbesondere die „amerikanische und europäische Linke hat sich auf eine teuflische Hochzeit mit den islamistischen Terroristen eingelassen“ berichtet Chesler. Das sei kein Wunder aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zueinander: Beide „sind nicht in der Lage, als Individuen zu denken, sie zeichnen sich durch eine pubertäre, provokative Rebellionshaltung und grobes Verhalten gegenüber bestimmten Autoritäten aus“. Dies illustriert sie am Beispiel einer französischen Judin, die ihr doch tatsächlich beharrlich widerspricht, obwohl Chesler mehr als dreißig Jahre älter ist – und noch dazu in einem so schlechten Englisch, „dass es mir in den Ohren wehtat“. Da ist dann auch Chesler machtlos („Ihr Verstand blieb verschlossen, genauso wie ihr Herz.“), und das obwohl sie doch einiges gewohnt ist: „Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen geübten Lügnern und Großmäulern debattiert.“
Judenhass und mehr als nur zurückhaltende Israelkritik sind für Chesler praktisch ein und dasselbe: „Jeder, der Israel fälschlicherweise des Völkermords und des Rassismus anklagt, ist ein Antisemit.“ Die zahlreichen jüdischen Israelkritker in der Diaspora nimmt sie da ebensowenig aus wie all die „Globalisierungsgegner, Umweltschützer und Anti-Rassismus-Aktivisten“ und die Journalisten, die bei ihrer Nahost-Berichterstattung „häufig zum verrückt werden `objektiv´“ seien, indem sie keine eindeutige Stellung bezögen und beide Seiten des Konfliktes zu Wort kommen ließen, ohne die „zahllosen einstudierten Kamera-Tränen“ der Palästinenser zu durchschauen. Leider seien selbst viele Juden „gefährlich gut“ darin, „den Standpunkt des `anderen´ zu verstehen“. Was soll man da noch machen? Außer sich vielleicht zu wundern, dass Objektivität, deren angeblicher Mangel im Islam Chesler gerade noch beklagt hatte, für sie fatal wird, wenn darunter auch Israels Image leiden könnte.
„Bin ich nur eine paranoide Jüdin“ fragt sich Chesler an einer Stelle, „die hinter jedem Busch Nazis sieht, verstehe ich jede Kritik an Israel auf fälschliche und hysterische Weise als einen Angriff auf alle Juden der Welt? Empfinde ich legitime politische Analyse als schändlichen Antisemitismus? (…) Ich glaube nicht.“ Ich glaube schon. Andererseits ziehe ich den Hut vor Cheslers Begabung, einen Antisemiten sofort zu entlarven, etwa indem sie „seine Laune, seinen Tonfall, Gesichtsausdruck und die Körpersprache zur Kenntnis“ nimmt und dabei sofort solch verräterische Kleinigkeiten wie deren „wütenden Blick, ihre sich sträubenden Haaren, ihr Knurren und Zittern“ bemerkt.
Nicht weniger tiefschürfend sind Cheslers Vorschläge zur Problemlösung: „Lasst mein Volk in Ruhe. (…) Warum dem jüdischen Volk so viel Aufmerksamkeit schenken? (…) Vergessen Sie uns einfach, für mindestens hundert Jahre. Lassen Sie uns in Ruhe allein mit unseren Feinden kämpfen und in unserem eigenen Saft schmoren.“ Schließlich suchten die Israelkritiker ja auch andere nicht andere „Völker oder Nationen mit ihrem Perfektionismus“ heim. Die israelischen Soldaten mögen die eine oder andere Menschenrechtsverletzung begangen haben, aber wenigstens haben sie „keine Frauen vergewaltigt oder entführt oder Mädchen als Sexsklavinnen verkauft“, was in nicht-jüdischen Armeen gang und gäbe sei. Viel unverblümter als andere Autoren zeichnet Chesler Juden grundsätzlich als unschuldig und heldenhaft, ausschließlich in Verteidigung handelnd, Araber hingegen als bösartig und dumm. Mit Beifall bedenkt sie es, wenn die USA dem Terrorismus „endlich ernsthaft den Krieg“ erklären und in Afghanistan und dem Irak einmarschieren. Zwar möge es „unmoralisch“ sein, „aus großer und sicherer Höhe eine Bombe auf Zivilisten zu werfen“, aber immerhin freuten sich die Mehrheit der Amerikaner und viele Juden nicht auf ähnliche Weise über den Tod ihrer Feinde wie die Araber und Muslime. Wenn also etwa die deutsche Regierung, wie 2003 angekündigt, keine Waffen mehr an Israel verkaufen wolle, solle man mit einem Gegenboykott Deutschlands und anderer europäischer Staaten reagieren und auch nicht mehr in diese Länder reisen.
Besonders schrill wird das Werk, wenn Chesler ihre radikalfeministische Haltung mit ihrer prozionistischen Position verknüpft: „Wenn wir begreifen, warum Frauen Frauenhäuser benötigen“, heißt es da etwa, „eigene Cafés, Musikfestivals, Immobilienfonds und Gender-Studies-Lehrstühle, können wir dann nicht auch verstehen, warum die Juden einen jüdischen Staat benötigen?“ Leider könne „der neue Antisemit auch (…) eine Frau sein“: Schließlich hatte Chesler seit 1980/81 „viele leidenschaftliche Diskussionen mit einzelnen, christlichen Feministinnen“ geführt, „die zu glauben schienen, dass die Juden und Zionisten des 20. Jahrhunderts mehr als alle anderen Menschen auf der Welt für den Tod `der´ Göttin vor dreitausend Jahren und für den Sklavenhandel vor vierhundert Jahren verantwortlich seien“. Göttinseidank war Chesler bereits durch zahlreiche „Rededuelle mit Abtreibungsgegnern und Vaterrechts-Aktivisten“ und anderen „frauenfeindlichen Idioten und Rowdys“ geübt.
Zusammengefasst: Cheslers Werk entbehrt als Psychogramm einer radikalen und zugleich patriotischen amerikanischen Jüdin nicht einer gewissen Faszination. Was allerdings die politische Analyse angeht, sind damit die aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Antisemitismus wohl endgültig auf der Stufe des Trash angekommen.

Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Rezensent leicht zu verzweifeln. Sollte es denn wahr sein, dass sich die aktuellen Antisemitismus-Debatten vorwiegend auf dem Niveau einseitiger Dauerempörung abspielen? Da fällt ihm der Suhrkamp-Band „Neuer Antisemitismus?“ in die Hände. Schon das Fragezeichen im Titel verheißt einiges, so auch, dass es sich um eine Sammlung mehrerer Beiträge handelt, die den Stand der internationalen Debatte dokumentieren soll - während bei Benz, Gessler und Chesler der Eindruck erweckt wird, als ob es gar nichts mehr zu debattieren gäbe. Nun mag dieser erste Eindruck täuschen. Auch die beiden Bücher mit „Beiträgen zur Möllemann-Debatte“ (das eine herausgegeben von Michael Naumann, das andere von Tobias Kaufmann und Manja Orlowski) ließen ihre Autoren in Wahrheit im Gleichschritt marschieren und gemeinschaftlich auf Möllemann einprügeln.
Der Suhrkamp-Band jedoch hält, was er verspricht. Das wird schon in der Einleitung deutlich, in der auch die Position der Kritiker des Begriffs „Neuer Antisemitismus“ angemessen ausgebreitet wird: Mit dieser propagandistischen Formulierung, einer „Rhetorik des Verdachts“, wolle man in Wahrheit Kritik am Handeln Israels und der USA unterbinden und die Kritiker „mit Hilfe der stärksten verfügbaren Waffe aus dem Feld des legitimen Diskurses (…) verbannen“. Die Herausgeber des Buches stellen die Kernfrage: „Zieht Israel als Staat der Juden den klassischen Antisemitismus auf sich, oder ist es die Politik des jüdischen Staates, die zu einer weltweiten Kritik führt?“ Das eben wäre zunächst zu klären, während die Autoren der vorgenannten Bücher so tun, als ob die Antwort auf diese Frage bereits feststünde. Ganz anders die Suhrkamp-Herausgeber: Sie stellen klar, dass es ihnen nicht darum gehen könne, endgültige Antworten auf komplexe Fragen zu geben, sondern das Problem in all „seinen Facetten darzustellen und unterschiedliche, ja kontroverse Deutungen und Schlussfolgerungen anzubieten. (…) Wir haben uns darum bemüht, mit den Beiträgen kontroverse Positionen zu versammeln (…).“ DAS ist endlich seriöse Wissenschaft, das ist verantwortungsvoller Journalismus im Gegensatz zu einseitiger Ideologie! Und es ist offen gesagt eine Schande, dass es auf dem deutschen Buchmarkt erst wieder Suhrkamp braucht, um dieses bei den meisten anderen Themen für alle selbstverständliche Niveau zu erreichen.
Auch die in dem Buch vertretenen Autoren werden höchsten Ansprüchen genüge. So gehören zu den Befürwortern der Antisemitismus-These solche mittlerweile bekannten Namen wie Daniel Jonah Goldhagen, Thomas Haury, Moshe Zimmermann und Dan Diner. Tony Judt, hingegen hält die Vorwürfe insbesondere jüdischer Organisationen für überzogen und argumentiert, wenn Israels Führung vorgebe, für alle Juden weltweit zu sprechen, sich niemand zu wundern brauche, wenn die Taten des Kabinetts Sharon auf sämtliche Juden rückwirke: „So hat Israel selbst erheblich zum Wiederaufleben des Antisemitismus beigetragen (…). Das ist ein Ergebnis, mit dem viele israelische Politiker keineswegs unglücklich sind: Es rechtfertigt ihr eigenes schlechtes Verhalten im nachhinein“. Würde ein deutscher Politiker ähnlich sprechen, würde man ihn in die Nähe der Nationalsozialisten rücken, da er behaupte, „die Juden“ seien selbst am Antisemitismus schuld. Omer Bartov wendet sich gegen die „Hysteriker“, die eine Situation wie in den dreißiger Jahren zu erkennen meinen: „Noch nie sind die Juden wohlhabender, erfolgreicher und sicherer gewesen, als sie es heute in den USA sind. Das gilt ebenso für die nervösen Juden Westeuropas.“ Antony Lerman wendet sich gegen eine Entgrenzung des Antisemitismus-Begriffs: „Wenn Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt wird, bedeutet das auch eine rassistische Ablehnung der Serben?“ Nach der von einigen verwendeten sehr breiten Definition gelte man bereits als Antisemit, „ohne dass man auch nur irgend etwas von dem unterschreiben muss, was die Historiker stets als Bestandteile einer antisemitischen Weltanschauung angesehen haben: den Hass auf Juden _an sich_, den Glauben an eine weltweite jüdische Verschwörung, den Glauben, dass Juden den Kommunismus geschaffen hätten und den Kapitalismus kontrollierten, den Glauben, dass Juden rassisch minderwertig seien, und dergleichen mehr.“ Judith Butler schließlich warnt vor einem „Klima der Angst“ und befindet: „Wenn wir aus Angst davor, als antisemitisch etikettiert zu werden, unsere Kritik begraben, überlassen wir denen die Macht, die den freien Ausdruck politischer Überzeugungen beschneiden wollen. (…) Man wird mit dem Etikett `antisemitisch´ in derselben Weise bedroht, wie es einem in den USA das Etikett `Verräter´ oder `Sympathisant von Terroristen´ (…) einträgt, wenn man die jüngst geführten Kriege ablehnt. Es sind Drohungen mit tiefgreifenden psychologischen Folgen. Sie legen es darauf an, das politische Verhalten zu steuern, indem sie den Individuen unterträgliche stigmatisierte Formen der Identifikation aufzwingen, mit denen sich die meisten Menschen um keinen Preis identifizieren wollen. Da sie die Identifizierung fürchten, wagen sie es nicht, ihre Meinung deutlich auszusprechen. Aber solche Drohungen einer Stigmatisierung können und müssen ausgestanden werden.“
Meistens ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Titel zu einem kontroversen Thema die verschiedenen Standpunkte ausführt und sorgsam gegeneinander abwägt. In diesem Fall macht diese Leistung den Suhrkamp-Band zu einem großartigen Buch, das weit über die anderen Veröffentlichungen in diesem Bereich herausragt.